Studie der Bundesnetzagentur: Netzneutralität wird in ganz Europa verletzt, Provider verweigern Auskunft zu Details

Die großen deutschen Internet-Provider weigern sich, öffentlich zu erklären, wie sie die Netzneutralität verletzen. Durch eine IFG-Anfrage erhielten wir ihre Antworten an die Bundesnetzagentur – jedoch weitgehend geschwärzt. Die europäischen Regulierungsbehörden hatten vor zwei Jahren festgestellt, dass Provider in ganz Europa priorisieren, drosseln und blockieren.

Wie die Deutsche Telekom Deep Packet Inspection einsetzt.

Dass die Netzneutralität in Europa schon seit Jahren verletzt wird, haben schon mehrere Untersuchungen belegt, darunter auch das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC). Vor zwei Jahren haben die Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der anderen EU-Staaten analysiert, ob und wie Provider die Netzneutralität verletzen, mit dem Ergebnis (Mirror):

Die häufigsten berichteten Praktiken von Verkehrsmanagement sind die Sperrung und/oder Drosselung von Peer-to-Peer-Verkehr (in Fest- und Mobilfunknetzen) sowie die Sperrung von Voice-over-IP-Verkehr (meist in Mobilfunknetzen, in der Regel auf der Grundlage spezifischer Vertragsbedingungen). Wenn Sperren/Drosseln im Netzwerk implementiert sind, wird dies in der Regel durch Deep Packet Inspection (DPI) realisiert.

Im 39-seitigen PDF waren leider die Antworten der einzelnen Provider nicht dabei. Da uns diese aber besonders interessierten, haben wir vor anderthalb Jahren (vor Snowden!) bei der Bundesnetzagentur eine Informationsfreiheits-Anfrage nach den Antworten der deutschen Anbieter gestellt. Nach 14 Monaten wurde unserem Antrag stattgegeben – wir sollten dazu aber nach Bonn fahren. Das haben wir abgelehnt und stattdessen die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit um Vermittlung gebeten. Ihr Referat hat das mit der Bundesnetzagentur geklärt: statt Bonn sollten wir zur Bundesnetzagentur in Berlin, haben dort die Dokumente aber erhalten. Und diese veröffentlichen wir hier selbstverständlich, als Gesamt-PDF (35 Seiten) oder einzeln:

Diese Antworten sind aber um „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse“ bereinigt, welche von den Unternehmen unterschiedlich ausgelegt werden. Vollständig geschwärzt sind die Antworten von 1&1, NetCologne, Telefónica, Unitymedia KabelBW, Versatel sowie die Festnetz-Antworten von Deutsche Telekom und Freenet. Teilweise geschwärzt sind die Antworten von Kabel Deutschland und die Mobilfunk-Antworten von Deutsche Telekom und Freenet. Nur E-Plus, EWE Tel, QSC und Vodafone sahen in den Antworten keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse und haben die Antworten freigegeben.

Abstrakte IFG-Kunst von NetCologne.
Abstrakte IFG-Kunst von NetCologne.

Die vollständig geschwärzten Unterlagen sind eine Frechheit. Von NetCologne haben wir eine (ausgedruckte) E-Mail erhalten, in der außer einem Teil der Anrede („Sehr geehrter Herr“) und der Grußformel („Mit freundlichen Grüßen“) alles geschwärzt ist. Fast alle schwärzenden Provider verweigern sogar die Aussage, wie viele Kunden sie haben. Dabei veröffentlichen sie diese Zahlen selbst in ihren offiziellen Jahresberichten, die Deutsche Telekom hatte 2012 beispielsweise 22,4 Millionen Festnetz-Anschlüsse und 36,6 Millionen Mobilfunk-Kunden. Ganz offensichtlich sind das keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse – und die Verweigerung pure Schikane.

Pikant sind auch die Anmerkungen der Deutschen Telekom. Auf die Frage, „Welche Technologien (z.B. DPI) werden im Netzwerk eingesetzt, um zwischen Paketen zu unterscheiden?“, antwortet die Firma auf einer ganzen Seite mit vier Punkten und einem Absatz. Für uns wurden diese vollständig geschwärzt. Immerhin bekommen wir für das T-Mobile-Netz bestätigt, dass dort die DPI-Hardware Cisco Service Control Engine eingesetzt wird. Das haben wir bereits vor zwei Jahren berichtet und erklärt: Der Unterschied zwischen Internet in Diktaturen und Deutschland ist nur eine Konfigurationsdatei. Aber Telekom und Vodafone verkaufen das als Feature.

In den wenigen ungeschwärzten Absätzen gibt die Deutsche Telekom unumwunden zu, lieber das Internet beschränken als den Netzausbau vorantreiben zu wollen:

Introducing QOS-differentiation and traffic prioritization would allow for a more cost effective approach to satisfy demand than over-provisioning. The increasing quality of transmission requirements of the new applications mentioned, require additional investments from the ISP side. Whether the same quality of service has to be provided to all applications has a huge impact on the scope of the investment.

Dieser Satz ist fast identisch aus einem Lobby-Papier kopiert, das die Deutsche Telekom selbst beauftragt hat. Demnach wäre der Breitbandausbau mit Netzneutralität angeblich 60 Prozent teurer als ohne. Die Quelle ist eine „Studie“ von AT&T-Mitarbeitern aus dem Jahr 2007. Ich stelle hier mal die These auf, dass das totaler Quatsch ist. Argument dafür: Die Deutsche Telekom hat sich nicht getraut, dieses Argument in der Öffentlichkeit zu verwenden. Damit könnt ihr mich gerne in Positionspapieren zitieren.

Perfide wird das Argument, wenn man die bestehenden Netzneutralitäts-Verletzungen betrachtet, die BEREC dokumentiert hat:

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Dass IP-Telefonie (Voice over IP) und Kurznachrichtendienste wie WhatsApp blockiert werden, liegt keinesfalls an der mangelnden Übertragungskapazität, die für diese Dienste lächerlich gering ist. Der Grund ist einzig und allein, dass diese Dienste die Nutzung überteuerter Sprachtelefonie und SMS überflüssig machen, deren Einnahmen die Anbieter aber unbedingt erhalten wollen – weil es ihre eigenen sind. Schon im April letzten Jahres haben wir festgestellt: Das Datenaufkommen ist nur vorgeschoben und die Telekom will einfach nur mehr Geld verdienen. Der Zugang zum offenen Internet darf aber im 21. Jahrhundert nicht nur als Ware betrachtet werden, sondern er ist eine Grundvoraussetzung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Die Bundesnetzagentur und die Europäischen Regulierungsbehörden haben schon vor zwei Jahren offiziell festgestellt, dass das freie und offene Internet von Providern in der ganzen EU beschränkt wird. Seitdem dürften die Eingriffe in die Netzneutralität leider nicht abgenommen haben. Jetzt will BEREC eine Neuauflage der Studie starten.

Es ist und bleibt aber Aufgabe der Politik, das freie und offene Internet zu erhalten. Den Stand der Verhandlungen auf EU-Ebene hatte unser Mitblogger Thomas Lohninger auf unserer Geburtstags-Konferenz erklärt: Update zur Netzneutralität.

Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, kommentiert die Antworten der Provider gegenüber netzpolitik.org:

Dass ausgerechnet die Auskünfte der größten Provider in Deutschland nur geschwärzt an die Öffentlichkeit gelangen, ist ein Skandal. Ob die Deutsche Telekom, Vodafone und Kabel Deutschland hochinvasive Technologien wie Deep Packet Inspection einsetzen oder nicht, ist kein Geschäftsgeheimnis. Kundinnen und Kunden dieser Unternehmen müssen abschätzen können, welchen Gefahren sie ihre Privatsphäre mit einem Vertragsabschluss aussetzen. Darüber hinaus sollte sich insbesondere die Deutsche Telekom lieber bei der Ausschüttung von Dividenden zurückhalten, statt die Investitionen für einen echten Breitbandausbau zu verschleppen und den Mangel durch Priorisierung zu verwalten.

18 Ergänzungen

  1. Kein Grund zum Anlass der Befürchtung einer Beunruhigung, nicht gleich in Panik zu verfallen!
    Super-Oetzinger wird sich darum kümmern,… Englisch gelernt haben wird,… wie einst der Widerstandskämpfer Filbinger gegen das Telcoregime…, …Gegenwart verwalten im Sinne der Vergangenheit als Zukunft zu gestalten,… der wohlverdienten Erhöhung der eigenen Bezüge auf weitere Untotenexistenz…, …nicht zu schade, …unabdingbar die Privatssphäre zu verstaatlichen, … ein Supergrundrecht auf Habgier und grenzenlose Verblödung zu verabschieden, …der neuesten Neu-Netzaltrealität des übernächstvorvergangenen Jahrtausends nichts mehr im Wege steht.
    Genau so und nicht anders wird es kommen, fürwahr Wir der Kaiser des Imperium Lummerland sind.

    Und jetzt, liebe Kinder, geht raus spielen und klaut Googleaktien, damit auch aus Euch mal was Anständiges wird!

    Luzifer mit uns! Für Döpfner und das geunheiligte Vaterland!

  2. Die Telco-Manager haben schlicht die Hosen voll. Denen gehen die Muffen, dass jemand merkt, dass mit echtem Netz irgendwelche Zusatzdienste auf einen Schlag überflüssig sind. Dass kapiert wird, dass Infrastruktur neutral zu sein hat. Dass dann die ganze auf Dienste-Bullshit basierende Bauernfänger-Marketingstrategie für die Tonne sein könnte. Die Hintermänner wiederum haben Angst, dass mit echtem Netz, also ohne künstlichen Zwang, überkommene unsichere Dienste zu nutzen, Überwachung schwieriger wird.

  3. Seit 10 Jahren wird der Untergang des Internet beschworen, wenn die Netzneutralität nicht unbedingt gesetzlich festgeschrieben wird. Aber bis jetzt ist irgendwie nichts passiert, das Internet ist noch da und hat sich im Grunde prächtig entwickelt. Warum sollte also unbedingt jetzt etwas negatives passieren? Warum sollte jetzt massiv reguliert werden? War das nicht ein Erfolgsgrund, warum sich das Internet so gut entwickelt hat, weil es praktisch nicht reguliert wurde?

    Das klingt für mich alles wie eine Lösung auf der Suche nach einem Problem.

    1. Achso. Und es wird ja auch seit 10 Jahren jeder totalüberwacht, und es ist überhaupt nichts schlimmes passiert!

      Warum interessier ich mich also überhaupt für den ganzen Scheiß hier? Ich geh jetzt wieder RTL gucken.

    2. Sie gommen mür hür mid Argumenden des westlisch-imbörialüstischen Äusbäudergabidalismus‘! Das Zöndralgommidee had aber beschlössen, dass Infrasdrukdur nödral zü sen had!

    3. Darauf antworte ich dir als Raucher: Seit vielen Jahren qualme ich nun schon Zigaretten, und was ist passiert? Rein gar nichts. Kein Lungenkarzinom, kein Herzinfarkt, kein Raucherbein. Und, um deine Formulierung zu benutzen: Warum sollte jetzt etwas Negatives passieren?
      Klartext: Hinreichend komplexe Systeme haben normalerweise eine gewisse Resistenz gegen zerstörerische Einflüsse, deswegen machen die sich nur mit teils großer Verzögerung bemerkbar. Meistens, wenn es zu spät ist.

  4. Das IFG gilt nicht für private Unternehmen. Daher können sie schwärzen was sie wollen.

    Zur Netzneutralität: Es nervt. Ich bin gegen Netzneutralität. Wer viel Bandbreite nutzt, soll bitte dafür extra bezahlen oder gedrosselt werden. Wer meint, aus jeder noch so kleinen Statistik ganz tolle Grafiken, Animationen und Videos machen zu müssen, die genausoviel aussagen wie die 1kB große zugrundeliegende Datenmenge – ok, aber nicht jammern wenn solcher Bandbreitenspam genauso behandelt wird. Bei der ganzen Diskussion geht es um beinahe ausschließlich eigennützige Interessen der jeweils Beteiligten.

    1. Das Problem ist: Du hast nicht verstanden, was Netzneutralität bedeutet – denn die hat rein gar nichts mit einer möglichen Volumenbegrenzung des Traffics zu tun.

      1. Die Netzneutralität (was auch immer Du darunter verstehst; das meiner Erfahrung nach bei jedem Aktivisten was anderes) ist jedenfalls die höherwertige TK-Dienstleistung gegenüber dem Ist-Zustand. Das kann ich so aus der Forderung nach Netzneutralität schließen, richtig?

        Wenn nun Provider verpflichtet werden, eine höherwertige Leistung bereit zu stellen, bleibt es immer noch der Kunde, der diese Leistung bezahlt – eben zwangs- statt wahlweise (heute bspw. über Business-Tarife oder einfach informierte Provider-Wahl). Oder sagen die Anbieter dann: Ok, jetzt müssen wir jetzt wohl unsere Margen verkleinern. Dividende heuer gestrichen. Wie naiv muss man sein?

    1. Der Anfang ist gemacht, jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter. Damit du mitkommst, anhand eines ganz einfachen Beispiels aus dem Artikel:
      „Dass IP-Telefonie (Voice over IP) und Kurznachrichtendienste wie WhatsApp blockiert werden, liegt keinesfalls an der mangelnden Übertragungskapazität, die für diese Dienste lächerlich gering ist. Der Grund ist einzig und allein, dass diese Dienste die Nutzung überteuerter Sprachtelefonie und SMS überflüssig machen, deren Einnahmen die Anbieter aber unbedingt erhalten wollen – weil es ihre eigenen sind.“

      Aha, also die Provider blockieren jetzt z.B. VoIP, damit ihnen die Umsätze mit der nativen Netztelefonie nicht flöten gehen.

      Preisfrage an den Netzneutralitätsexperten woodchuck: Welche Auswirkung hat es wohl auf das Preisniveau von Datentarifen, in denen VoIP bislang aus diesem Grund blockiert wird, wenn VoIP nicht mehr aus diesem Grund blockiert werden darf?

      1. Antwort, kurz & bündig: Das Preisniveau wird steigen. Und?
        Damit keine Missverständnisse aufkommen: Für Netzneutralität zu sein bedeutet nicht, die Auffassung zu vertreten, dass Carrier nichts verdienen dürfen.

  5. Das ist ganz klar ein Fall für die Kartellbehörden. Denn wenn die Provider es sich leisten können, das Netz zu bremsen und zu filtern wie es ihnen beliebt, um so ihre Profite zu maximieren, zeigt das, dass es denen offenbar gelungen ist, Wettbewerber vom Markt fernzuhalten, die günstige und ungebremste Leistungen anbieten. Und das ist kartellrechtlich ganz klar verboten.
    Doch so wie es aussieht hat das Kartell schon so erfolgreiche Lobbyarbeit betrieben, dass auch die Kartellwächter die Finger von diesem heißen Thema lassen…

    1. Noch etwas zur Ergänzung: Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass es je nach Netzbelastung verschiedene Tarife geben kann, weil die (geplanten) Breitbandnutzungen ja tatsächlich sehr viel Bandbreite brauchen als z. B. das Abrufen von WWW-Texten. Daher wäre es tatsächlich nicht schlecht wenn Tante Lisa, die nur gelegentlich ein paar Emails schreibt, einen billigeren Tarif bekommen kann als jemand, der den ganzen Tag lang Videos streamt oder Online-TV guckt.
      Allerdings sollte das schon fair und transparent geregelt sein, so dass die Verbraucher nicht erst im Nachhinein feststellen was gefiltert oder ausgebremst wird. Also müsste ähnlich wie bei Lebensmitteln, wo die Zutaten auch auf der Verpackung anzugeben sind, das Angebot der Provider (Mindest-Geschwindigkeiten, Sperrungen usw.) vor dem Kauf für alle sichtbar sein.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.