Ausstellungspreview: Samizdata: Evidence of Conspiracy

Laura Poitras (Berlin), 2013. by Jacob Appelbaum CC BY-NC-SA 2.0

In der NOME-Galerie in Berlin-Friedrichshain eröffnet heute die Ausstellung SAMIZDATA: Evidence of Conspiracy von Jacob Appelbaum. Sie beschäftigt sich künstlerisch mit ureigensten Netzpolitik-Themen wie Überwachung, Transparenz und der Geheimhaltungskultur.

Die ausgestellte Kunst: Zwei Skulpturen sowie sechs Infrarotfilm-Porträt-Fotografien von bekannten Akteuren aus Überwachungstheorie und -praxis wie Sarah Harrison, William Binney oder Laura Poitras sowie die sie umgebende Architektur entwickeln bereits für sich betrachtet einen spannenden Kontrast:

Ähnlich wie das Neubaugebäude, das die Galerie beherbergt, mit einer forschen Welle aus Beton die Kreuzung an der Dolziger Straße eher erkämpft als für sich gewonnen hat, ist Berlin in den vergangenen Jahren zu einem der Schaltkreuze für die „digitalen Dissidenten“ avanciert, die oft kritisch beäugt – und noch öfter durchleuchtet – werden. Der Zuzug der internationalen Netzaktivisten wie Appelbaum, aber auch von Sarah Harrisson und vielen anderen hat wahrnehmbar dazu beigetragen, dass Politik sich zurück in den digitalen, aber auch analogen Raum (z. B. durch Demonstrationen) spielt – während zeitgleich „merkeln“, das heißt: aussitzen, zum Jugendwort des Jahres gewählt wird. Vieles ist in der Stadt wie in der Ausstellung ambivalent und zutiefst konzeptuell:

Es verwundert nicht, dass die NOME-Galerie sich in dieser Gemengelage dem Spannungsfeld aus Kunst, Technologie und Politik verschrieben hat. In der Vorgänger-Ausstellung wurden Werke von James Bridle gezeigt, der ebenfalls den Ansatz von „Art as Evidence“ verfolgt. Es geht darum, durch Visualisierung bzw. Sichtbarmachung komplexe Themen so aufzubereiten, dass sie in Aktivierungsenergie und politische Prozesse umgesetzt werden können.

Glenn Greenwald & David Miranda (São Paulo), 2012. Jacob Appelbaum. CC BY-NC-SA 2.0
Glenn Greenwald & David Miranda (São Paulo), 2012. Jacob Appelbaum. CC BY-NC-SA 2.0

Der Titel bezieht sich auf den russischen Begriff „Samizdat“, der Ende der 1950er Jahre in der Sowjetunion und dem ehemaligen Ostblock die Verbreitung und Vervielfältigung zensierter Literatur auf nichtoffiziellen Kanälen bezeichnete. Schriften von indizierten System-Kritikern wurden in Geheim-Druckereien oder handschriftlich vervielfältigt und weiterverteilt. Übertragen auf das 21. Jahrhundert passt das Konzept zu Aspekten der Snowden-Affäre und WikiLeaks.

Netzwerke sind nicht zwingend digital. Nicht nur die NSA ist der Meinung, dass die Analyse einer Zielperson innerhalb ihrer sozialen Kontakte sehr viel aussagekräftiger ist, als diese isoliert zu betrachten.

Obwohl insbesondere die Fotografien auch unter reiner Bewertung nach ästhetischen Gesichtspunkten sehenswert sind (sowohl der verwendete Film als auch das Trägermedium werden nicht mehr produziert), sind die spannenderen Ansatzpunkte für die dahinter verborgenen Geschichten in der verwendeten Technik als auch in Bilddetails, der Hängung und dem Gesamtarrangement zu suchen.

Die Motive in den Fotografien sind teils als Metaphern zu lesen. So beispielsweise die Einbeziehung der Natur: Zwar resoniert der verwendete Infrarotfilm (ursprünglich benutzt für Luft-Überwachung in der Landwirtschaft oder Personenprofile in bewaldeten Gebieten) besonders mit dem Chlorophyll der Blättern, die sich in allen Fotografien wiederfinden. Die Wurzeln der Bäume deuten aber auch auf die porträtierten Personen hin: Netzaktivismus ist eine Grassroots-Bewegung aus der Zivilgesellschaft. Zwar gibt es herausstechende Charaktere, wie z. B. Julian Assange, der hier noch vor seinem Exil in einer Londoner Botschaft als aufrechter, jüngerer Mann im Freien eingefangen wird.

Gemeinsam ist den Porträts, dass sie in einem künstlerischen Akt diejenigen in den Konsekrationsraum der Kunst erheben, die sich nicht aus herausragenden gesellschaftlichen Positionen gegen unerwünschte politische Entwicklungen wenden, sondern als wachsame Privatpersonen. Zusammengebracht durch die Snowden-Enthüllungen verbinden sich hier einzelne Akteure zu einem Netzwerk aus Kollaborateuren. An Details wie Schärfe und Unschärfe, Haltungen, abgebildeten Accessoires, Glitches und Posen ließen sich zahlreiche weitere Geschichten exemplifizieren, die nicht nur als Pars pro Toto in der Ausstellung, sondern in einem Übertragungsbogen auch für die politische Arbeit der Dargestellten gelten können.

Nur ein Porträt verwundert ein wenig in dieser Reihe: das von Ai WeiWei. Die Verbindung erfolgt über ein zweites Ausstellungsstück:

P2P (Panda-to-Panda) (Bejing), 2015. Jacob Appelbaum and Ai Weiwei CC BY-NC-SA 2.0
P2P (Panda-to-Panda) (Beijing), 2015. Jacob Appelbaum and Ai Weiwei CC BY-NC-SA 2.0

P2P (Panda to Panda), das in diesem Jahr auf der re:publica vorgestellt wurde, ist eine Kooperation zwischen Jacob Appelbaum und Ai WeiWei, die von Rhizome und dem New Museum in New York in Auftrag gegeben worden war. Für diese Arbeit schredderten die beiden Künstler NSA-Dokumente, die einst Laura Poitras und Glenn Greenwald zugespielt worden waren, und befüllten damit in Ai Weiweis Heimatstadt Peking Pandabär-Plüschtiere. In jedem Pandabären befindet sich eine Micro-SD-Speicherkarte, auf der Weiwei und Appelbaum jeweils eine Überraschung abgespeichert haben. Die Pandabären wurden aus Peking herausgeschmuggelt und reisten um die Welt, wobei sie buchstäblich ein menschliches Netzwerk des Daten-Transfers bildeten: wieder „Samizdata“. 
„Panda to Panda“ nimmt Bezug sowohl auf einen umgangssprachlichen Ausdruck für die chinesische Geheimpolizei als auch auf die sogenannte Peer-to-Peer-Kommunikation (P2P), eine dezentralisierte Anwendungsstruktur, die Aufgaben oder Arbeitspensum auf verschiedene Teilnehmer, „Peers“, verteilt.



Die dritte Arbeit der Ausstellung, Schuld, Scham und Angst, besteht aus filigranen Kettenanhängern, gefüllt mit verschiedenen Materialien: geschredderte Notizen von Journalisten, historische sowie nicht redigierte geheime Dokumente aus dem Sommer der Snowden-Enthüllungen und den darauffolgenden Jahren. Der Titel bezieht sich auf die Emotionen von Journalisten, die mit diesen Materialien arbeiten: „Angst“, das Gefühl aus welchem heraus die Dokumente geschreddert werden; „Schuld“ und „Scham“ in dem Bewusstsein der Tatsache, dass auch Journalisten zu Kollaborateuren in einer Kultur der Geheimhaltung geworden sind.

Im besten Sinne wird in der Ausstellung mit Kunst als Überbrückungstechnologie das geleistet, was in Texten oder Datensätzen nur vereinzelt gelingt. Komplexe moralische Fragen werden durch das Persönliche in den Bildern, fernab der offiziellen Funktionen der Porträtierten, erörtert. Die Tragweite des Kulturwandels hin zu einer Überwachungsgesellschaft wird deutlich – der Katalog versammelt weitere interessante Denkanstöße.

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