#rp14: Überwachung macht impotent – Friedemann Karig auf der re:publica

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Friedemann Karig, praktisch erfahrener Zukunftsforscher, strategischer Planer, Autor, Moderator und Journalist, begeisterte auf der re:publica mit einem Vortrag über neue Narrative gegen Überwachung. Unter dem Titel „Überwachung macht impotent“ führte er eindringlich vor Augen, was eigentlich alles falsch ist an den Narrativen, die gegenwärtig die Debatte um Überwachung prägen.

Das Problem sei ja, dass einem Großteil der Deutschen die Ausspähskandale einfach egal seien. Der Grund hierfür liegt in der einseitigen Art und Weise, die Geschichten zu erzählen, mit dem ständig wiederkehrenden Mantra „Ich habe nichts zu verbergen“, oder auch gekoppelt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“. Diese Narrative (nach Terry Pratchett für Karig die „DNA einer Geschichte“) teilen die Menschen in Gruppen, die Guten, die nichts zu befürchten haben und daher nichts verbergen wollen sollten, und die Schlechten, und wer will schon zu denen gehören? Karig identifiziert noch weitere grundlegende Narrative, welche den Diskurs über die Überwachung beschönigen, verweichlichen oder rechtfertigen:

Die erfundene Dualität „Supergrundrecht Sicherheit vs. Freiheit“, die Verharmlosung, es handle sich bei den gesammelten Daten ja „nur um Metadaten“, die Journalisten-Trias von „Facebook, Google und co.“, die ja die eigentlich Bösen seien, und das kleinmacherische „man kann ja eh nichts tun“. Die Narrative, die Verteidiger der informationellen Selbstbestimmung und Gegner der Überwachung diesen Sichtweisen entgegensetzen, sind mittlerweile alt und angestaubt und reißen niemanden mehr vom Hocker: „Privatsphäre“, „Datenschutz“, „gläserner Mensch“. Um wirklich etwas zu bewegen in einer Demokratie müssen die Politiker den Druck von unten spüren, und dieser Druck lässt sich nur aufbauen, wenn man die Bürger wieder überzeugt, emotional mitnimmt, ihnen begreiflich macht, was Überwachung anrichtet und welche Lügen erzählt werden.
Karig führte dann empirisch belegte Munition ins Feld, die sich gegen Überwachung einsetzen lässt: Zahlreiche Studien, welche die psychologischen Effekte von Überwachung untersuchten, belegen den Einfluss auf Selbstbeschränkung und zunehmende Aggression, Traurigkeit und Angst. Überwachung führt demzufolge zu einem messbaren, merklichen, objektiven Schaden an der Gesellschaft. Im Internet wird geclustert, gescoret und Daten werden mit obskuren Listen in den USA abgeglichen, was beispielsweise einmal zu einem Einreiseverbot für Nelson Mandela führte.

Kurz und bündig entkräftete Karig am Schluss die eingangs eingeführten Narrative: Dass man nichts zu verbergen habe, sei Unsinn, verbergen sei nur menschlich. „Geheimnisse sind heilig, denn Wissen ist Macht“. Ein „Supergrundrecht Sicherheit“, was sich gegen Freiheit ausspielen lässt, gibt es nicht: „Überwachte sind weder sicher noch frei“. Die Visualisierung von Metadaten zeigt: die sind „nur“ wie gute Detektive. „Alle Daten sind meine Daten!“. Zur ‚Achse des Bösen‘ Facebook, Google & co zeigt sich Karig unbeeindruckt: Natürlich sind die großen kommerziellen Datenkraken ein Problem, und dennoch füttern wir sie größtenteils aus eigener Entscheidung mit Daten. Dagegen hat niemand Kontrolle darüber, was die NSA so über einen weiß. Das Stichwort lautet Gewaltmonopol: Nur der Staat darf seinen Bürgern Gewalt antun, sie also beispielsweise in Gefängnisse stecken. Er muss deswegen kontrolliert werden, der Staat ist nur ein Butler, der dem Bürger dient. Intransparenz und Datenmissbrauch müssen hier unbedingt verhindert werden. „Der Unterschied zwischen NSA und Google ist das Gewaltmonopol. Meine Daten – meine Entscheidung“. Zu guter Letzt ist die Vorstellung falsch und einer Demokratie nicht würdig, dass man eh nichts tun könne. Der Staat ist der Diener für die Bürger, und staatliche Behörden, also auch Geheimdienste, sind Dienstleister, „wie die Müllabführ. Geheimdienste gehören abgerüstet“.

Mit beeindruckender Klarheit und unter Zuhilfenahme humoristischer Bebilderung machte Karig klar: Überwachung macht krank, traurig, impotent (im Sinne von ohnmächtig), ängstlich, verletztlich, dumm und primitiv. Sie ist unmenschlich. Er schloß mit einer Portion Pathos, als Anstoß für eine neue Debatte, die alle Menschen mitnimmt und begreiflich macht: Die Welt braucht ein freies Internet. Schutz gegen Überwachung ist geistiger Klimaschutz. Daten sind Leben, Daten sind Menschenrecht. Das Appell ging an alle Zuhörer und darüber hinaus: Wir dürfen nicht aufhören, gegen Überwachung zu kämpfen. Nicht aufgeben!

Der vollständige Videostream von Karigs Auftritt findet sich hier.

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3 Ergänzungen

  1. Auch wenn es weh tut, wir müssen uns eingestehen, dass in unseren Reihen kaum eloquente, schlagfertige und gewiefte Redner zu finden sind. Schaut Euch z.B. mal Glenn Greenwald oder Jacob Appelbaum an. Die haben rhetorisch einiges drauf, leider nur auf Englisch.

    Dabei wäre es vergleichsweise einfach, mit einer Mischung aus Polemik, Sarkasmus und harten Fakten die Propaganda der Überwachungsextremisten aufzubrechen und die Sicherheitsideologen in die Enge zu treiben.

    Dafür müssen wir allerdings die Gegenseite auch mit ihren eigenen Mitteln schlagen. D.h. wir müssen die Samthandschuhe ausziehen und gezielt unfair spielen.

    Hier mal spontan ein paar provokative und offensive Fragen:

    – Warum müssen jedes Jahr zehntausende unschuldige Menschen durch Krankenhauskeime sterben? Regierung, CDU/CSU und Polizei wollen doch alles für die Sicherheit der Menschen tun!? Warum herrschen dann Personal- und Geldmangel in deutschen Krankenhäusern? Sonst spielt Geld doch auch keine Rolle, wenn es um mehr Sicherheit geht.

    – Warum müssen immer weniger deutsche Polizisten für immer weniger Geld immer mehr arbeiten? Regierung, CDU/CSU wollen doch alles für die Sicherheit der Menschen tun!? Warum bekommen dann immer nur Hersteller von Überwachungstechnik mehr Geld, nicht aber die Polizisten an der Basis?

    – Warum gibt es keinen ausreichenden staatlichen Schutz gegen Berufsunfähigkeit? CDU/CSU will doch alles für die Sicherheit der Menschen tun!? Warum nicht auch soziale Sicherheit? Warum droht jedem bei Verlust der eigenen Arbeitskraft die sichere Armut? Ist das Sicherheit?

    Vielleicht hat hier der eine oder andere weitere, passende Vorschläge für wirksame Gegenpropaganda ?

  2. Also bei dem Punkt Verschlüsselung muss ich wiedersprechen. Natürlich muss man langfristig versuchen andere Ansätze zu finden und die Situation an sich verändern. Aber auch wenn unsere Kommunikation rechtlich geschützt, für den Moment ist Kryptographie wohl leider der einzige Weg dieses Recht (soweit möglich) für sich zu bewahren.

  3. Das hauptsächliche Problem ist, das die „Bedrohung“ nicht greifbar d.h. viel zu abstrakt ist. Es müssen Beispiele für jedermann gefunden werden, auf einer absolut nicht technischen Ebene, die jedem veranschaulichen warum es wichtig ist Selbst tätig zu werden! Die Menschen die am digitalen Leben teilnehmen, müssen anhand anschaulicher Beispiele aufgeklärt und anschließend an die Hand genommen werden, um zu zeigen was Jeder einzelne dagegen tun kann! Es muss davon ausgegangen werden, dass der Großteil der Nutzer kein ausreichendes technisches Wissen über das Internet hat, um sich selbst genügend ab zu sichern.

    Zum Beispiel sollte daran erinnert werden, das durchaus private Dinge in Gefahr sind, z.B. die eigenen Zugangsdaten (Konto –> möglicher Verlust von Geld, das zieht immer)! Oder zum anderen wären da private Fotos zu nennen (auch im Bezug auf die immer weiter verbreitete automatische Gesichtserkennung). Es kann doch durchaus einmal das ein oder andere „Horror-Szenario“ in dieser Hinsicht geschildert werden! Das gilt sowohl für den Bereich des legalen Data-Mining sowie aber auch für den Missbrauch von Daten, inkl. dem großen Graubereich. Denn auch die NSA zapft mit Freude bereits abgeschöpfte und aufbereitete Datenbasen an, da reiben die sich die Hände!

    Kurzum Aufklärung ist angesagt, nehmt die Leute an die Hand, es müssen Kanäle / Beispiele gefunden werden, die Leute davon überzeugen das Jeder betroffen ist und Jeder in der Lage ist etwas dagegen zu tun. Was wäre denn z.B. gegen ein Fach „Internetkunde“ (im Bezug auf Sexualkunde d.h. Aufklärung) in der Schule zu sagen?

    Es muss in die Köpfe der Leute!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.