Sachverständige im NSA-Untersuchungsausschuss: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“

Morgen findet die 7. Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag statt. Zwei Tagesordnungspunkte dieser Sitzung werden öffentlich sein, es handelt sich um zwei Sachverständigenanhörungen. Natürlich sind wir auch morgen wieder mit dabei und berichten.

Die erste Anhörung wird sich mit dem Thema der völker- und europarechtlichen Fragen der Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten befassen. Vorab liegen uns zwei Stellungnahmen vor: Die von Dr. Helmut Philipp Aust, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht der Humboldtuniversität Berlin, und von Prof. Douwe Korff, Professor für Internationales Recht an der London Metropolitan University.

Beide setzen sich in ihren Stellungnahmen damit auseinander, welche völker- und europarechtlichen Regelungen es in Punkto Datenschutz, Grundrechtseingriffe und elektronischer Überwachung gibt, welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden können und was das konkret für die massenhafte Überwachung durch die Five Eyes bedeutet.

Wer im Glashaus sitzt…

Dabei zeigt Dr. Aust auf, dass es keinen internationalen Konsens zum Datenschutz gibt, dafür aber auf Europaebene ein Abkommen von 1981 über den Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten existiert, dem von den Five Eyes Großbritannien angehört. Dieses Abkommen definiert materielle Schutzstandards, definiert allerdings auch Schranken „zum Schutz der Sicherheit des Staates, der öffentlichen Sicherheit sowie der Währungsinteressen des Staates oder zur Bekämpfung von Straftaten“. Eingriffe in die Standards sind also möglich, wenn sie „durch das Recht der Vertragspartei vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft“ notwendig sind. Generell sieht er im Datenschutzrecht keine griffige Möglichkeit, die Überwachung zu begrenzen:

Am ehesten können datenschutzrechtliche Regeln in mittelbarer Form Bedeutung gewinnen, indem sie es Unternehmen der Privatwirtschaft erschweren, auf „Kooperationsangebote“ von Nachrichtendiensten zu reagieren. Jedenfalls würden strengere Regeln zur Weitergabe von Daten die betroffenen Unternehmen dazu zwingen, gegenüber ihrer jeweiligen Regierung den wirtschaftlichen Preis für globale Überwachungstätigkeit deutlich zu artikulieren.

Im Menschenrecht finden sich Regeln zur Erhebung und Verarbeitung von Daten in völkerrechtlichen Verträgen wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Dass das Recht auf Privatsphäre auch im Internet – „online wie offline“ – gilt, ist von den Mitgliedstaaten der UN durch die im Konsens angenommene Generalversammlungsresolution „The right to privacy in the digital age“ im Dezember 2013 bekräftigt worden. Ohne Einordnung konkreter Vorgänge kann dieser Resolution entnommen werden, dass es einen Konsens in der Frage gibt, dass staatliche Überwachungsmaßnahmen zu Verletzungen des Rechts auf Privatsphäre nach Art. 12 AEMR und Art. 17 IPbpR führen können.

Sowohl der Europäsiche Gerichtshof für Menschenrechte als auch der UN-Menschenrechtsausschuss haben mit Auslegungen der EMRK und des IPbpR die Schutzstandards konkretisiert. Solche Mindeststandards sind beispielsweise die vorherige Aufzählung der Straftaten die eine Überwachung zulässig machen, die muss jedoch nicht exklusiv gelten, das Interesse nationaler Sicherheit reicht auch als Begründung. Es sollte die zu überwachende Personengruppe beschrieben werden, die Beschränkung der Überwachung (Dauer, Verfahren, Verwendung, Speicherung) muss gesetzlich geregelt sein und Eingriffe müssen „einem legitimen Ziel i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK dienen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein; strategische Überwachung ist nur dann zulässig, wenn es Garantien gegen Missbrauch gibt.

Aust sieht es als wichtig an, die weiter Konkretisierung der Standards voranzutreiben:

Die Standards, die für die Auslegung von Art. 17 IPbpR gelten sollen, müssen als universale Standards gedacht werden. Dies wirft zwei Fragen auf: Zum einen ist zu berücksichtigen, dass nachrichtendienstliche Maßnahmen legitimen Zwecken und Zielen dienen können. Bei einer weiteren Stärkung des internationalen Schutzes der Privatsphäre wird es nicht nur um das Verhältnis zwischen amerikanischen Diensten und den Bürgerinnen und Bürgern westlicher Staaten gehen können. Zum anderen ist das Risiko einzuberechnen, diese erste Überlegung zu ignorieren. Der Glaubwürdigkeit des internationalen Menschenrechtsschutzes wird es nicht zuträglich sein, wenn „Sonderrecht“ für bestimmte, hauptsächlich westliche Staaten gesetzt wird, dessen Einhaltung angesichts der Durchsetzungsschwäche der universellen Menschenrechtsnormen im Hinblick auf die Praktiken der Überwachung in anderen Staaten – sowohl durch eigene wie auch fremde Dienste – von vornherein illusorisch ist. Kurzum: insbesondere auf der Ebene des IPbpR ist immer an die Universalisierbarkeit der materiellen Standards zu denken.

Zudem warnt er, dass auch der BND grundrechtswidrig Auslandskommunikation überwacht. Und dass möglicherweise die Bundesregierung haftbar wird:

Wer sich als Staat selbst an weitreichenden Programmen der nachrichtendienstlichen Überwachung beteiligt, kann dies kaum glaubwürdig kritisieren. Dazu kommt, dass sich durch Kooperationen im nachrichtendienstlichen Bereich auch eine Haftung der Bundesrepublik für Beihilfe zu Völkerrechtsverstößen ergeben kann.

USA und UK verletzten deutsche Souveränität

Korff geht in seiner Stellungnahme noch etwas weiter und verurteilt deutlich die Spähübergriffe der USA und anderer Staaten gegenüber Deutschland und der Welt: Die Überwachung der Internetaktivität und Kommunikation von Bürgern eines anderen Staates zu Friedenszeiten, ohne Einwilligung des Staates und unter Zuhilfenahme illegaler Methoden durch Agenten des ersten Staates auf dem Territorium des anderen Staates ist ihm zufolge eine Verletzung der Souveränität dieses Staates. Deutschlands Souveränität werde demnach in Deutschland verletzt. Und außerhalb des deutschen Territoriums sind Deutschland und die USA immer noch Vertragspartner, gegen deren Vertragsabmachungen von den Überwachern verstoßen wurde.

Korff rät Deutschland, die Angelegenheit als Streitfall vor den Internationalen Gerichtshof bringen. Dafür würde jedoch ein Einverständnis von USA und UK benötigt, was unwahrscheinlich ist. Auch eine Zustimmung zu einer Schlichtung ist wenig wahrscheinlich. Stattdessen muss sich auf interstaatliche Prozeduren unter Internationalem Menschenrecht bezogen werden.

Korff ist in seiner Meinung sehr deutlich. Ihm zufolge hat Großbritannien europäische Mindeststandards der Überwachung verletzt, auch die USA haben den IPpbR gebrochen, und eine Berufung darauf, dass alles extraterritoriell passiert sei, sei verlogen. Internationales Menschenrecht sollte überall und für jeden gelten.

Es ließe sich noch viel mehr zu den hochinteressanten Gutachten schreiben, die hoffentlich ab morgen auch online sind (und dann selbstverständlich hier verlinkt werden). Wir sind gespannt, welche Aspekte der Sachverständigen morgen in der Anhörung Beachtung finden. Für uns hört es sich bislang so an:

Es gibt (wenn auch schwache) internationale Standards, sowohl aus normalem Völkerrecht wie auch aus menschenrechtlicher Perspektive.

Diese Standards haben die USA und die anderen Staaten der Five Eyes verletzt.

Dieser Rechtsbruch sollte nicht ohne Folgen bleiben, die internationalen Normen sollten stärker ausgearbeitet werden.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

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