Rezension: Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei

auf_nieder_piratenEs ist doch ein „betreutes Tagebuch“ geworden – zumindest teilweise. Das streiten Christopher Lauer und Sascha Lobo im Vorwort ihres Buches zwar ab. Doch das heute nur digital erschienene Werk „Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei“ fusst auf 60 Stunden Interviews mit Lauer. Die sind gerahmt von Analysen, die beide zusammen verfasst haben.

Wiedergegeben wird die Geschichte der deutschen Piratenpartei chronologisch ab 2006; detailliert und angereichert mit so manchen Anekdoten. Zudem finden sich Verweise auf Resonanz sowie Einschätzungen in den Medien – selbstverständlich werden auch Tweets zitiert. Abgerundet werden die knapp 250 Seiten durch ein Personen- und „Gate“-Verzeichnis. Es handelt sich zwangsläufig um eine Geschichtsschreibung aus Lauers Perspektive – „oral history“. Das Ganze ist gut lesbar; auch die Analysen sind nicht im akademischen Ton gehalten.

Lauers Weg

Lauer ist sich durchaus seiner polarisierenden Rolle bewusst. So erinnert er sich an den Bundesparteitag 2011:

Ich wurde als unfreundliches, arrogantes Arschloch dargestellt. Meine trotzigen Reaktionen auf die Angriffe machten es nicht unbedingt besser. Es mangelte mir auch nicht an Selbstbewusstsein, was bei den Piraten keinen großen Sympathiebonus ergab. (S. 110).

Auch geht er an mancher Stelle selbstkritisch mit sich ins Gericht. Über Marina Weisband etwa sagt er:

Ohne mir einzustehen, neidete ich ihr die Aufmerksamkeit und war deshalb aus ganz egoistischen Motiven erst mal froh, dass sie ging. Rückblickend wirkt mein Neid auf mich kindisch, kurzsichtig und charakterschwach. (S. 144)

Aus der Sache ergibt sich, dass es viel um die Berliner Piraten geht. Als Leser kann man Lauers Weg in die Partei, seiner Karriere und schlussendlich seinen Ausstieg verfolgen. Dabei lernt man von den Anforderungen an einen Politikamateur, von heute auf morgen professionelle Politik in althergebrachten Strukturen wie dem Berliner Abgeordnetenhaus machen zu müssen. Und wie schwer es ist, gegen institutionalisierte Abläufe mit unerprobten und intern umstrittenen Verfahren anzugehen (Stichwort: Liquid Feedback).

Es wird deutlich, welch‘ bedeutende Rolle persönliche Animositäten innerhalb einer Partei spielen. Doch ist die Geschichte Lauers nur eine von unzähligen Politikkarrieren; solcherlei Dynamik und Machtspiele dürften sich in allen Parteien finden, wie auch in Vereinen und anderen Zusammenschlüssen.

Die Analyse des Niedergangs

Wesentlich ist an Lauers und Lobos Buch eine Sache: Wie analysieren sie den Umschwung vom Aufstieg zum Niedergang?

Ihrer Meinung nach lag der Wendepunkt Mitte 2012:

Viel spricht dafür, dass der legendäre Radiomonolog Sven Regeners der Auslöser war. (S. 165)

Allerdings habe es eine Vielzahl von Vorraussetzung geben müssen, damit die Partei dadurch aus den Fugen geraten konnte. Es habe einen Umschwung im Narrativ gegeben, einen „Mediensturm“; die Haltung der Partei zum Urheberrecht geriet unter Beschuss und die Struktur der Piraten seien nicht in der Lage gewesen, dem zu begegnen.

Danach habe nicht zuletzt Twitter als „Abhang“ gedient:

Der Umbau der Piraten von einer Bewegung zur Partei war notwendig und schmerzhaft, wie bisher bei vermutlich jeder Partei, bei den Grünen ganz gewiss. Die Piraten waren aber die erste Partei, bei der sich diese Transformation unter den Augen der Öffentlichkeit vollziehen musste. (S. 202)

Fazit

Das u.a. von Lobo gegründete Portal „Sobooks“ erlaubt das Lesen nur am Bildschirm – ich persönlich hätte die Schrift gerne als eBook erhalten. Wen das nicht grundsätzlich stört, erhält ein lesenswertes Buch – falls er/sie sich für die jüngste politische Geschichte in Deutschland interessiert, für zum Teil etwas zu minutiöse Schilderungen über diverse interne Vorgänge und Flügelkämpfen in Vorständen und Parteigremien aus Sicht von Lauer. Es mag als Lehrbuch über die Schwierigkeiten politischer Arbeit und bei Großgruppenmoderation dienen, als Leitfaden für bad practise bei Social Media-Strategien sowie als Fallstudie über den problematischen Umgang mit Sexismus in männerdominierten Organisationen.

Aber grundsätzlich Neues gibt es nicht zu erfahren. Die analytische Tiefe bleibt auf dem in der Regel unterkomplexen Niveau von Zeitungskommentaren; sie geht nicht über das Hinaus, was das Autorenpaar in einem am Wochenende erschienenen Interview in der FAZ antwortete. Bei Lobo und Lauer scheint die Piratenpartei in einer Laborsituation geschehen zu sein. Weder spielen andere politische Parteien mit ihren erfahrenen Apparaten eine Rolle, die durchaus nicht nur mit Sonntagsreden gegen die Piraten agiert haben dürften. Noch werden die Effekte von Vorgängen wie der „Finanzkrise“, des „arabischen Frühlings“ und nicht einmal von Snowdens Enthüllungen auf das gesellschaftliche Klima betrachtet. Dabei ist es der Nährboden jeder Partei. Den Niedergang hauptsächlich am Umgang mit dem Thema „geistiges Eigentum“ festzumachen, scheint mir zu simpel.

Am Ende bleibt eine Binnensicht, die auch Lobo als als Parteiexterner nicht aufbrechen kann, weil er zu nah dran war. Trostlos ist das Fazit von Lauer, der sich gar nicht sicher sei, je in der richtigen Partei gewesen zu sein (S. 240). Warum die Piratenpartei ohne „inhaltliche Vision“ dringender gebraucht wird denn je, wie die beiden Autoren im Nachwort schreiben (S. 246f.), können sie mit ihrem Buch nicht deutlich machen.

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16 Ergänzungen

  1. Danke für die ausführliche Rezension. Ein paar – aus meiner Sicht relevante – Anmerkungen:
    Wir machen den Niedergang nicht „hauptsächlich“ am Umgang mit dem Thema „geistiges Eigentum“ fest – wir bezeichnen das als „Auslöser“ (auch im Interview, deutlicher im Buch):
    „Wenn Sven Regeners Piratentirade der auslösende Schneeball des lawinenartigen Niedergangs war, waren die sozialen Medien der Abhang.“ (Inbook-Link: https://sobooks.de/book/lobo-lauer-piratenpartei/199 )
    Dass es sich dabei um eine These handelt, sagen wir (ebenfalls im Interview) auch sehr deutlich. Und schließlich ist, unabhängig wie man selbst zu diesem Thema steht, schwer von der Hand zu weisen, dass eine Persepktivveränderung unter Journalisten stattgefunden hat. Der größte, eindeutig gegen die Piraten gerichtete Aufruf pro Urheberrecht wurde von stellvertretenden Chefredakteuren von SPIEGEL und Welt unterzeichnet, von hunderten Multiplikatoren – natürlich hatte das eine Wirkung auch auf die Medienlandschaft selbst. Und genau das beschreiben wir. Dass Du schließlich das gesellschaftliche Klima nicht eingearbeitet siehst, erstaunt mich. Ich versuche es mir zu erklären mit einer Mischung aus „wir haben das nicht deutlich genug herausgearbeitet“ und „Du hast wirklich sehr, sehr schnell gelesen“.

    1. Danke für den Kommentar. An welcher Stelle geht ihr den auf Themen wie die Finanzkrise oder den arabischen Frühling ein – mit ihrem Effekt auf das politische Klima und Wandel von politischen Prioritäten? Wo macht ihr euch Gedanken, welche Rolle Snowden für die Stimmung in der Bevölkerung spielte?

      1. Das Kapitel 7.5 hat Snowden im Titel, es fängt an auf Seite 208.
        https://sobooks.de/book/lobo-lauer-piratenpartei/208

        Die beiden anderen Themen werden nur peripher angesprochen (gern selbst nachsehen die Suchfunktion im Buch funktioniert ganz gut), weil wir sie nicht für essentiell halten im Innenpolitischen Kontext. Der Arabische Frühling und die Finanzkrise sind wichtig – aber ich persönlich glaube nicht, dass die auf das Wahlverhalten der deutschen Wähler im Kontext der Piratenpartei soviel Einfluss hatten. Völlig abgesehen davon sagen wir sehr deutlich am Anfang des Buchs: „Wir erheben mit diesem Buch ausdrücklich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit“: https://sobooks.de/book/lobo-lauer-piratenpartei/6

    1. So, das war es jetzt mit euch, Netzpolitik.org.
      Ich werde euch auf eurem qualitativen Sturzflug nicht länger begleiten.

      Wie kann man denn mehr beleidigen als seinen Lesern Werbung, getarnt als Artikel, für ein von diesem lauten, penetranten, von nichts Ahnung aber zu allem eine Meinung habenden Herrn Lobo geschriebenes Buch und dessen Verkaufsplattform vorzusetzen?

      1. Tja dann… mach’s gut und danke für den Fisch.

        Weißt du, Sascha hatte schon recht als er vor einigen Monaten bei ’nem Bühnenauftritt einen Rant gegen das Publikum vom Stapel gelassen hat. Wir leben eine Arroganz, die ihresgleichen sucht. Dir ist schon bewusst, dass du mit deinem Auswurf die Hand beißt, die dich mit dem Kampf um deine Grundrechte füttert? Ein bisschen (!) Eigenwerbung darf bei sowas doch kein Problem sein. Schon gar nicht in Anbetracht unser aller undankbaren Mitnahmementalität. Wer sich trotzdem darüber mokiert, darf es gern mit Info-Kopp versuchen. Oder bist du Großspender, dass du dir das zu kritisieren leisten kannst? Falls nicht… siehe oben!

      2. Ganz davon ab, was bitte ist daran Werbung? Das ist eine Buchkritik, dem Fazit nach noch nicht einmal besonders pro Buch. Kannst du Werbung, sachliche Kritik und Rezension nicht auseinander halten? Dann guck lieber nicht bei Wikipedia rein! Du würdest von der ganzen Werbung da echt erschlagen…

  2. Und wo ich gerade dabei bin – natürlich finde ich es schade, dass wir es nicht geschafft haben, Dir unser Ziel mit dem Buch deutlich zu machen. Als Autor muss man sich da an der Perspektive des Lesers messen lassen. Ich weise bezüglich Deiner Schluss-Einlassung allerdings darauf hin, dass wir eben nicht schreiben, dass „die Piratenpartei“ dringender gebraucht wird denn je, sondern eben die „eigentliche Idee hinter der Piratenpartei“. An deren Ausformulierung aus dem vagen Gefühl die Piraten gescheitert sind (das vage Gefüh dürfte jeder von uns skizzieren können, wir nennen es am Anfang des Buchs „Heimat im Internet“ und „sozialisiert im und mit dem Netz“ unter anderem).

    1. Ok, ich habe es nicht exakt formuliert, sondern sinngemäß verkürzt – am Ende käme aber finde ich das gleiche raus: „Warum die „eigentliche Idee der Piraten“ – einer Partei ohne „inhaltliche Vision“ – dringender gebraucht wird denn je, wie die beiden Autoren im Nachwort schreiben (S. 246f.), können sie mit ihrem Buch nicht deutlich machen.“

  3. Ohne das Buch gelesen zu haben (so fangen stets die besten Kommentare zu Büchern an):
    Kommen die restlichen Parteien als Rahmenbedingung wirklich nicht vor?
    Ich finde es zumindest bemerkenswert, dass die NetzpolitikerInnen bei Grünen, LINKE und SPD durch die Piraten eine starke Aufwertung erfahren haben.
    Mit dieser Konkurrenz konnte und kann die Piratenpartei medial nicht mithalten und nachdem die netzpolitischen Inhalte kopiert waren, blieb für uns WählerInnen nicht viel mehr als die Abwägung „Irres Original“ oder „Kopie, aber wenigstens nicht total abgedreht“.

    1. Doch, hinsichtlich der netzpolitischen Auswirkungen der Piraten kommen die anderen Parteien sehr wohl vor. Meine Kritik bezieht sich darauf, dass deren Manöver, um einen politischen Konkurrenten auszuschalten, nicht reflektiert wird. Die beteiligen ja ganze Abteilungen von Spin Doctors.

      1. Nicht nur Spin-doctors, wenn man sich deren interne Umgangsformen (die noch übler sind als alles,w as sich die Piraten in der Öffentlichkeit zutrauten) ansieht kann ich mir gut vorstellen das auch der eine oder andere Troll bzw. Schmutzsammler (ich sag nur Popcorn) aus Ihren Reihen sich mit Freuden an die Arbeit gemacht hat um Unfrieden zu stiften.

        Aber das ist sicher nur eine Verschwörungsvermutungen, die grüßten Trolle und Unruhestifter sind sicher alle mit edlen Motiven bei der Arbeit gewesen. Manche bloggten, andere schrieben Bücher – sogar über den politischen Gegner, Herr Lobo, oder werden sie nicht mehr von der SPD hofiert?

  4. Frage: Lohnt sich ein Einstieg bei den Piraten überhaupt noch, oder ist es besser gleich zu den Linken zu gehen? Aktive politische Arbeit ist gewollt, sie sollte aber auch Sinn machen und Früchte tragen. Problem bei Linke ist, dass diese zumindest in Bayern vom VS beobachtet werden und gewisse Berufsgruppen eine Mitgliedschaft ausschließen. Wann klagt die Partei endlich mal gegen diese undemokratische Situation?

    1. Da wäre die Frage: was meinst Du mit „lohnen“? Wer in erster Linie eine politische Karriere anstrebt sollte bitteschön nicht zu den Piraten gehen. Von Parteienhoppern und Selbstdarstellern hat man dort nämlich erstmal die Nase gestrichen voll.

      Ansonsten hilft ein Blick in das Grundsatzprogramm der Parteien. Denn wer in eine Partei eintritt sollte sich mit diesem identifizieren können und bereit sein, für die darin formulierten Ziele mit den anderen Mitgliedern gemeinsam zu arbeiten. Der Kurs, den die Piraten zum Glück jetzt wieder steuern, ist seit dem aBPT in Halle ja wieder eindeutig festgelegt.

      Insofern bin ich froh, dass Leute, die damals bei den Piraten nur deshalb eingetreten waren, weil sie dort ihre *eigenen* Ziele verwirklichen wollten, ihren Hut genommen haben.
      Dass ein Christopher Lauer in anbetracht seines drohenden Ausscheidens aus dem Berliner Senat jetzt nochmal versucht, seine „Memoiren auf Kosten seiner ehemaligen Parteikollegen „zu „vergolden“, ist zwar unschön, aber auch das werden die Piraten überleben.

      1. Deine Antwort ist eine typisch deutsche und zeigt die vorherrschende Grundeinstellung und Vorbehalte die sich durch alle Bereiche zieht :(
        Mit „lohnen“ meinte ich „sich politisch lohnen“! Also eine Partei die auch mittelfristig mit ihrer Arbeit etwas erreicht. Ich kann die gleiche Arbeit in aktuell zwei mögliche Parteien investieren, will aber aus sicherlich nachvollziehbaren Gründen auch mit dieser Arbeit für die Menschen etwas erreichen. Pöstchen brauche ich nicht, da dies meist wirklich produktive Arbeit behindert.
        Allerdings finde ich, dass Du oben genau das Verhalten zeigst, dass Menschen davon abhält tätig zu werden. :(

      2. Ob meine Haltung typisch Deutsch ist kann ich nicht beurteilen, aber wenn jemand fragt ob sich etwas lohnt, so wie Du es getan hast, habe ich wohl unbewusst eine entsprechende Abwägungshaltung impliziert. Deswegen habe ich ja auch nachgefragt. Sorry dafür.

        „Politisch“ lohnt sich ein Engagement meiner Meinung nach immer. Und das ist für mich unabhängig von einer Parteienzugehörigkeit. Wenn man sich aber einer Partei anschliessen will, muss die Schnittmenge zwischen der eigenen Vorstellung und der Ausrichtung der Partei die größtmögliche sein, weil es eben darum geht, *gemeinsame* Ziele durchzusetzen.
        Deswegen kann die Entscheidung, ob sich die Arbeit in *Deinem* Sinne „lohnt“, nur von Dir selbst beantwortet werden. Es kommt halt darauf an, was für eine Art von politischem Engagement Dir persönlich vorschwebt. Vielleicht kannst Du das ein wenig erläutern?

        Was mich angeht: ich bin jetzt seit gut drei Jahren bei den Piraten aktiv. Mir persönlich geht es neben der Stärkung unserer Freiheits- und Bürgerrechte (und der Eindämmung des immer mehr ausufernden Überwachungsstaates) auch darum, die Leute „wachzurütteln“, sie dazu zu bringen, sich wieder selbst mit der Politik zu beschäftigen, zu zeigen dass Demokratie mehr ist als nur über die Regierung zu meckern und bestenfalls am Sonntag wählen zu gehen. Ich denke, hier konnten durch Diskussionen bei Workshops, Infoständen oder anderen Aktionen schon Erfolge erzielt werden.

        Wenn Du Dich über die Piraten informieren möchtest, schau einfach mal bei Deinem lokalen Piratenstammtisch vorbei – man kann sich auch als „Freibeuter“ einbringen, ohne gleich beitreten zu müssen. Eine Übersicht findest Du unter http://wiki.piratenpartei.de/Treffen oder auf der Homepage von Deinem Kreis- bzw. Landesverbandes.

        Oder schreib mir einfach eine Email, wenn Du noch fragen hast.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.