Justizminister Maas: Keine Vorratsdatenspeicherung vor EuGH-Urteil (Update: Bosbach/Uhl sauer)

Im aktuellen SPIEGEL verspricht Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD):

Ich lege keinen Gesetzesentwurf vor, bevor der Europäische Gerichtshof endgültig geurteilt hat, ob die Richtlinie die Rechte der EU-Bürger verletzt oder nicht.

Im Dezember hatte der Generalanwalt des EuGH Pedro Cruz Villalón die geltende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt. Das endgültige Urteil des EuGH wird Anfang 2014 erwartet. In den meisten Fällen folgt das Gericht dem Schlussplädoyer.

Maas‘ Versprechen ist erfreulich, aber kein Grund zur Genugtuung. Die SPD hält eine grundrechtskonforme Vorratsdatenspeicherung [sic!] für möglich und hat deren Verankerung im Koalitionsvertrag mitgetragen (PDF, S. 147). Die Umsetzung einer neuen Richtlinie entlang „enger“ Vorgaben des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts läge auf SPD-Linie. Die SPD befürwortet somit nicht weniger als die Errichtung einer Überwachungsinfrastruktur, die verdachtsunabhängig sämtliche Verbindungsdaten in Deutschland (und Europa) erfasst.

Die in der Folge des EuGH-Urteils zu erwartenden Neuentwürfe einer VDS-Richtlinie sowie nationale Umsetzungsversuche gilt es zu verhindern. So nicht, anders nicht, gar nicht.

Abend-Update:

Wolfgang Bosbach (CDU) ist sauer auf Maas und bringt (mal wieder) ein längst widerlegtes Argument:

 Es sei „gerade nicht vereinbart worden, dass wir so lange abwarten, bis eine Entscheidung vorliegt“, sagte Bosbach dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Denn an jedem Tag, an dem die Vorratsdatenspeicherung nicht eingeführt sei, könnten Straftaten nicht aufgeklärt werden.

Für das Protokoll: Hans-Peter Uhl (CSU) ist auch nicht einverstanden mit dem Justizminister. Die Opposition begrüßt dagegen Maas‘ Schritt. Ein Glück, dass wir den nicht auch noch loben müssen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

19 Ergänzungen

  1. Naja, Maas weiss, dass sich beim EuGH ein fauler Kompromiss abzeichnet. Der führende Generalanwalt hat ja bereits angedeutet, dass eine kurze Speicherzeit okay sein wird.

    Insofern ist es aus der Sicht derjenigen, die wissen, dass VDS auch VDS ist, wenn anlasslos nur eine Woche gespeichert werden würde, nichts weiter als ein billiger Trick – also etwas, wofür die Verräter bei der SPD bekannt sind.

    Ich trau denen nicht mal soweit, wie ich sie werfen kann.

  2. „Ich bin sehr skeptisch bei der Vorstellung, dass eine Flut von Daten der Bürger ohne Anlass gespeichert wird und so vielen Stellen zugänglich ist.“

    Der neue Bundesjustizministers von der SPD hätte noch zu klären, ob das alle Genossen genau so sehen wie er. Sonst hat er dazu nicht mal eine Mehrheit in der eigenen Partei, wie das Verhalten der SPD (und der Grünen) Ende 2013 in Schleswig-Holstein und NRW demonstriert – hier zum nachlesen:

    http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schleswig-Holstein-und-NRW-positionieren-sich-zur-Vorratsdatenspeicherung-2057543.html?wt_mc=rss.ho.beitrag.rdf

    In beiden Landtagen standen ähnliche Texte zur Abstimmung – eingebracht von der Piraten-Fraktion:

    Schleswig-Holstein:
    „Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte. Deshalb werden wir uns auf Europa- und Bundesebene im Bundesrat und der Innenministerkonferenz gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzen.“

    NRW:
    „Der Landtag stellt fest: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte der Bürger unseres Landes.
    … Der Landtag fordert die Landesregierung auf: sich auf allen politischen Ebenen, auf EU-Ebene, im Bundesrat und der
    Innenministerkonferenz gegen jede Form der anlasslosen
    Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.“

    Abstimmungsergebnisse:
    – Zustimmung in Schleswig-Holstein mit Stimmen von SPD & Grüne
    – Ablehnung in NRW mit Stimmen von SPD & Grüne

    Die Vorratsdatenspeicherung ist bei SPD & Grüne intern ein hoch umstrittenes Thema und wird rein taktische zur Wählermobilisierung eingesetzt. Da sollte es schon verwundern, wenn der Bundesjustizminister hier klare Kante zeigen würde wie Leutheuser-Schnarrenberger.

    1. Zustimmung. Auf Bundesebene scheint mir die (momentane) Position der SPD zur Vorratsdatenspeicherung jedoch klar. Den besten Beweis liefert der Koalitionsvertrag. Kann man ändern, aber die Bretter sind dick – und dann ist da auch noch die Union.

      1. Warum haben die Grünen in NRW den Antrag der Piraten abgelehnt? Aus koalitionstaktischen Erwägungen!

        Warum wird die SPD nichts tun im Bund?

        Nein, das ist doch jetzt wirklich zu einfach, oder?

  3. Das bedeutet leider nur eine etwas verlängerte Gnadenfrist, ein kurzer Aufschub. Das ist ein kleines Zuckerbrot für die „Netzgemeinde“ von der SPD, nachdem man dort völlig unten durch ist, ohne aber irgendwas tatsächlich aufzugeben. Im Gegenteil, man kann dann hinterher die Schuld auf andere schieben. „Wir machen das ja total ungern und nur weil wir dazu gezwungen sind, also habt uns bitte wieder lieb, wir wollen doch nur euer bestes.“

    1. In NRW haben SPD & Grüne gegen den Piraten-Antrag gestimmt – ohne Zwang und Folter!

      Um es noch mal deutlich zu sagen: SPD und Grüne GEHT ES NICHT UM INHALT! Die nutzen das Thema nur taktisch. Wer den Parolen von z.B. Mass glaubt, der ist selber schuld.

  4. „Die SPD befürwortet somit nicht weniger als die Errichtung einer Überwachungsinfrastruktur, die verdachtsunabhängig sämtliche Verbindungsdaten in Deutschland (und Europa) erfasst.“

    Die SPD befürwortet, dass die aktuelle Praktik der Polizei und Geheimdienste auf legalen Boden gestellt wird.

    1. „Die SPD befürwortet, dass die aktuelle Praktik der Polizei und Geheimdienste auf legalen Boden gestellt wird.“

      Es gibt auch andere aktuelle Praktiken, z.B. Mord und Vergewaltigung. Soll das auch auf legalen Boden gestellt werden?

    2. Eben. Und da liegt ja letztendlich das immer gleiche demokratische Problem. Will man diese Art der Überwachung ohne Verdacht oder nicht?
      Was würde wohl Karl Popper heute davon halten? Erhält diese Art von Kontrolle die offene Gesellschaft oder macht es sie kaputt?

      (Der Rest dieses Textes fiel der Selbstzensur zum Opfer. Kein Scherz.)

  5. „Die SPD befürwortet somit nicht weniger als die Errichtung einer Überwachungsinfrastruktur, die verdachtsunabhängig sämtliche Verbindungsdaten in Deutschland (und Europa) erfasst.“ Ergänzung: und Ortsdaten.

    Einfach gesagt worum es geht: wer, wann, wo, mit wem, wie oft, wie lange.

    Oder auf gut Deutsch: Aufenthaltsorte, Bewegungsprofile, zwischenmenschliche Kontakte und Verhaltensmuster.

    Und zwar von allen. Von Richtern, von Anwälten, von Staatsanwälten, von Polizisten, Beamten, Politikern, von deren Kindern, deren Enkeln, Ärzten, Patienten usw.

    Darum geht, und darum, der Abmahnmafia einen Gefallen zu tun.

    Unserer Industrie würde es dazu erheblichen Schaden zufügen.

    Lieber Herr Maas, Danke. Bitte denken Sie auch vor allem an unsere junge Menschen, so Leuten wie Posbach und Uul gehen die doch sonst wo vorbei, typisch alte Männer halt.

    Mal abgesehen davon, dass es nicht um Terrorbekämpfung und Kindesmissbrauch geht … Terror bekämpft man am besten damit, dass man den Menschen keinen Grund für Terror gibt ;)

    Deutschland mag ja das einzigste Land in der EU sein, das die Vorratsdatenspeicherung nicht umsetzt, aber D ist in der EU auch das beste Land, in der Wirtschaft, bei der Kriminalitätsbekämpfung und dem sozialen Lebenswert.

  6. Hier mal Vorschlag für ein Meme:
    „Denn an jedem Tag, an dem wir in einer Demokratie leben, könnten Straftaten nicht aufgeklärt werden.“
    „Denn an jedem Tag, an dem Bosbach nicht unser wohlwollender Diktator ist, könnten Straftaten nicht aufgeklärt werden.“

  7. Das Problem sind nicht nur die Politiker, die Freierfundenes als wahr darstellen, gar luegen oder solch ignorante Aussagen treffen – siehe Martins post -, sondern auch unwissende und eingeschüchterte Journalisten, die nicht solche Aussagen gleich an Ort und Stelle hinterfragen.

  8. Maas tut doch nur das allermindeste. Wenn Apple für morgen das iPhone 6 ankündigt, dann kaufe ich doch nicht noch heute abend dringend das iPhone 5, nur damit ich unbedingt heute abend noch einen Notruf absetzen kann.

  9. Ich habe in einem Forum darauf hingewiesen, dass die VDS auch deshalb sinnlos sei, weil sie nur zur AUfklärung schwerster Verbrechen genutzt werden darf. Darauf erhielt ich folgende Antwort:

    Die unmittelbare Nutzung ist auf die schwersten Straftaten begrenzt (Punkt 5 des BVerfG-Urteils). Dafür ist die VDS allerdings wirklich unnötig, da hier die Aufklärungsquoten jeweils bereits über 97% betragen.

    Die mittelbare Nutzung der Daten wird dagegen praktisch vollkommen freigegeben und sogar außerhalb des Strafkatalogs für reine Ordnungswidrigkeiten erlaubt, solange diese gesetzlich geregelt sind.

    Wenn der Gesetzgeber es so ins Gesetz schreibt, kann die Stadt Auskunft erhalten sobald sie falsch parken – und laut BVerfG widerspricht das nicht dem Grundgesetz (Punkt 6 des Urteils).

    Springender Punkt ist hier natürlich der Begriff der „mittelbaren Nutzung“. Darunter ist zu verstehen, dass man die IP bereits selbst ermittelt haben muss. Unmittelbare Nutzung bedeutet, dass man das nicht schon vorher braucht.

    Kommt die VDS, wird sie für die Bestrafung von Beleidung oder Downloads genutzt werden, und das ganze ist konform mit dem Grundgesetz.

    Stimmt das? Können die VDS-Daten wirklich für alles benutzt werden?

    1. Es ist so … wenn die VDS erst mal etabliert ist, wird sie nach und nach für alles eingesetzt werden, das zeigen u.a. die Beispiele in den Ländern, in denen es die VDS bereits gibt.

      Dazu muss man beachten, dass es reicht, wenn der Staat _behauptet_, es läge eine schwere oder schwerste Straftat vor (wenn du falsch parkst, kann das eine Ordnungswidrigkeit sein, oder aber auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr usw.).

      Dazu ist die Definition von „schwerster“ Straftat nicht einfach. Auf Urheberrechtsverletzungen stehen z.B. in Sonderfällen 5 Jahre Gefängnis, eine (angebliche) Beleidigung des Bundespräsidenten liegt im ähnlichen Bereich, wenn du eine Rechnung nicht bezahlen kannst, könnte man das auch als Betrug ansehen …

      Aber darum geht es nicht wirklich. Bisher ist es so, dass es den Providern aus gutem Grund entsprechend unserem Gesellschaftsmodell gesetzlich verboten ist, Verbindungs- und Ortsdaten ihrer Kunden zu speichern, außer aus technischen oder Abrechnungsgründen. Dieses richtige Prinzip soll nun den Terroristen geopfert werden. Jeder Deutsche, jeder Europäer soll ein potenzieller Terrorist bzw. Kinderschänder sein, da könnten wir gleich die Scharia einführen ;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.