Störerhaftung: Freifunker klagen vor Berliner Amtsgerichten – Gesetzgeber bleibt am Zug

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Die beiden Berliner Freifunk-Aktivisten Ralf Gerlich und Bianco Veigel haben vor den Amtsgerichten Neukölln und Lichtenberg Klage erhoben. Sie wollen gerichtlich feststellen lassen, dass sie nicht für mutmaßliches Filesharing durch unbekannte Nutzer ihrer Funknetze haften. Die beiden waren jeweils für angebliches Filesharing abgemahnt worden, das sie dadurch ermöglicht haben sollen, dass sie ihre WLANs bewusst nicht verschlüsseln, sondern der Öffentlichkeit frei zur Verfügung stellen.

Bei den Klagen wird es rechtlich vor allem darum gehen, ob das sog. Providerprivileg des § 8 Abs. 1 des Telemediengesetzes auch für „Nebenbei-Provider“ wie die beiden Freifunker gilt. Zwar unterscheidet das Gesetz eigentlich nicht danach, ob jemand den Internet-Zugang gegen Entgelt oder gratis anbietet. Gleichwohl herrscht derzeit in Deutschland eine im internationalen Vergleich einmalige Rechtsunsicherheit. Zwar käme niemand auf den Gedanken, etwa die Telekom für Urheberrechtsverletzungen abzumahnen, die über ihre Access Points begangen werden. Anders sieht die Lage aber für „Nebenbei-Provider“ wie die Freifunker oder auch Cafes und Hotels aus: Der Bundesgerichtshof hat 2010 in seiner (halbwegs) einschlägigen Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ zur Haftung von WLAN-Betreibern das Providerprivileg nicht einmal erwähnt. Daher ist rechtlich ungeklärt, ob sich auch Betreiber von WLANs auf diese Haftungsbefreiung berufen können, die nicht dem klassischen Bild des Providers entsprechen. Folge: In Deutschland herrscht vergleichsweise „Funkstille auf dem Bürgersteig“, während man z.B. in den USA dauernd auf offene Netze trifft, die freundliche Menschen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.

Vor diesem Hintergrund wäre ein positiver Ausgang der beiden Berliner Musterverfahren sehr erfreulich, um die vom Gesetz nicht gedeckte Diskriminierung von „Nebenbei-Providern“ aus der Welt zu schaffen. Man sollte allerdings nicht aus dem Blick verlieren, dass sich das Problem „Störerhaftung“ allein gerichtlich leider kaum lösen lassen wird. Aufgrund des Instanzenzugs in Zivilsachen dürften die beiden nun bei Amtsgerichten erhobenen Klagen kaum beim Bundesgerichtshof ankommen. Alleine der BGH könnte aber eine bundesweit maßgebliche Entscheidung fällen. Und selbst wenn der BGH mit dem Problem wieder befasst werden sollte, so ist doch sehr fraglich, ob er seine Linie korrigieren würde: Immerhin hat er alle bisherigen Chancen ungenutzt gelassen, die Störerhaftung für WLANs abzuschaffen.

Daher liegt der Ball trotz der beiden Berliner Verfahren weiter im Feld des Gesetzgebers. Der Verein Digitale Gesellschaft hat bereits 2012 einen Muster-Gesetzentwurf veröffentlicht, wie das Problem der Störerhaftung gelöst werden könnte. Die LINKE hatte auf dieser Grundlage einen eigenen Entwurf in den letzten Deutschen Bundestag eingebracht. In einer Anhörung des Unterausschusses Neue Medien im Mai 2013 äußerten sich die angehörten Experten durchweg positiv dazu. Es bleibt zu hoffen, dass der jüngst angekündigte Gesetzentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium die Störerhaftung für „Nebenbei-Provider“ ebenso konsequent abschaffen wird wie es der Text der Digiges vorsieht. Leider könnte hier aber Unheil drohen: Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass das Wirtschaftsministerium das Providerprivileg nur für kommerzielle „Nebenbei-Provider“ wie Cafes und Hotels klarstellen möchte. Damit stünden die nicht kommerziellen Freifunker endgültig im Regen, denn im Umkehrschluss würde der Gesetzentwurf dann wohl zugleich klarstellen, dass das Providerprivileg für sie tatsächlich nicht gilt. Die Digitale Gesellschaft forderte daher klarzustellen, dass die Störerhaftung keinen WLAN-Betreiber trifft. Letztlich wird das am genauen Wortlaut des Gesetzes hängen. Falls also jemand den Gesetzentwurf zufällig zur Hand hat …

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6 Ergänzungen

  1. Gibt es einen Grund warum nicht erwähnt wird, dass Ralf Gerlich Fraktionsvorsitzender für die Piraten in Berlin ist?

    1. Ehrlich gesagt gibt es dafür sogar gleich zwei Gründe:
      – ich wusste das nicht; er ist ja auch „nur“ in einer BVV Fraktionsvorsitzender und war mir bisher nicht aufgefallen
      – dass er dieses Amt innehat wurde auch in der Mitteilung der Freifunker nicht erwähnt; wäre es ihm wichtig, so hätte es dort vermutlich gestanden
      Aber ich lerne gern dazu: Vermeintliche Unbekannte einfach mal googlen ;-)

  2. Unser Rechtssystem ist langsam, überlastet, bei technischen Themen von Gestern und teuer. Sprich für den Hintern und nur für Leute die es sich leisten können durch Instanzen zu klagen.
    Man bräuchte wohl eine Regierung, die sich um das Wohl der Bevölkerung kümmert und nicht ständig an deren Interessen vorbeiregiert. Aber ich gerate wohl schon wieder ins fantasieren ;)

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