ver.di-Kongress über digitale Arbeit – „Technik passiert nicht, wir können sie gestalten“

IMG_20140910_190346_845Was bedeutet die Digitalisierung für die Arbeitswelt und betriebliche Mitbestimmung. Ist das Szenario des Cloud Working Fluch oder Segen? Wie können Mitbestimmung und Selbstbestimmung der Beschäftigten in Zukunft umgesetzt werden? Fragen wie diese wurden auf dem ver.di-Kongress „Arbeitswelt, Selbstbestimmung und Demokratie im digitalen Zeitalter!“ in Berlin diskutiert. Ich war dort und fasse hier zusammen was alles diskutiert wurde.

In seiner Auftaktrede gelang ver.di Chef Frank Bsirske ein Rundumschlag zu allen Fragestellungen zum Thema digitale Arbeit. Unter anderem forderte er mehr Möglichkeiten zur Anonymisierung, eine wirksamen Schutz von Whistleblowern, die verstärkte Nutzung freier Software und die Sicherstellung eines offene Zugangs zum Internet für alle (Stichwort Breitbandausbau). Die Digitale Agenda der Bundesregierung bezeichnete er als unzureichend und „nackt“ angesichts der vielen drängenden netzpolitischen Herausforderungen. Da saß die nächste Rednerin Dorothee Bär schon im Publikum.

Die Digitale Agenda ist nackt? Dann lieber nicht drüber reden.

Die parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sollte anschließend über die Digitale Agenda sprechen. Da dieses Papier allerdings von allen Seiten scharf kritisiert wurde und wird, zog sie es offensichtlich vor sie nur am Rande zu erwähnen. Ihre freie Rede konnte inhaltlich nicht mit Bsirskes Keynote mithalten. Die angsprochenen Punkte blieben im vagen Politiksprech und bei einem Großteil des Publikums dürfte wohl vor allem ihr Kommentar zum Breitbandausbauziel bis 2018 hängen geblieben sein: „50 Mbit/s wird nicht reichen, aber irgendwas muss man ja in einen Koalitionsvertrag schreiben“. Schade, dass sie den wichtigen Netzausbau so auf die leichte Schulter nimmt, sie war immerhin schon in den Koalitionsverhandlungen an der Festlegung dieses Ziels beteiligt.

Im Anschluss erklärte Informatikprofessor Wolfgang Coy den technischen Wandel in der Arbeitswelt – informativ und unterhaltsam, aber auch ohne größere Überraschungen schlug er den Bogen von der aufkommenden Industriegesellschaft bis heute, bzw. morgen. Coy appellierte auch an seine eigene Profession: Informatiker seien verpflichtet Systeme so entwerfen, dass sie sicher und zuverlässig sind und den Menschen dienen – und nicht anders herum. Auch einen Buchtipp hatte er im Gepäck: Flashboys von Michael Lewis sei eine gute Lektüre über Hochfrequenzhandel, als ein Beispiel für die rapide Automatisierung ganzer Branchen.

EU-Datenschutzgrundverordnung und Beschäftigtendatenschutzgesetz

DIMG_20140910_190329_751ie Podiumsdiskussion zum Thema Datenschutz war eher ein Leckerbissen für eingefleischte Datenschutzkenner als eine Einführungsveranstaltung. Der Berichterstatter für die EU-Verordnung Jan Philipp Albrecht (Grüne) diskutierte mit Juraprofessor Peter Wedde, dem Bundestagsabgeordnetem Gerold Reichenbach (SPD) und Ralf-Peter Hayen vom DGB über die gesetzgeberischen Entwicklung beim Datenschutz. Es war eine Debatte, die den laufenden Datenschutzreformprozess auf EU-Ebene umfassend beleuchtete.

Das Ziel ist die Sicherung eines europaweiten Mindeststandards, was aber die Gefahr birgt, dass existierende hohe Datenschutzniveaus teilweise unterboten werden. Professor Wedde warnte, dass der Entwurf der EU-Datenschutzverordnung in seiner aktuellen, vom Europäischen Parlament überarbeiteten Form, den Beschäftigtendatenschutz in Deutschland verschlechtere. Das Schutzniveau für Beschäftigte sei hierzulande nämlich bisher recht hoch, und zwar aus gutem Grund. Der Datenschutz von Beschäftigten müsse besondere Beachtung finden: Auf Grund des asymmetrischen Machtverhältnisses zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten sei hier ein besonderer Schutz nötig. Verschiedene Fälle belegen die potenzielle Bedrohung der Beschäftigten durch Überwachung am Arbeitsplatz, mangelnden Schutz persönlicher Daten im Betrieb und die Unterwanderung der Mitbestimmung, z.B. bei der Personalauswahl. DGB-Vertreter Hayen wies darauf hin, dass die Integration des Beschäftigtendatenschutz in das allgemeine Datenschutzrecht ein Novum der EU-Verordnung ist, bisher sei dieser in Deutschland im Arbeitsrecht verankert, „wo er auch hingehört“, wie MdB Reichenbach bemerkte.

Zwischenzeitlich wurde diskutiert, ob es dann nicht besser sei den Beschäftigtendatenschutz ganz aus der EU-Grundverordnung herauszunehmen, um die deutsche Rechtslage nicht zu verschlechtern. Das erscheint zunächst als verlockender Vorschlag seitens des DGB, er lässt aber außer Acht, dass der nationale Datenschutz schon jetzt ein enormes Vollzugsdefizit aufweist, dem unbedingt auf europäischer Ebene begegnet werden muss. Es ist kein Zufall, dass der Großteil an Internetunternehmen seine Europazentralen in Irland ansiedelt, wo das Datenschutzniveau extrem niedrig ist. Da können nationale Regelungen wenig bis gar nichts bewirken.

Arbeitslos oder arbeitsfrei?

Im zweiten Panel des Tages ging es um generelle Trends in der Arbeitswelt: Automatisierung, Big Data und der Wandel von Herrschaftskonflikten. Ver.di Bundesvorstand Lothar Schröder, CCC-Sprecherin Constanze Kurz und MdEP Jan Philipp Albrecht diskutierten wie Gewerkschaften der im stärkeren Computerisierung und Vernetzung der Gesellschaft und der Arbeit begegnen können. Einer der Kernpunkte: Die „Verdatung“ aller Lebensbereich führt zu einem absolut inhumanen Menschenbild. Alles, was in Zahlen ausdrückbar ist, wird gemessen, verglichen, analysiert. Der Mensch, dass sind immer mehr nur seine Daten, scheint es. Arbeit wird parallel zunehmend entgrenzt und flexibilisiert, was die Gewährleistung von guter, würdevoller Arbeit erschwert.

Auf der anderen Seite steht der globale Trend zu Automatisierung – immer mehr Tätigkeiten werden von Maschinen und Computern erledigt. Ging es im 19. und 20. Jahrhundert um die Automatisierung der Muskelkraft, die viel menschliche Arbeit überflüssig machte, schreitet nun die Automatisierung des Denkens im weiter voran. Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen: ausländische Konzerne haben bereits heute ihre Personalabteilungen vollständig in Software-Systeme ausgelagert, von der Sichtung der Bewerbungen bis zur finalen Einstellungsentscheidung, alles erledigt eine Software. Das wird mittel- bis langfristig viele Menschen arbeitslos machen. Oder eher arbeitsfrei? Constanze Kurz betont, das Erwerbsarbeit verloren geht, aber das muss ja nicht heißen, dass die Menschen nichts mehr zu tun haben. Die Frage laute daher, wie wir die Automatisierungsdividende verteilen. Weitere Gedanken zur Zukunft der Arbeit und wie wir sie gestalten, hat sich Mit-Blogger Lorenz Matzat kürzlich im Kontext der Digitalen Agenda gemacht.

Der beste gewerkschaftliche Ansatzpunkt bei diesem Thema scheint die – tarifliche oder betriebliche – Arbeitszeitverkürzung zu sein. Die Forderung danach scheint aber bisher in den Betrieben noch kein dringendes Anliegen, weshalb das Thema in den letzten Jahren eher vernachlässigt wurde, wie Lothar Schröder selbst zugab. Noch dominiere in vielen Branchen der Fachkräftemangel die Debatte. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis die 30-Stunden-Woche, Bildungsteilzeit, Altersteilzeit usw. stärker in den Fokus rücken.

Tag 2: Überwachung und kritische IT-Infrastrukturen

Den zweiten Tag des Kongresses habe ich nur mit einem Auge am Live-Stream verfolgt. Hier standen der konkrete Schutz vor Überwachung am Arbeitsplatz und Schutzmaßnahmen für sichere Kommunikation auf der Tagesordnung, unter anderen war Jacob Applebaum als Referent geladen. Auf dem späteren Panel wurde durch Berlins Datenschutzbeauftragten Alexander Dix die Forderung laut: auch ver.di muss verschlüsselte Kommunikationswege für seine Mitglieder anbieten, gerade weil gewerkschaftliche Betätigung besonders zu schützen sei. Bisher ist das leider nicht der Fall. Genauso mangelhaft sei allerdings auch die Sicherheit der IT-Infrastruktur im Bundestag, wie Anne Roth berichtete. Nachmittags sollte eigentlich Wirtschaftsminister Gabriel sprechen, er schickte aber seine Staatsministerin Brigitte Zypries.

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2 Ergänzungen

  1. „Der beste gewerkschaftliche Ansatzpunkt bei diesem Thema scheint die – tarifliche oder betriebliche – Arbeitszeitverkürzung zu sein“

    Damit liegen die Gewerkschaften voll daneben, wir haben einen Fachkräftemangel in den MINT Fächern und gleichzeitig einen riesigen Personalüberschuss in den eher ungelernten Jobs. Arbeitszeitverkürzung würde also dazu führen das der Fachkräftemangel dramatisch zunimmt während mehr durchschnittliche Leute wieder einen Job bekommen. Das wäre gerade für Forschungs und Entwicklungsstandorte in Deutschland nen ziemlicher rückschlag wenn das ohnehin kaum zu ersetzende Personal dann weniger Arbeitet. Vor allem in Zukunft wo immer mehr Jobs Hightech jobs seien werden. Nen 40 Jährigen Maurer der wegen Bandscheibenproblemen umlernen muss kann man eben nicht mal so zum Programmierexperten in künstlicher Intelligenz oder so umschulen.

    D.h sollte man da lieber über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutieren !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.