Rasterfahndungen könnten polizeialltäglich werden, Gesetzentwurf nächste Woche in erster Lesung im Innenausschuss

Illustration des Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin zu Rasterfahndungen
Illustration des Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin zu Rasterfahndungen

Schon mehrmals war hier über die Auseinandersetzungen zur „Antiterrordatei“ und „Rechtsextremismusdatei“ zu lesen (1 | 2): Diese müssen neu gefasst werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht Änderungen einforderte. Hintergrund ist die erstmals ins Gesetz geschriebene Möglichkeit einer „erweiterten Datennutzung“. Dahinter verbirgt sich ein Data Mining, wenn nämlich Datensätze aus anderen Datenbeständen Quellen hinzugezogen werden um Auffälligkeiten zu finden oder neue Informationen zu generieren.

Mittlerweile hat sich auch der Bundesrat zu Wort gemeldet, der ebenfalls vor der „erweiterten Datennutzung“ warnt. Die Humanistische Union weist allerdings darauf hin, dass der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf lediglich Empfehlungen abgeben darf. Die Arbeit im Innenausschuss des Bundestags soll am kommenden Donnerstag beginnen.

Wie berechtigt die Bedenken sind, zeigt eine Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Häufigkeit von Rasterfahndungen. Die Frage war, wie häufig sich Polizeien und/oder Geheimdienste des Bundes in den letzten 15 Jahren an derartigen Maßnahmen beteiligt hatten. Zunächst wurde lediglich mitgeteilt, dass außer dem Bundeskriminalamt (BKA) keine Sicherheitsbehörden Rasterfahndungen durchgeführt hätten. Für das BKA konnte das Ministerium zunächst lediglich den Zeitraum 2008 bis 2012 beauskunften, wonach es eine Rasterfahndung gegeben habe. Aus einer anderen Anfrage war bekannt, dass es dabei um den „Verdacht auf schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes“ gegangen war.

Weitere Angaben wollte das BMI nachliefern, denn es handele sich um eine „aufwändige Erhebung“. Das geschah allerdings erst auf direkte Nachfrage beim BMI. Nun wissen wir:

Im fraglichen Zeitraum führte das BKA nach Anordnung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof 1999 eine Rasterfahndung wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung durch, die erfolgreiche Maßnahme diente der „Identifizierung“ eines „hochrangigen PKK-Kaders“.

Nach dem 11. September 2001 wurden dann in allen 16 Bundesländern „zu präventiven Zwecken“ Rasterfahndungen nach „Schläfern“ durchgeführt. Das BKA half den Länderpolizeien dabei, die juristische Grundlage bildeten die jeweiligen Landesgesetze.

Besonders überraschen dann die Antwort zu den „umfangreichen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU)“: Denn laut dem BMI wurden in diesem Zusammenhang 80 entsprechende Maßnahmen durchgeführt. Bekanntlich wurden dabei rund 13 Millionen „Transaktionsdaten aus Einsätzen von Kredit- und Debitkarten“, etwa 300.000 Hotelübernachtungsdaten und eine Million Autovermietungsdaten einbezogen. Weil auch diese Rasterfahndungen unter Verantwortung der Länder durchgeführt wurden, weiß das BMI angeblich nichts weiter darüber.

Mit einem gewissen Recht kann also behauptet werden, dass das Auffliegen des NSU in Deutschland zu einem ähnlich großen Angriff auf die digitale Privatsphäre geführt hat wie 9/11. Die Lehre aus dem mordenden „Nationalsozialistischen Untergrund“ ist also nicht, die staatlichen Behörden stärker zu kontrollieren oder ihnen wegen ihrer absichtlichen oder unabsichtlichen Beihilfe Kompetenzen zu entziehen. Stattdessen wird der Apparat sogar aufgerüstet, mit neuen Datenbanken und entsprechenden Gesetzen versehen und die bessere Zusammenarbeit von Polizeien und Geheimdiensten festgeschrieben.

Umso wichtiger ist der Widerstand gegen das Aufbohren der „Antiterrordatei“: Denn mit der vorgesehenen „erweiterten Datennutzung” würde eine Rasterfahndung polizeialltäglich. Nochmal zur Erinnerung: Am 5. Juni wird sich der Innenausschuss des Bundestages in erster Lesung mit dem zu ändernden Gesetz befassen.

P.S.: Derartige „Nachlieferungen“ von Antworten auf parlamentarische Anfragen enthalten mitunter weitere, heikle Informationen. So hatte die Bundesregierung in einem anderen Fall auf Nachfrage behauptet, das Verteidigungsministerium (BMVg) betreibe keine Forschungen zum automatisierten Durchforsten von öffentlichen Quellen des Internet (eigentlich auch eine Art Rasterfahndung). Es ging um ein militärisches Projekt namens „WeroQ“. In der früheren Antwort hieß es zu dessen Funktionsweise, „Soziale Medien sind davon ausgenommen und werden nicht betrachtet“. Nun kommt heraus: Stimmte gar nicht. Angeblich habe der Satz gestrichen werden sollen, das BMVg habe in der Schlussabstimmung darum gebeten, das sei aber vergessen worden. Richtig müsse es also heißen: „Das BMVg ist mit einem Forschungsvorhaben zur Wissenserschließung aus offenen Quellen (WeroQ, Vorhabennummer: EF020) befasst. An diesem Vorhaben sind keine weiteren Teilnehmer und Beobachter beteiligt.“

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