Bundesregierung: No-Spy-Abkommen kommt nach „bestem Wissen und Gewissen“

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Am 14. August 2013, mitten im vergangenen Bundestagswahlkampf und zwei Monate nach Start der Snowden-Enthüllungen, erklärte der damalige und jetzige Regierungssprecher Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz, dass es ein No-Spy-Abkommen mit den USA geben würde:

Außerdem ist geplant, mit den Vereinigten Staaten ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu schließen. Diese Vereinbarung soll festhalten, dass sich die USA und Deutschland gegenseitig weder ausspähen noch ausspionieren noch das jeweilige nationale Recht verletzen. Die mündliche Zusage dazu, ein solches Abkommen abzuschließen, liegt von amerikanischer Seite schon vor.

Damit suggerierte er für die Bundesregierung und Angela Merkel, dass alles in Ordnung sei. Was nachweislich nicht der Wahrheit entsprach. Nachdem der Rechercheverbund aus SZ, WDR und NDR Mails zwischen US- und deutschen Diplomaten geleakt hat, die genau das Gegenteil bestätigen, liest sich das ganz anders. Für Seibert kein Problem, er habe damals „nach bestem Wissen und Gewissen“ geantwortet.

Update: Hier ist der Supercut zu der Seibert-Aussage gestern in der Bundespressekonferenz.

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Das wiederholte auch Angela Merkel heute:

Merkel weist diese Vermutung zurück. „Wir alle, auch Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, sowie sein Vorgänger und sein Nachfolger haben nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet“, sagte sie am Montag.

Im BND-Skandal ist das versprochene No-Spy-Abkommen ein weiterer Punkt, wo die Bundesregierung unter Druck gerät, diplomatisch ausgedrückt die Wahrheit gedehnt zu haben. Kommentatoren bei vielen größeren Medien sehen das auch kritisch.

Robert Roßmann kommentiert bei SZ.de: Das ungeheuerliche Schweigen der Kanzlerin.

Wer nun erwartet hatte, dass Seibert sich für seine falschen Aussagen entschuldigt oder wenigstens rechtfertigt, wurde am Montag schwer enttäuscht. In der Bundespressekonferenz wiederholte Seibert nur ein ums andere Mal, er habe 2013 „nach bestem Wissen und Gewissen“ informiert. Alles Weitere müsse in den Kontrollgremien, also nicht öffentlich besprochen werden. In einer Demokratie, die sich ernst nimmt, können derart gravierende Vorwürfe aber nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Sie gehören an die Öffentlichkeit. Wer jetzt Seibert geißelt, trifft jedoch den Falschen. Er ist nur der Sprecher, verantwortlich für sein Schweigen ist die Kanzlerin.

Philipp Wittrock kommentiert bei Spiegel-Online: No-Spy-Abkommen: Das Gewissen der Kanzlerin

Natürlich, ein Rücktritt steht nicht bevor, schon gar nicht der der Kanzlerin. Aber die Lage ist ernst, die Regierung alarmiert. Es geht jetzt um Lüge und Wählertäuschung. Die Glaubwürdigkeit der sonst so unangreifbar erscheinenden Regierungschefin leidet in der BND-Affäre. Tag für Tag muss sich das Kanzleramt als Fachaufsicht des deutschen Auslandsgeheimdienstes gegen neue, unangenehme Enthüllungen wehren. Und inzwischen fällt der Bundesregierung nicht mehr viel ein zur eigenen Verteidigung, außer zu rufen: Vertraut uns einfach! Aber was heißt das eigentlich, man habe immer nach „bestem Wissen und Gewissen“ gearbeitet und informiert? Klingt hochmoralisch. Doch so lässt sich so ziemlich jede Anschuldigung, es sei getrickst, getäuscht, betrogen oder gelogen worden, zurückweisen. Das gilt erst recht, wenn die Bundesregierung keine inhaltlichen Belege oder Argumente vorbringt. Ist ja alles streng geheim!

Stephan Haselberger kommentiert beim Tagesspiegel: Angela Merkel am Wendepunkt

Wenn das so weiterläuft, und wenn sie es so weiterlaufen lässt, dann kann die BND/NSA-Affäre zum Wendepunkt von Angela Merkels Kanzlerschaft werden. Auf dem Spiel steht nicht weniger als Merkels wichtigstes politisches Kapital: Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit.[….] Was hat die Frau, der die Deutschen vertrauen, von alledem gewusst? Was hat sie getan, was unterlassen? Diese Fragen mögen der Kanzlerin nicht gefallen; dass sie laut gestellt werden, wird sie sich aber gefallen lassen müssen, auch von der SPD.[…] Es ist aber nicht Aufgabe der SPD, das einzigartige Vertrauensverhältnis zwischen Merkel und den Deutschen zu verteidigen. Dafür ist Angela Merkel schon selber zuständig. In ihrem eigenen Interesse. Und im Interesse der Wähler. Ihnen schuldet sie eine Antwort auf die Frage, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war und ist.

Falk Steiner kommentiert im Deutschlandfunk: Erklärungsnotstand im Kanzleramt.

Insofern war es überaus mutig von der Bundesregierung, sich im Sommer 2013 mit vagen Aussagen der US-Partner und Versicherungen des eigenen Dienstes, dass auf deutschem Boden deutsches Recht gegolten habe, zufriedenzustellen. Einen Spion im BND, ein Kanzlerinnenhandy, einen Selektorenskandal und mindestens drei Kooperationsprojekte des BND mit US- oder britischen Diensten später ist kaum mehr zu übersehen: Jener Teil der Bundesregierung, der die Affäre für beendet erklärte, ist nun selbst in Erklärungsnot – und das ist, vorneweg, die Kanzlerin höchstselbst.

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11 Ergänzungen

  1. Warum wird jetzt interner Schriftverkehr an Journalisten geleakt? Welche Interessen verfolgen die Verantwortlichen damit? Was ist die Quelle? Ich finde es nicht normal, dass interne E-Mails in die Hand von Journalisten gelangen.

    Das wird aber auch gar nicht reflektiert in der Öffentlichkeit und von Medienvertretern schon gar nicht. Die Aussage einer „mündlichen Zusage“ wurde bislang nicht durch das Material widerlegt. War die Zusage einer Übereinkunft nach den Enthüllungen nicht eine Selbstverständlichkeit? Motto: Wat mutt, dat mutt. Macht irgend etwas, das jetzt bekannt wurde, den Affront gegen Deutschland kleiner?

    1. Es ist der Job von Journalisten, Sachverhalte für die Bürger aufzuklären, die Politik zu kontrollieren (sog. Vierte Säule der Demokratie), Missstände aufzudecken und ihre Ergebnisse der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

      Der Ursprung des Leaks ist vermutlich jemand, der an den Rechtsstaat glaubt und die Fehler der Regierung für untragbar findet, eventuell weil er als Bundesbürger(in) sich – wie sehr viele – betrogen fühlt. Möglicherweise soll endlich eine angemessene Reaktion der Regierung herbeigeführt werden.

      Der Affront gegen Deutschland ist nicht derselbe Affront, der dadurch hervorgerufen wurde, dass die Regierung nur „schhh, Mutti ist da, es ist alles gut“ sagt aber NICHTS unternehmen will, sondern nur die Bürger verscheißert, obwohl sie ihre Interessen vertreten sollte!

      1. Das wäre eine Überlegung wert… Nun ist es ja in Ordnung, dass Journalisten vertrauliche Informationen nutzen…

        Es gibt drei Möglichkeiten zur Quelle:
        1. Jemand auf deutscher Seite in der Behörde
        2. Jemand auf amerikanischer Seite in der Behörde
        3. eine andere Macht, die ihrerseits deutsch-amerikanische Behördenverkehre abgehört hat.

        Jetzt seien wir doch nicht naiv und überlegen uns, was die Person, die solche Informationen an die Presse weitergibt, damit beabsichtigt.

        ad 1 ist nicht wahrscheinlich, dass der betreffende deutsche Mitarbeiter selbst die Informationen weitergegeben hat, weil ihn die Offenlegung ja nur Ärger bereitet. Tut dies ein Kollege, dann wohl um dieser Person zu schaden.

        ad 2 wäre eine realistische Hypothese, dass die Amerikaner den Vorwurf entkräften wollen, dass sie einen Affront gegen Deutschland sich geleistet haben, das erst der deutschen Regierung zugesichert wurde und dann sie sich von der Zusage verabschiedet haben. Die Dokumente belegen dem Anschein nach eine Konsistenz in der amerikanischen Position.
        Dazu passt auch der Spin, den die Journalisten für die Story gewählt haben, nämlich, dass die Regierung gegenüber der Öffentlichkeit gelogen habe, obwohl das aus den Dokumenten überhaupt nicht hervor geht.

        ad 3 ist möglich. Ziel wäre es Konflikte zu schaffen. Dies passt dann aber nicht zu dem Spin, den die Geschichte bei den Journalisten nimmt.

        Möglich ist auch irgendein Mittelsmann, der einfach fand, dass die Sache öffentlich werden sollte, weil er genau die Bewertung teilt, welche die Medien jetzt fahren und die Position der Regierung unehrlich fand. Das ist deine Interpretation.

  2. „Nach bestem Wissen und Gewissen“ (von wegen Gewissen) in einem Arbeitszeugnis stehend wäre so ziemlich der Bodensatz. In der Politik steht das wohl als Gütesiegel.

  3. Hat denn wirklich jemand geglaubt das die Amerikaner ein solches Abkommen unterschreiben werden? Und sagen wir mal sie hätten es tatsächlich getan, wäre es das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben stünde.

    1. Geglaubt? Nein. Muss man die Bürger deswegen veräppeln? Ist es okay, dass sich die Regierungspoltitik nur nach bürgerlichem Klappehalten und Wiederwahl richtet?

      1. Wer glaubte denn, dass ein solches Abkommen die Probleme löst? Es handelte sich nur um ein Feigenblatt. Das wurde, so der implizite Vorwurf der Bundesregierung, zugesichert, aber nicht eingehalten.

        Das den Journalisten zugespielte Material entkräftet den Vorwurf nicht. Seibert sprach von einer mündlichen Zusage.

  4. Lesen wir noch mal SZ:

    “ Deutschland wolle mit den USA ein No-Spy-Abkommen abschließen, es liege bereits eine „Zusage“ der amerikanischen Seite vor, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert im August 2013. Außerdem erklärte er, der Vorwurf, die NSA hielte sich nicht an deutsches Recht, sei „ausgeräumt“. Seit vergangenem Wochenende weiß man, dass beide Aussagen falsch waren. Offenbar hatte das CDU-geführte Kanzleramt versucht, das Thema NSA wegen der anstehenden Bundestagswahl kleinzureden. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.“

    Nein, das ist non sequitur. Man muss kein Historiker sein, um Quellenkritik zu üben. Wir haben einen Email Briefwechsel mit Karen Donfried, heute die Leiterin des German Marshall Fund. Dieser widerlegt nicht das behauptete Bestehen einer mündlichen Zusage. Belegt ist auch nicht die Kausalinterpretation, dass dies öffentlich behauptet wurde, um das Thema in der Öffentlichkeit kleinzureden. Dann würde ja der Diplomat der Kanzlerin sich dafür erklären müssen, dass seine Regierung dies fälschlich kommuniziere. Ebenso kommuniziert Donfried nicht den Vorwurf, sondern verdeutlicht nur das flip-flop auf der US Seite, wenn wir die Prämisse aufrecht erhalten, dass es eine Zusage gab, was die Bundesregierung weiterhin behauptet.

    Eine Aussage wie „Wie ich schon erwähnte, können wir die vorgeschlagenen Überarbeitungen des letzten Punktes nicht akzeptieren.“
    belegt, dass an einem Memorandum gearbeitet wurde.

    Die Erkenntnis, dass im Frühjahr 2014 klar war, dass ein solches Abkommen nicht kommt, ist nichts neues, und widerlegt nichts aus dem Herbst. Die Interpretationen der Quellen in den Medien sind erstaunlich salopp.

  5. Benötigen wir wirklich ein No-Spy Abkommen? Können wir nicht einfach souverän genug auftreten und die Achtung unseres Gesetzsystem einfordern? Wir müssen doch nicht zwangsläufig darum betteln.

    So wie ich den Ablauf interpretiere hat man in Deutschland der Öffentlichkeit mal schnell was versprochen um die Wogen zu glätten, hat dann aber feststellen müssen das man das gar nicht einhalten kann und musste zurückrudern.

    Viel wichtiger als der konkrete Inhalt ist momentan das die Debatte nicht abstirbt sonst wird das Thema wieder unter den Teppich gekehrt. Bis dann der nächste drübet stolpert weil unter dem Teppich schon so viel Unrat liegt.

  6. „Bestes Wissen und Gewissen.“ Hehe! Dieser Satz ist sooo bezeichnend!
    „Bestes Wissen“ ist der Teil des Ganzen, der als Narrativ für Urnengänger tauglich ist. Der andere Teil entspricht nahzu der vollen Realitätsabbildung und dient anls nicht kommunikable Handlungsgrundlage.
    „Bestes Gewissen“ Eine leere Sprachhülse. Die beste leere Sprachhülse, die man als Protagonist in einer Inszenierung benutzen kann.
    Fehlt noch ein Hinweis darauf, dass die Aussicht auf ein No-Spy-Abkommen doch „glaubwürdig“ vorgetragen wurde. Es wurde geglaubt. Würdig war das nicht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.