Alles unter Kontrolle: Wie sich die Bundesregierung die Geheimdienstaufsicht schönredet

Auszug aus der Klageschrift der Opposition zur Herausgabe der 38.000 abgelehnten NSA-Selektoren.

Die Bundesregierung weist Vorwürfe einer mangelhaften Geheimdienstkontrolle zurück: Eingestufte Dokumente seien den Aufsichtsgremien zugänglich. Diese Aussage ist nicht die einzige, die in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme der Regierung mindestens fragwürdig erscheint.

Die Vorwürfe mangelhafter Kontrolle stammen vom Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks. Dieser hatte in seinem jüngsten Bericht die unzureichende Ausstattung und Koordinierung der deutschen Geheimdienstaufsicht kritisiert. Zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Deutschland schlägt er eine Erhöhung der Personenzahl und IT-Expertise im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) vor (Ziffer 73 des Berichts). Zudem sollen Aufsichtsgremien Zugang zu allen Informationen erhalten, die für die Erfüllung ihres Mandats relevant sind (Ziffer 74).

Eine solche Forderung dürfte nicht von ungefähr kommen: Muižnieks hatte bei seinen Besuchen in Deutschland im April und Mai dieses Jahres unter anderem mit dem Vorsitzenden des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), gesprochen. Der Untersuchungsausschuss arbeitet unter erschwerten Bedingungen: Verspätete oder ausfallende Bereitstellung von Akten und seitenweise Schwärzungen in den angelieferten Dokumenten sind an der Tagesordnung.

Die Kommentare der Bundesregierung zum Europarat-Bericht wirken jedoch, als hätte es nie einen Untersuchungsausschuss gegeben:

Der Informationszugang von Aufsichtsgremien ist nicht durch eine Verschlusssachenklassifizierung beschränkt, sondern unabhängig davon gesetzlich gewährleistet und wird auch tatsächlich in der Praxis sichergestellt.

Die Aufsichtsgremien würden in ihrer Arbeit zudem nicht durch Geheimhaltungspflichten beschränkt werden, eingestufte Dokumente seien ihnen zugänglich. Diese Aussage ist mit Blick auf die Vorgänge im Untersuchungsausschuss anzuzweifeln: Neben den oben genannten Schwierigkeiten, dürften die Selektoren als Kern der zu untersuchenden Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst (BND) und NSA gar nicht erst vom Ausschuss eingesehen werden. Wenn es also um die Praxis geht, schränkt die Bundesregierung den „Informationszugang von Aufsichtsgremien“ nur allzu gerne ein.

Was eine zu geringe Anzahl der Kontrolleure im PKGr anbelangt, so gibt es laut Bundesregierung neben dieser parlamentarischen Kontrolle auch noch die Fachaufsicht. Die liegt für den BND beim Bundeskanzleramt, für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beim Innenministerium. Dort sei ausreichend Personal vorhanden. Doch auch mit der von der Bundesregierung gepriesenen Fachaufsicht ist es nicht so gut bestellt: Da werden trotz Moratorium Mails mit Selektoren gelöscht und fragwürdige Rechtskonstrukte geschaffen. Auch in der gestrigen Sitzung des Ausschusses wurde wieder eindrucksvoll bewiesen, was Aufsicht vom Fach bedeutet.

Schon beim flüchtigen Blick auf die Vorgänge im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss darf denn auch der Verweis der Regierung auf eine „ausgeprägte Organisation des Datenschutzes, der Qualitätssicherung und der Innenrevision“ angezweifelt werden. Doch, damit niemand mehr wegen der Kritik der Menschenrechtskommissars besorgt sein kann, hat die Bundesregierung auch noch was zu Pflichten und wahrheitsgemäßer Auskunft im Kommentar auf den Europarat-Bericht:

Parlamentarische Kontrolle wird typischerweise durch Fragerechte des Parlaments und Antwortpflichten der Regierung ausgeübt. Im Rechtsstaat beruht dies verlässlich darauf, dass die Regierung zutreffend berichtet. Die Grundannahme, die Regierung werde nicht wahrheitsgemäß informieren und das Parlament benötige deshalb in der allgemeinen Aufbauorganisation einen dauernden Verwaltungsunterbau, der in der Lage ist, Regierungsantworten permanent zu überprüfen, ist der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung und dem Verständnis der Bundesregierung fremd.

Da hat wohl jemand das Memo aus dem Untersuchungsausschuss nicht bekommen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

7 Ergänzungen

  1. Guter Artikel! Jeder Abgeordnete im Bundestag weiß, dass das PKGr nicht im entferntesten in der Lage ist, eine wirksame Kontrolle auszuüben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Mehrheit im Bundestag dieser Zustand so gerade recht ist. Das PKGr ist so wie es ist eine Alibi-Institution, weil man siebraucht, um eine glaubhafte Kontrolle vorzuzeigen. Sie ist aber keine Arbeits-Institution, die von sich aus Fehler entdeckt und aufarbeitet. Da kann man mit zwölf Leuten niemals leisten.

    Parlamentarische Kontrolle wird typischerweise durch Fragerechte des Parlaments und Antwortpflichten der Regierung ausgeübt. Im Rechtsstaat beruht dies verlässlich darauf, dass die Regierung zutreffend berichtet.

    Sollte wohl so sein, aber in der Praxis werden Fragerechte ausgeübt und Fragen mit „keine Ahnung“, „kann mich nicht erinnern“ und ähnlichen Ausflüchten unterlaufen. Ohne jegliche Konsequenzen.
    Und wenn ein Herr Henning heute im UA zum Besten gibt:

    Ströbele: NDs leben von Geheimhaltung, gilt das auch gegenüber parl. Kontrollgremien?
    Hanning: Will mich da zurückhalten. Je mehr MdBs, Mitarbeiter das wissen, desto größer Gefahr von Verletzung von Geheimhaltung. Risiko steigt sehr stark an, je mehr Leute Kenntnis haben. Grundsatz „Need to Know“.

    Das bedeutet nichts anderes, als dass man dem PKGr im Zweifel nicht sagen will und nichts sagen wird. Da kann man das Personal des PKGr verzehnfachen und 365 Tage im Jahr arbeiten lassen. Die sollen nichts erfahren. So wird auch bei kritischen Operationen mit Weitblick vermieden, Akten überhaupt erst anzulegen.

    Man denkt gegenwärtig über einen neu zu schaffenden Geheimdienstbeauftragten nach, ähnlich dem Wehrbeauftragten. Bei einer Person könnte nicht soviel abfliessen, so ist die Hoffnung. Doch eine parlamentarische Kontrolle ist das dann auch nicht und dürfte am Umfang der Dienste ebenso scheitern.
    Solange es keine strafbewährte Verpflichtung zur wahrheitsgetreuen Rechenschaft gegenüber Kontrollinstanzen gibt, wird sich die laxe Umgang mit der Wahrheit nicht ändern.

    In der ehemaligen Stasizentrale konnte man sicht auch nicht vorstellen, dass das Volk einmal die Pforte überwindet und kräftig ausmistet. Daran sei erinnert.

  2. Ein Gutes hat die Aussage der Bundesregierung: Ihr sind damit SÄMTLICHE Taten der Geheimdienste direkt zuzuordnen – einschließlich der Vernichtung von Beweismitteln, staatlich verordnete Beihilfe zum vielfachen Mord durch die Regierung eines anderen Staates undsoweiter.

    Welches Unrechtsregime in Deutschland an der Macht ist, sollte spätestens dann deutlich werden, wenn man sich das, was deutsche Geheimdienste auf Geheiß oder mit Billigung der Bundesregierung in aller Welt und im eigenen Land tun, mal so vorstellt, als würden es die iranischen Geheimdienste tun, unter anderem in Deutschland. Einschließlich der Tötung von Staatsfeinden ihrer Alliierten und nebenstehender Zivilisten.

  3. Parlamentarische Kontrolle wird typischerweise durch Fragerechte des Parlaments und Antwortpflichten der Regierung ausgeübt. Im Rechtsstaat beruht dies verlässlich darauf, dass die Regierung zutreffend berichtet.

    .

    Das stimmt (nicht nur in diesem Fall) kein bißchen. Ein Jahr vor Snowden (im Frühling 2012) hatten wir zur „strategischen Fernmeldeaufklärung“ des BND gefragt und zunächst eine Nicht-Antwort erhalten:

    a) Inwieweit greifen Bundesbehörden zur Überwachung von Telekommunikation auf den Verkehr über den Frankfurter Netzknoten DE-CIX (German Commercial Internet Exchange) zu?

    Einzelheiten zu den technischen Fähigkeiten des BND können in diesem Zusammenhang nicht öffentlich dargestellt werden. Es wird wiederum auf Fähigkeiten, Methoden und Verfahren der strategischen Fernmeldeaufklärung eingegangen. Gleichzeitig werden operative Details beschrieben, deren Offenlegung negative Folgen für den BND haben könnte. Im Ergebnis würde dadurch die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörde und mithin die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gleichwohl wird die Bundesregierung nach gründlicher Abwägung dem Informationsrecht des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen nachkommen.

    Die eigentliche Antwort wurde als „Geheim“ eingestuft und in der Geheimschutzstelle versteckt. Daraus darf nicht zitiert werden, doch soviel sei gesagt: Sämtliche in den letzten drei Jahren und nun im NSAUA endgültig bekanntgewordenen Fakten wurden damals (selbst auf neuerliche Nachfrage) bestritten, ein Direktzugriff des BND auf den Datenstrom des DE-CIX brüsk verneint. Auch dass innerdeutsche, vermeintlich ausländische Verkehre komplett abgeschnorchelt wurden, blieb uns bis jetzt verborgen.

    1. Sämtliche in den letzten drei Jahren und nun im NSAUA endgültig bekanntgewordenen Fakten wurden damals (selbst auf neuerliche Nachfrage) bestritten, ein Direktzugriff des BND auf den Datenstrom des DE-CIX brüsk verneint.

      Offenbar darf sanktionslos notorisch gelogen werden. Da hat auch eine Wahrheitsfindungskommission keine Chance. Lügen wir doch alle, dann brauchen wir auch nicht nach der Wahrheit zu suchen. Die Regierung belügt die Opposition, der Staat den Bürger, die Wirtschaft den Kunden, die Eltern ihre Kinder, die Kinder ihren Teddybär. Lügen macht frei. Lügen ist das wahre Leben. Vertrauen aber ist die eigentliche Währung. Was nun?

  4. Ich hätte da eine Idee für die Politik, die ist genial und funktioniert in der freien Wirtschaft hervorragend!
    FSK! ( https://de.wikipedia.org/wiki/Freiwillige_Selbstkontrolle_der_Filmwirtschaft )
    … der Sitz ist in Wiesbaden, braucht als keiner Umzuziehen und in Berlin Sabotage zu betreiben!
    Zitat:“Die Hauptaufgabe der FSK besteht in der Prüfung der Altersfreigabe von Filmen, DVDs, Blu-rays und sonstiger Medienträger (Videokassetten, Trailer, Werbefilme), die in Deutschland zur öffentlichen Vorführung vorgesehen sind.“
    Änderung für die FSK für unsere Dienste:“Die Hauptaufgabe der FSK besteht in der Prüfung der Freigabe bzw. Einstufung von Dokumenten, Datenträger und sonstiger Geheimnisträger, die in Deutschland evtl. zur Veröffentlichung vorgesehen sein könnten, wie z.B. Untersuchungsausschüsse, bewusstes Leaken von Fehlinformationen, zur Desinformation von Staatsfeinden (siehe Untersuchungsausschuss).“
    Wäre doch die optimale Lösung, so bleibt geheim, was der Bürger nicht wissen darf und Politiker bekommen die (Fehl-)Informationen, die sie benötigen, um dem Bürger ein „X“ für ein „U“ vormachen zu können, ohne das sie Bewusst Lügen müssen!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.