Bitkom: Kein Supergrundrecht auf Datenschutz

Der neue Bitkom-Chef befürchtet, dass effektive Datenschutzregeln neue Geschäftsmodelle verhindern. Quelle: Pressefoto

„Wir wollen kein Supergrundrecht auf Datenschutz“ erklärte der neue Bitkom-Präsident Thorsten Dirks in einer Bilanz über das erste Jahr der Digitalen Agenda der Bundesregierung. Dabei bezog er sich auf die laufenden Verhandlungen zur EU-Datenschutzreform, die seiner Meinung nach zu restriktiv ausfallen könnte. „Das Prinzip der Datensparsamkeit hat sich in fast allen Lebensbereichen überholt“ zitiert Heise Online den Branchenvertreter, der gleichzeitig dem Vorstand von Telefónica Deutschland vorsitzt.

Konkret wirke sich Datensparsamkeit derzeit etwa auf Startups im Bereich digitaler Finanzdienstleistungen und E-Health negativ aus, erläuterte Dirks. Über Smart Watches und Fitness-Tracker würden personenbezogene Informationen verstärkt mehr oder weniger beiläufig erhoben und zentral gespeichert. Europa sei bei den darauf basierenden Diensten aber noch „nicht an dem Punkt wie Amerika“, wo weniger strenge Datenschutzregeln gelten.

Regeln aus der analogen Welt dürften nicht eins zu eins auf die digitale Wirtschaft übertragen werden, heißt es in einer Bitkom-Pressemitteilung, und die EU-Datenschutzverordnung nicht zu restriktiv ausfallen. Sonst drohe, dass der Aufbau neuer Geschäftsmodelle in Europa erschwert oder gar verhindert würde.

„Wir dürfen Regeln der analogen Welt nicht eins zu eins auf die digitale Wirtschaft übertragen. In Zeiten, in denen nahezu alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft digitalisiert werden, muss das Konzept der Datensparsamkeit überdacht werden“, so Dirks. Und: „Der Datenschutz muss abgewogen werden gegenüber der Informationsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, etwa wenn man an Big-Data-Anwendungen in der Medizin denkt.“ Ähnliches gilt Bitkom zufolge auch für das E-Health-Gesetz. Es bringt Verbesserungen für Patienten, bleibt aber hinter den Möglichkeiten zurück. „Wir müssen mutiger werden und weiter nach vorne denken. Gesetze müssen Technologien eine Richtung und einen Rahmen geben, sie dürfen Einsatz und Entwicklung von Technologien nicht verhindern“, sagte Dirks.

Abgesehen davon stellt Dirks der Umsetzung der Digitalen Agenda ein überwiegend positives Zeugnis aus. 36 von 121 in der Agenda vorgestellten Maßnahmen seien bereits umgesetzt, bei 60 hätte die Arbeit bereits begonnen. Ausdrücklich lobte er die schnelle Versteigerung der 700-Mhz-Frequenzen. Die daraus erlösten Mittel in der Höhe von 1,3 Milliarden Euro sollen dem Breitbandausbau zugutekommen, der laut einer Umfrage in der Branche mit 49 % die höchste Priorität genieße. Um wie angekündigt tatsächlich flächendeckend 50 MBit/s bereitzustellen, werden Bund und Länder jedoch deutlich mehr Geld in die Hand nehmen müssen. In der Bitkom-Analyse heißt es demnach etwas differenzierter und weniger lobend:

Zum Ausbau leistungsfähiger Breitbandinfrastruktur hat die Bundesregierung nur Ankündigungen gemacht, keine konkreten Vorschläge.

Sowie

Nur die Länder, nicht aber der Bund, haben Förderprogramme für IKT-Infrastrukturen und Breitband eingerichtet.

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17 Ergänzungen

  1. „Der neue Bitkom-Chef befürchtet, dass effektive Datenschutzregeln neue Geschäftsmodelle verhindern.“

    Das wollen wir doch stark hoffen, dass effektive Datenschutzregeln neue Geschaeftsmodelle mit unakzeptablen Nachteilen fuer Menschen verhindern, gerade weil diese Geschaeftsmodelle so potentiell eintraeglich sind. Gerade mit zB Gesundheitsdaten und aehnlichem.

    1. Datensparsamkeit steht einfach nicht im Einklang mit dem digitalen Konsum des 21. Jahrhunderts.

      Der Bürger hat zu liken, twittern, sharen, streamen, tracken, loggen, posten, texten, bloggen, vloggen als ob es kein Morgen mehr gäbe. Punkt.
      Wer das nicht begriffen hat, der ist einfach noch nicht in der Bitkom-Postmoderne angekommen.

      1. Statt „Bürger“ muß es natürlich „Konsument“ heißen, oder vielleicht „Datenliefernde Lebend-Einheit“.

    2. Was soll man sagen. Sklavenhandel, heute universell als ein immenses Unrecht verdammt, war auch mal ein ganz einträgliches Geschäft.

      Dass Profiteure potentiell einträglicher, aber durch und durch unmoralischer Geschäfte zu kotzwürdiger Rhetorik greifen, um ihr Handeln als irgendwie legitim und auch irgendwie für das heilige Wirtschaftwachstum unabdingbar zu rechtfertigen, ist nicht neu. Dass sie leider im Gegensatz zu den offiziell „Vertretenen“ Gehör bei den „Volksvertretern“ finden, leider auch nicht.

      Mein Kampfeswille wird so jedenfalls jeden Tag aufs neue angefacht. Diese Hyänen wollen sich an meiner Privatsphäre sattfressen? Das wollen wir mal sehen.

      Der zitierte Satz sagt vieles über die Art von Geschäftsmodell. Nicht alles, was Geld bringt, darf erlaubt sein! Die ganze parasitäre Wirtschaftsbranche muß sterben, bevor die megalomane, machtgeile, brechreizerzeugende Hybris dieser geltungssüchtigen, widerlichen, spirituell atrophierten, BWL-anbetenden Flachzangen, die da begeistert und widerlich hämisch grinsend auf einer Welle des Überwachungskapitalismus reiten, unser Leben zu ihrem Rohstoff macht.

    3. Datenschutz und Datensparsamkeit
      Folgende Bereiche und Meldungen aus der Wirtschaft hat der neue Bitkom Präsident Dirks offenbar nicht in seine Überlegungen einbezogen.

      1. Nach „The Fappening“, also dem Datenklau von Prominenten Nacktfotos aus „der Cloud“, wurden viele deutsche Provider bzw. Cloud-Anbieter verstärkt nachgefragt. Die gleiche Tendenz soll auch aufgrund der immer neuen Enthüllungen über NSA-Spionage bestehe. Der Grund für diese Nachfrage wurde in der vermehrten Sicherheit und eben in den (geltenden) Gesetzen zum Datenschutz gesehen.

      > Datenschutz ist also auch Wirtschaftsfaktor!

      2. Datenschutz bedeutet auch mehr Sicherheit. Der Grund: Die deutschen Datenschutzregeln erfordern auch Maßnahmen zur Sicherung personenbezogener Daten. Zudem sind umfassende Profile von Personen nach der Regel über Datensparsamkeit seltener; bei Angriffen können also nicht ganze Identitäten ‚geklaut‘ werden.

      > Datensparsamkeit ist Sicherheit vor Identitäts-Diebstahl.

      3. Die Entschließung der internationalen Datenschutzkonferenz in Warschau zu Webtracking und Datenschutz (Download über BfDI, 08.10.2013) hat zu Augenmaß und einer angemessenen Berücksichtigung des Datenschutzes geraten. Eine derartige Abwägung spricht der neue Bitkom Präsident in der veröffentlichten Meldung eher der Form nach an, will aber wohl die Datensparsamkeit aus dem Gesetz heraus-definieren.

      > Die Gesetze zum Datenschutz und darin die Datensparsamkeit wägen Unternehmens- und individuelle (Bürger-) Interessen ab!

      4. Big-Data-Analysen können nur bei großen Datenmengen durchgeführt werden. Neue Geschäftsmodelle und Start-ups dürften sehr selten über solche große Datenbestände verfügen, die dann „neue Geschäftsmodelle“ ermöglichen. Es erscheint also abwegig, dass neue Geschäftsideen von Gründern oder Start-Ups durch Datenschutz zumindest bei Big-Data behindert werden.

      > Eingeschränkter Datenschutz nutzt vorwiegend und zuallererst Großunternehmen bei Big-Data!

      5. Große Krankenkassen, Apple (mit der Smart Watch) oder die Hersteller der Fitness-Tracker dürften mit laxem Datenschutz wesentlich leichter „neue Geschäftsmodelle“ entwickeln können. Unbeachtet blieben bei dem Antritts-Statement wohl in der Bitkom- Führungsetage eine Pressemeldung der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit: „Andrea Voßhoff warnt vor dem Einsatz von Fitness-Apps durch Krankenkassen“ (BfDI, 16.07.2015). Kurz zuvor soll die Generali-KV angekündigt haben, für die Verwendung einer Gesundheits-App ab Anfang 2016 Rabatte und Gutscheine zu gewähren.

      > Überwindung des Datenschutzes kann Sozialsysteme gefährden! (egal ob dies aus Eigeninteresse und/oder Unternehmens-Interessen geschieht)

      Mein Fazit: Datenschutz und das Prinzip der Datensparsamkeit ist den Lebensbereichen der Digital-Gesellschaft nicht Kür, sondern Pflicht.

  2. Aber Hallo! Was anderes war von der Profit-über-Alles-BWLer-Fraktion nicht zu erwarten. Wie wäre es mal mit dem Geschäftsfeld der Identitätsverschleierung? Datensparsamkeit hat sich überholt. Ja aber wenn dann die NSA solchen Leuten wie da oben ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen können, dann ist es eh zu spät mit der Sparsamkeit anzufangen. Und die ganzen E-Health, E-Tracker und E-Blutsauger Start-Ups können von mir aus den Weg der Urzeitriesen gehen. Ich habe weder Verwendung noch Respekt für solche „Geschäfts“modelle. Der Neue ist wirklich gar nicht neu.

    Sollen diese Elektronikschrotthändler dort bleiben wo sie hergekommen sind. Auf den Plastikhalden dieser Welt. Smart Wearables… F U !

    Und zu dem BS von der 700MHz Rampe. Ja Breitband mit Volumenbegrenzung. Setzen Sechs.
    Solche Clowns und ihre dämlichen Bekundungen zu Gesetzesvorhaben zerreißt jeder Depp, der die letzten 3 Jahre nicht im Wachkoma verbracht hat, in der Luft. No offence.

  3. Der BITKOM will uns verarschen. So einfach ist das.

    Warum sind Datenschutz und Datensparsamkeit hinderlich? Hinderlich für wen? Hinderlich für Profitmaximierung, Profitgier, Datenraub, Datenausbeutung und Verbraucherentrechtung?

    Wenn die Unternehmen doch heute schon nach Einwilligung durch den Betroffenen (fast) alles mit den Daten machen können, wo ist dann das Problem mit Datenschutz für „Start-Ups“ etc.?
    Will der BITKOM den Menschen heimlich und ungefragt die Daten klauen?
    Ist der BITKOM unter die Hacker und Datendealer gegangen?

    Wenn alle erforderlichen Daten schon heute durch die Unternehmen gespeichert werden dürfen, wo ist dann das Problem mit Datensparsamkeit?
    Will der BITKOM für die Zweckerfüllung völlig irrelevante Daten speichern?
    Will der BITKOM die Sexualgewohnheiten bei jedem Online-Kauf von Smartphones legal abfragen dürfen?

    Wem gehören eigentlich all die Daten? Woher nimmt sich der BITKOM das Recht, über das Eigentum fremder Menschen zu entscheiden?

    Will der BITKOM unsere Sicherheit gefährden?
    Wenn immer mehr Daten gespeichert werden, wie will der BITKOM das steigende Risiko von Datenklau verhindern?
    Haftet der BITKOM für Datenklau? Bekommt jeder Geschädigte Schadenersatz vom BITKOM?
    Investiert der BITKOM in echte IT-Sicherheit?

    FAZIT:
    Der BITKOM ist wie die Mafia oder die Atomindustrie. Beschwert sich, dass seine potentiellen Opfer durch die Gesetze geschützt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass der BITKOM und all die Lobbyschweine Ausbeutung und Entrechtung von Menschen wieder salonfähig machen. Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen.

  4. nur noch von Deppen umgeben?

    „der gleichzeitig dem Vorstand von Telefonica Deutschland vorsitzt.“

    „Telefonica [früher E-Plus] übergibt 7700 Mobilfunkantennen an die Telekom“

    Scheint ja ein echter Spitzenmanager zu sein.

    „Europa sei bei den darauf basierenden Diensten aber noch „nicht an dem Punkt wie Amerika“, wo weniger strenge Datenschutzregeln gelten.“

    Da will jetzt aber einer das ganz große Rad drehen.

    In den USA gibt es weder Personalausweise, noch Meldeämter, Handfeuerwaffen kann man im Supermarkt kaufen, die Nummernschilder an den Autos und Mopeds kann man nur mit der Lupe erkennen, die Provider dürfen keine Ortsdaten speichern, eine gesetzliche Krankenversicherung mit zentraler Speicherung der Krankheitsdaten gibt es nicht …

  5. Thorsten Würgx hält sich für relevant genug, um mit ein paar Sätzen die Bäume im Revier zu befeuchten. Da will sich einer als Macher inszenieren. Einer der glaubt er wüsste was geht, und wie man den Bekloppten und Verbeulten der Welt das Geld aus der Tasche ziehen kann. Holy bullshit!
    Meine Daten sind mir heilig. Im analogen Bereich und erst recht im digitalen. My holy data grail! Warum glaubt so ein Leichtmatrose, Daten bräuchten im Digitalen weniger Schutz? Damit man mir besser in die Jacke greifen kann?
    Shields up! Verpiss(!) dich aus meinem Datenbezirk! Bitkom go offline.

  6. Der Herr Bitkom redet da „WIR wollen kein Supergrundrecht auf Datenschutz“. Für wen spricht er denn? Oder spricht er in der dritten Person….?

  7. Wow, alle Kommentare sprechen mir aus dem Herzen. Ich bin Mainstream … und es macht mir nicht mal was aus.

    1. … dem kann ich mich fast anschließen.
      Gerne wäre ich Mainstream, doch ich fürchte, wir befinden uns hier in einer Netzpolitik-Filterblase.
      Im Datenschutz nicht alleine zu sein ist ja auch schon mal was.

  8. Das einzig gute an dieser Zwangsinterneteingliederung von persönlicher Sensorik, jeder kann da ein Firmwareupdate durchs Netz pushen. Und der erste gewinnt.

  9. Wie sarkastisch!
    „sind NOCH nicht an dem Punkt wir Amerika“

    Ja genau, weil wir uns um das Recht auf Kontrolle über unsere eigenenen Leben kümmern, sind wir NOCH nicht soweit wie in einem Land, in dem nie großartig Datenschutzrechte erarbeitet wurden.

    Fritzchen hat seine Mathe-Hausaufgaben schon gemacht, daher ist er NOCH nicht soweit wie sein Freund, der noch nicht angefangen hat und lieber fern sieht.

  10. Bitkom ist weder Sprachrohr noch Schwertträger für die Netzgemeinde.
    Mit Dirks ist einer nachgerückt, der die Spielwiese „BigData“ erobern will.

    BigData = BigBusiness ist das neue Mantra.

    Kein Wunder dass man von Datensparsamkeit bei Bitkom nichts hören will. Datensicherheit war schon immer ein Thema, dass man dort als aufgedrängt empfand. Warum nur?

    Es ist Zeit, sich von Bitkom deutlich abzugrenzen und Gegenpositionen zu publizieren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.