Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts

Till Kreutzer (Foto: SPÖ Presse und Kommunikation, CC-BY-SA 2.0 Generic>

Eine Gruppe rund um den Urheberrechtsexperten Till Kreutzer hat am Wochenende im Rahmen der Telemedicus Sommerkonferenz ein „Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts“ (PDF) vorgestellt. Das Papier baut auf Ergebnissen einer Arbeitsgruppe des (maßgeblich von Google finanzierten) Internet & Gesellschaft Collaboratory auf und versucht Leitlinien eines Regelungssystems für kreative Güter unabhängig von bestehendem Recht zu denken – ein Gedankenexperiment eben.

Kern des Vorschlags ist es, Schutzrechte für vier Aktuersgruppen – Urheber, Verwerter, Nutzer und Vermittler – nur in dem Umfang zu gewähren, soweit es im Verhältnis zu Gemeinwohl und widerstreitenden Interessen anderer Beteiligter gerechtfertigt ist. Damit sollen „Wertungswidersprüche“ vermieden werden, die beispielsweise aus der Vermischung von Urheber- und Verwerterinteressen im bestehenden Urheberrecht resultieren können. Ziel ist die Ermöglichung von Wettbewerb nach einer kurz bemessenen exklusiven Schutzfrist:

Der Autor kann dem Unternehmen nur für einen bestimmten Zeitraum (z. B. fünf Jahre) ein Exklusivitätsversprechen einräumen. Während dieser Zeit kann das Unternehmen gegen Trittbrettfahrer aus seinem Verwerterrecht vorgehen. Seine Anfangsinvestition ist durch seine exklusive Befugnis geschützt. Im Anschluss kann der Urheber einem anderen Unternehmen die Nutzung gestatten oder es selbst verwerten. Der Konzern kann seine Produktionen weiterhin vertreiben, muss sich aber im Zweifel im Wettbewerb mit anderen Anbietern behaupten. Der Urheber profitiert hierbei sowohl von der Erst- als auch von weiteren Publikationen über vertraglich vereinbarte Vergütungen und gesetzliche Beteiligungsansprüche. Die Allgemeinheit wiederum profitiert vom hierdurch ermöglichten freien Wettbewerb.

Die Dauer von Verwertungsrechten sollen den Vorschlägen des Gedankenexperiments nach an Hand einer pauschalen Beurteilung über die durchschnittliche Amortisationsdauer kreativer Güter bemessen werden. Die Interessen von Nutzern wiederum sollen durch subjektive Nutzerrechte sichergestellt werden, die auch einklagbar und damit stärker als Schrankenbestimmungen im derzeitigen Urheberrecht wären.

Was Vermittler, also Plattformbetreiber wie beispielsweise YouTube, betrifft, so schlagen die Autoren vor, diesen ebenfalls eigenständige Rechte einzuräumen, allerdings gegen pauschale Vergütung; auf diese Weise würden auch nicht genehmigte und bislang weitgehend unvergütete Nutzungen von Werken Dritter über Vermittlerangebote entschädigt (siehe zu einem ähnlichen Vorschlag im Kontext der Abmahnung Jan Böhmermanns wegen eines auf Twitter geteilten Fotos).

Fazit

Wie schon die Bezeichnung als Gedankenxperiment nahelegt, sind die Regelungsvorschläge nicht an unmittelbarer Umsetzbarkeit ausgerichtet. Gleichwohl legen sie aber den Finger in die Wunden des bestehenden Urheberrechts, wie mangelnder Wettbewerb und überlange Schutzfristen. Da es sich bei dem Vorschlag aber eben nur um Leitlinien handelt, werden eine Reihe von bestehenden Problemen nicht explizit adressiert. Remix- und Mashup-Kunst sind beispielsweise kein Thema und wären auch in dem neuen System darauf angewiesen, dass entsprechende Rechte geschaffen würden.

6 Ergänzungen

  1. Bei allem Respekt glaube ich, dass die Ideen zu kurz greifen. Tatsächlich ist es heute so, dass weder die Massenverbraucher (also nicht die Hochpreiskunden bei Apple) noch die Geheimdienste und ihre Nutznießer dem Urheberrecht überhaupt Bedeutung beimessen. Für mich sieht es eher danach aus, dass das Urheberrecht wie die Dampflokomotiven einfach wieder verschwinden werden. Beide sind ja auch in ähnlicher Zeit entstanden. Das Imperium Romanum, das die Grundlagen für unser Rechtssystem schuf, kannte weder das eine noch da andere. Michelangelo und Raffael kamen gut ohne Urheberrecht aus.
    Wir werden andere Geschäftsmodelle finden müssen, die Urheber und Distributoren finanzieren. Da sind kosmetische Änderungen eher so wie der Versuch britischer Gewerkschaften, die Heizer von den Dampfloks auf E-Loks unterzubringen.
    Aber gut finde ich, dass Ihr das Thema weiter durchdenkt, wo die deutsche Politik eher an einer Verhinderung der Digitalisierung arbeitet mit nationalem Leistungsschutzrecht in einem globalen Medium, mit dem ungelöstem jahrelangen Streit der GEMA mit YouTube, wo Menschen in Deutschland einfach ausgesperrt werden von globaler Kultur und mit dem Drang zur Totalüberwachung der Bürger mit Vorratsdatenspeicherung und Beihilfe zu Spionage für fremde Mächte.

    1. Bei allen interessanten Ansätzen die Sie haben, ist der Verweis auf zwei der berühmtesten Maler der Welt einfach lachhaft. Was ist mit den Hunderttausenden Künstlern, die gnadenlos kopiert wurden? Nehmen Sie Charles Dickens, der mit seiner Weihnachtsgeschichte nichts verdient hat, weil es kein Urheberrecht gab und jeder die Geschichte kopieren wie er wollte.

      Das Urheberrecht – und das muss man immer wieder betonen – wurde geschaffen, um die Rechte des Urhebers gegenüber den Verwertern zu wahren. Der Endkunde kam nie darin vor, war ja auch nie nötig.

      Interessanterweise ist es ja heute so, dass die Urheber alle Rechte an die Verwerter abgeben sollen, alles natürlich zum Schutz des Urheberrechts. Sie sehen, die eigentliche Intention des Urheberrechts hat sich ins Gegenteil verkehrt. Praktisch ist es ein Verwerterrecht.

  2. „Nehmen Sie Charles Dickens, der mit seiner Weihnachtsgeschichte nichts verdient hat, weil es kein Urheberrecht gab und jeder die Geschichte kopieren wie er wollte.“
    Ich würde eher sagen, dass er kein tragfähiges Geschäftsmodell hatte, um mit seiner Geschichte Geld zu verdienen. Die Behauptung, dass er das mit Urheberrecht gemacht hätte, ist keck.
    Bei der Künstlersozialkasse können Sie sich Zahlen mit Urheberrecht ansehen. Da liegt das Durchschnittseinkommen aller versicherten Künstler bei 19.061 € im Jahr (1.588 €/ Monat). Davon kann man trotz Urheberrecht nicht eine Familie ernähren.
    http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/ksk_in_zahlen/statistik/durchschnittseinkommenversicherte.php
    Joost Smiers hatte gezeigt, dass mit Urheberrecht nur wenige Künstler ausreichend Geld verdienen und im Wesentlichen nur eine Marktkonzentration auf wenige Große gefördert wird.
    In der Digitalisierung ist es nun mal so, dass im globalen Rahmen nationales Urheberrecht nicht durchsetzbar ist. Selbst die GEMA-Sperrungen bei YouTube sind nur für Anfänger ein Hindernis.

    „Das Urheberrecht – und das muss man immer wieder betonen – wurde geschaffen, um die Rechte des Urhebers gegenüber den Verwertern zu wahren. Der Endkunde kam nie darin vor, war ja auch nie nötig.“

    Auch das ist falsch. Das Urheberrecht gilt auch ohne Intermediäre zwischen Urheber und Verbraucher. Die Digitalisierung hat nun mal dazu geführt, dass viele Intermediäre überflüssig wurden. Es wird nun versucht, mit alten Geschäftsmodellen, die für die breite Massen von Künstlern wenig Nutzen gestiftet haben, die Vergangenheit fortzuschreiben und das Neue zu behindern. Siehe Leistungsschutzrecht. Das wird nicht funktionieren. Eher werden Grundschüler lernen, was ein Proxy und wie man ein VPN einrichtet. Und die Künstler werden weiter niedrige Zahlen bei der Künstlersozialkasse zeigen.

    Am Rande: Das Beispiel von zwei Malern bezog sich eigentlich auf Peter Paul Rubens, der Tizian kopierte (und wie Michelangelo und Raffael) und ein urheberrechtsfreies Geschäftsmodell hatte. Das war aus einem Artikel von mir (siehe Raub der Europa, hinten im Artkel):
    http://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/2012/05/13/sherlock-holmes-das-dartmoor-und-das-urheberrecht/

  3. „Ich würde eher sagen, dass er kein tragfähiges Geschäftsmodell hatte, um mit seiner Geschichte Geld zu verdienen. Die Behauptung, dass er das mit Urheberrecht gemacht hätte, ist keck.“

    Das Problem von Charles Dickens war ganz und gar eines des Urheberrechts oder besser eines fehlendes und mit etwas Recherche hätten Sie das auch herausfinden und möglicherweise sogar verstehen können. Seine Werke waren nämlich sehr gefragt in den USA, so gefragt, dass US Zeitungen sie abdruckten ohne ihm dafür auch nur einen Cent zu zahlen. Während er in Europa also Geld für die Nutzung seiner Werke bekam, ging er in den USA leer aus. Die Rechtslage ließ es zu.
    Er hatte also ein Geschäftsmodell.

    Herzlichen Glückwunsch übrigens zu der Erkenntnis mit Proxies und VPNs.
    Eine Supersache so ein Tunnel, solange man nicht vergisst, dass alles, was an dem einen Ende hereinfährt am andere Ende wieder herauskommt. Sie merken was? Genau, da sieht jemand sehr genau, was Sie denn so machen im Netz. Und Sie geben demjenigen dann auch noch u. U. Geld dafür.
    Aber, um ein von Youtube (nicht der GEMA!) gesperrtes Video zu schauen, gibt man doch gern seinen Rechner mittel Proxy der Verseuchung preis. Je eher Kids das lernen desto besser.
    https://torrentfreak.com/torrent-site-proxies-rife-with-malware-injecting-scripts-150806/

  4. Ich schmeiß mich weg, gefühlte 100 Jahre nachdem auch der letzte Hinterbwäldner kapiert hat, dass all dieser ganze Urheberrecht „Änderungsbedarfs “ Quatsch aus Google Lobby Laboren kommt, und nur deren Geweinnmaximiernung dient, steht nun auch bei Netzpolitikals Zusatz bzgl. all den dubiosen NetzInstituten “ maßgeblich von Google finanziert“. Jepp so isses. NImmt ohnehin keiner mehr ernst. Richtig lustig sind die übrigegebliebenen Promoter, die vermutlich noch „Beraterverträge“ haben, und Ihren Vetrtrag zuendebuckeln müssen. Stolbern wie Zombies immer noch durch die Gegend. Frag mich ob „Experten“ wie Kreutzer sich nicht enorm lächerlich fühlen, bei allen Verständnis für den bisjezt attraktiven Businesscase.

    1. Naja, was Sie hier schreiben ist schon harter Toback.
      Aber trotzdem interessant, dass ausgerechent Urheber oder Vermarkter nicht zu dem Gedankenexperiament eingeladen wurden. Vielleicht wäre dann das gewünschte Ergebnis nicht zustande gekommen? Vielleicht hätte jemand, den es wirklich betrifft gleich bemerkt, wo hier schon früh falsch abgebogen wurde und daher ganz woanders rauskommt.
      Hier wird etwas zum Problem erhoben, was eigentlich keines ist. Das Experiment geht nämlich von einer Art Stockholm Syndorm der Urheber aus, aus denen man diese befreien muss.
      Statt sich einmal mit Urhebern oder Vernmarktern darüber zu unterhalten, baut man auf dieser falschen Prämisse immer weiter auf.
      Und dass die Intermediäre als Resultat des Experiments zukünftig noch etwas besser gestellt werden sollen, ist beim Anblick der Finanzierung des Experiments schon extrem bizarr.
      Wes‘ Brot ich ess…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.