HIIG Partizipationsstudie: Wer ist eigentlich diese Netzgemeinde?

Medien beeinflussen Politik, Politik beeinflusst Medien. Die großen Fragen seit es Internet und Politik gibt, lauten: Macht das Internet Politik demokratischer? Demokratisiert es Nicht-Demokratien und verbessert es Schon-Demokratien? Oder legt es offen, was die Schwachstellen der sogenannten Volksherrschaft sind?

Ein Aspekt von Demokratie, auf den das Internet mutmaßlich einen Einfluss haben kann, ist die Teilhabe: Die Rückbindung der Entscheidungsfindung an den Volkswillen, die Mitsprache der Bürger in öffentlichen Angelegenheiten. Das Ideal der attischen Polis sah dazumal in Griechenland dafür eine Versammlung der Vollbürger vor. Dass so etwas heutzutage nicht mehr möglich ist, kann durchaus als Vorteil interpretiert werden. Nichtsdestotrotz gibt es Möglichkeiten, auch zwischen den Wahlen der Volksvertreter die eigene Meinung in das politische Entscheidungsfindungssystem einzuspeisen. Diese Möglichkeiten werden durch das Internet zumindest erweitert und verändert – aber wird dadurch die Politik selbst demokratischer? Oder sind onlinebasierte Partizipationsmechanismen eher noch elitärer, als die analoge Teilnahme ohnehin bislang war? Oder aber – ändert sich einfach gar nichts? Kann es sein, dass das vielbeschworene Internet auf politischer Teilhabe überhaupt keinen Einfluss hat?

Man stößt an dieser Stelle schnell an Grenzen der Alltagsreflexion. Wissenschaftler des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) werden nun mit ihrer
letzte Woche veröffentlichten Partizipationsstudie systematisch Licht auf den Sachverhalt.

Konkret beschäftigten sie drei zentrale Fragen: Wer nutzt eigentlich Online-Partizipationsmöglichkeiten? Was wird genau genutzt, was eher nicht? Und was um alles in der Welt bewegt eigentlich den Internetpartizipierer zu seiner aktiven Teilhabe? Als Teilbereiche untersuchen sie sowohl politische als auch wirtschaftliche Partizipation. Das HIIG will damit die sogenannte „Netzgemeinde“ hinterfragen:

Vor diesem Hintergrund wollen wir mit unserer quantitativen Befragung den Personenkreis genauer verstehen, der sich an Entscheidungsfindungen im Internet – im politischen oder wirtschaftlichen Bereich – beteiligt.

Repräsentativ für die Netzgemeinde ist eine Grundgesamtheit von etwas mehr als 500 Internetnutzern aus einem Pool von TNS Infratest.

Für den politischen Bereich wurden acht Partizipationsformen abgefragt:

  • Politischen Sachverhalt abstimmen
  • Bürgerhaushalt beraten
  • Petition zeichnen
  • Petition erstellen
  • Politischen Netzwerken beitreten
  • an Online-Konsultationen teilnehmen
  • politische Beiträge verfassen
  • Politiker kontaktieren

Hier nun die groundbreaking findings:

Wer partizipiert?

Die Ergebnisse zeigen, dass die 18- bis 36-Jährigen und insbesondere Internetnutzer mit einem Hochschulabschluss die aktivsten Online-Partizipierenden sind.

Wir halten also fest, dass Bildung direkt mit der Online-Partizipation korelliert. Interessanterweise sind Einkommen und die gegenwärtige Beschäftigung weniger einflussreich.

Was machen die Nutzer?

Die Möglichkeit, zum Beispiel eine Online-Petition mitzuzeichnen, ist bereits zu einer sehr populären Form der politischen und gesellschaftlichen Beteiligung geworden. Hinsichtlich der zeitlichen Intensität, mit der sich die Befragten einer Partizipationsform widmen, zeigte sich ebenfalls ein erstaunlich hohes Engagement.

Vor allem begeistern sich die Partizipierer für das Abstimmen politischer Inhalte (ist damit eine Online-Umfrage gemeint?), noch lieber zeichen sie aber Online-Petitionen (die ja häufig mit dem Slacktivism-Argument kämpfen müssen und auch sonst über eine eigene Studie des HIIG verfügen wo deren Effekte diskutiert werden). Von 175 Teilnehmern, die „Politiker kontaktieren“ als Möglichkeit kannten, haben das immerhin schon 20% gemacht.

Motivation und Anreize

Auf Basis des Antwortsverhaltens der Befragten lassen sich fünf unterschiedliche Gruppen von Nutzern mit gleichen Anreizstrukturen identifizieren. […]Die Ergebnisse zeigen, dass mit steigender Anzahl genutzter Partizipationsformen auch die Selbstwirksamkeitserwartung und Kreativität der Befragten wächst.

Die Erhebung der Motivation war nicht mehr nach politischer und wirtschaftlicher Teilhabe getrennt und so wollen viele Partizipierer offenbar mit ihrer Mitwirkung Preise gewinnen. Bei politischer Partizipation geht es ja nur darum, Einfluss auf die Gestaltung der Verhältnisse im eigenen Land, am eigenen Wohnort, im sozialen Millieu oder so zu erhalten. Logisch, dass da meistens nur Leute mitmachen, die eine intrinsische Motivation an der Sache haben und denen es Spaß macht. Es gibt ja nichts zu verlieren.

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2 Ergänzungen

  1. Interessante Studie und kompakte Zusammenfassung.

    Widersprechen möchte ich deine Auffassung von politischer Partizipation im letzten Absatz. Politischer Aktivismus ist – egal ob online oder nicht – keineswegs auf die Grenzen einer Region oder eines Landes beschränkt.

    Außerdem denke ich nicht, dass es den meisten politisch engagierten Gruppen ausschließlich um Spaß und die Sache geht. Auch wirtschaftliche Interessen spielen immer eine Rolle; ich behaupte, sie spielen bei politischer Partizipation sogar die mächtigste Rolle: Stichwort Lobbyismus.

    Aber auch der politisch engagierter Bürgerprotest gegen den Windpark vor der eigenen Tür ist sicher oft auch ökonomisch motiviert.

    1. Ich gebe dir Recht, der Spaß an der Sache macht noch lange keinen politischen Aktivismus. Allerdings thematisiert die Studie, wie beschrieben, zum Schluss leider nicht die unterschiedliche Motivation für wirtschaftliche und politische Beteiligung. Stattdessen werden fünf Motivationscluster gebildet und über intrinsische und extrinsische Motivation reflektiert (mit dem Schluss, in der politischen Partizipation sollte man über Preise als Anreize nachdenken). Es fällt ihnen aber beim letzten Cluster was weder besonders viel Spaß an der Sache hat noch Preise gewinnen will auf:

      Schwer zu interpretieren ist das fünfte Cluster. Da die Nutzer bei allen Motivationsfragen
      geringe Werte der Zustimmung angeben, stellt sich die Frage, wodurch sie motiviert sind. Es könnte möglich sein, dass durch die forschungsökonomisch bedingten geschlossenen Fragen hier eine wichtige Motivation ausgelassen wurde.

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