BMI vs. FragDenStaat – Mit Hilfe des Urheberrechts wird kritische Berichtserstattung unterdrückt

Ende 2011 verfasste das Innenministerium eine Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die 5%-Hürde bei der Europawahl als verfassungswidrig erklärte. Im BMI war man der Ansicht, dass nach dem Urteil jede Prozent-Hürde verfassungswidrig sei. Der Bundestag jedoch entschied sich, eine 3% Hürde einzuführen und widersetze sich somit der Einschätzung des Ministeriums.

Die Stellungnahme des BMI war zunächst der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Guido Strack, Gründer des Whistleblower-Netzwerks, stellte daher eine Anfrage über das Portal FragDenStaat. Die Stellungnahme wurde zwar herausgegeben, allerdings mit der Aufforderung die Veröffentlichung zu unterlassen – die Öffentlichkeit sollte also weiterhin nichts über die Stellungnahme erfahren. FragDenStaat aber veröffentlichte die Stellungnahme und wurde nun vom BMI abgemahnt – unter Berufung auf das Urheberrecht. Somit wird also mit Hilfe des Urheberrechts eine kritische Berichtserstattung unterdrückt. Die Open Knowledge Foundation Deutschland, die FragDenStaat.de betreibt, hat sich entschlossen, die Abmahnung zurückzuweisen und das Dokument weiterhin öffentlich bereitzustellen.

Stefan Wehrmeyer, Projektleiter von FragDenStaat.de, kritisert dieses Vorgehen heftig:

Der Bundesregierung geht es nicht um Autorenrechte. Sie nutzt das Urheberrecht willkürlich, um die Veröffentlichung von brisanten, staatlichen Dokumenten zu verhindern. Es entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung die Nachvollziehbarkeit politischen Handelns erschweren will.

Ansgar Koreng von der Anwaltskanzlei JBB Anwälte, die FragDenStaat.de in dem Fall vertritt, erklärt:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat erst kürzlich klargestellt, dass in Fällen wie diesem die Meinungsfreiheit schwerer wiegen kann, als das Urheberrecht. In dieser Abmahnung tritt der Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Urheberrecht außergewöhnlich klar zu Tage. Gerade in politischen Angelegenheiten darf das Urheberrecht nicht zur Zensur missliebiger Veröffentlichungen missbraucht werden.

Auch wir haben schon ähnliche Erfahrungen gemacht: Uns forderte der Bundestag auf, ein geheimes Dokument zur Abgeordnetenkorruption zu depublizieren.

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13 Ergänzungen

  1. bundesregierung? urheberrecht? ist die bundesregierung nicht ein organ, das stellvertretend für mich, den bürger, agiert? was gibts denn da zu verheimlichen, wenn sie sowieso eigentlich für mich arbeitet und mir für jede ihrer handlung rechenschaft schuldig ist? mir schwant, da hat jemand seine aufgabe nicht verstanden.

    1. Nein, das ist ein Missverständnis. Du gehörst zum Personal der BRD, und Personal hat bekanntlich die Klappe zu halten und zu funktionieren, nicht dumme Fragen zu stellen.

  2. Ich dachte immer, dass amtliche Verlautbarungen prinzipiell nicht dem Urheberrecht unterliegen würden?!

  3. GRRRR.

    Na gut , die Werbeaktion des BMI hat mich überzeugt, jetzt mal ein paar Euro an die Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. zu spenden.

  4. Die Stellungnahme wurde zwar herausgegeben, allerdings mit der Aufforderung die Veröffentlichung zu unterlassen – die Öffentlichkeit sollte also weiterhin nichts über die Stellungnahme erfahren.

    Dieser Satz ergibt keinen Sinn. Unsinn ist auch die weitere Behauptung, eine „kritische Berichterstattung solle unterdrückt werden“. Niemand hat untersagt, den Inhalt der Stellungnahme in eigenen Worten wiederzugeben und über deren Ergebnis zu berichten, wie es dieser Blog-Beitrag ja schließlich auch macht. Geschützt wird im Urheberrecht das Werk als solches, nicht die darin enthaltene Information.

    Wo hier etwas „zensiert“ worden sein soll, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Stellungnahme des Innenministeriums wurde von Anfang an mit der Maßgabe herausgegeben, dass diese im Rahmen des Urheberrechts nicht veröffentlicht werden soll.

    Nicht die Berichterstattung über die Stellungnahme sollte eingeschränkt werden, sondern die Verbreitung der Stellungnahme selbst.

    Die einzig relevante und interessante Frage wäre vielmehr, ob die Stellungnahme unter § 5 UrhG fällt.

    Unabhängig davon ist im Rahmen des Zitatrechts die Verwendung von Zitaten aus urheberrechtlich geschützten Werken im Rahmen der journalistischen Auseinandersetzung aber ohnehin ausdrücklich zulässig und kann nicht untersagt werden. Warum dafür ausgerechnet die Veröffentlichung der gesamten Stellungnahme im Original notwendig sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.

    1. Ich berichterstatte nun aus Regierungspapieren „Heiko Nock“ ist unschlau.
      Quellenangabe ist supersauber, aber Urhebergeschützt.

      Glaub meinem Blogeintrag aber trotzdem.

    2. Nur für den Fall, dass das kein Troll war:
      Die komplette Stellungnahme zu veröffentlichen ist notwendig, damit der Artikel eine nachvollziehbare Quelle hat. Ohne könnte er sich das auch genauso gut alles ausgedacht (oder missverstanden) haben. Das nennt sich „wissenschaftliche Arbeitsweise“ und ist leider bei Zeitungen lange nicht so verbreitet wie es sein sollte. Gut dass zumindest Blogger es richtig machen.
      Natürlich hätte man die Stellungnahme auch auf Wikileaks schieben und verlinken können (in Anbetracht der weiteren Geschichte wäre das wohl schlauer gewesen), aber nur mit einem kompletten Text kann man glaubhaft machen dass keine Zitate aus dem Kontext gerissen hat oder ähnliches. Journalisten bei großen Zeitungen wird da ein gewisser Vertrauensvorschuss entgegengebracht (wenn auch nicht immer zu Recht), aber ein kleiner Blogger kann nur glaubwürdig sein, wenn er Quellen nennt, und die für jeden einsehbar sind.

      1. Für eine nachvollziehbare Quelle ist es keineswegs notwendig, die gesamte Quelle öffentlich zugänglich zu machen. Dafür reicht die Bezeichnung der Quelle. Aber auch das ist nicht zwingend notwendig, sonst würden sich sämtliche Informanten bedanken. Die Angabe der Stellungnahme des Ministeriums als Quelle ist auch dann nachvollziehbar, wenn man die Stellungnahme selbst nicht öffentlich zugänglich macht.

        Für die Auseinandersetzung mit der Quelle ist das Zitatrecht völlig ausreichend. Aber auch hierfür ist keine öffentliche Zugänglichmachung der gesamten Quelle notwendig. Wenn jemand dem Autor vorwerfen sollte, er habe ein Zitat aus dem Kontext gerissen, kann er darauf ja ggf. mit weiteren Zitaten Stellung nehmen. Zunächst müsste aber derjenige erst mal den Kontext darlegen. Im Übrigen kann er eine entgegenstehende Behauptung ggf. ohne Probleme mit der Vorlage der eingeholten Stellungnahme widerlegen. Der Journalist ist also auch rechtlich geschützt.

        Im vorliegenden Fall ist deine (rechtliche?) Argumentation besonders dünn, weil der Inhalt der Stellungnahme soweit ersichtlich von niemandem bestritten wird und eine öffentliche Zugänglichmachung für die Berichterstattung nicht notwendig war.

        Ich bezweifle im Übrigen, dass ein Informant gerne mit einem kleinen Blogger arbeitet, der nur dann „glaubwürdig sein kann, wenn er Quellen nennt und diese für jeden einsehbar sind“.

    3. Die Stellungnahme des Innenministeriums wurde von Anfang an mit der Maßgabe herausgegeben, dass diese im Rahmen des Urheberrechts nicht veröffentlicht werden soll.

      Und welchen Grund könnte das haben? Machen wir’s doch wie die Bundesregierung: „Was haben die zu verbergen“?

      1. Das Motiv ist für den erhobenen Vorwurf doch völlig unerheblich. Vielleicht ist es ihnen peinlich. Oder es handelt sich um eine Standard-Bitte, dass solche Stellungnahmen nicht verteilt werden sollen. Kennt man ja auch von den im Netz veröffentlichten Gerichtsentscheidungen des BVerfG oder war’s der BGH?

        Es wurde vorliegend jedenfalls keine „kritische Berichterstattung unterdrückt“, nichts „verborgen“ oder „zensiert“. Soweit ersichtlich wurde die Stellungnahme auf die Informationsanfrage vollständig an den Antragsteller herausgegeben. Von „verbergen“ oder „zensieren“ kann dabei wohl kaum die Rede sein, von der „Unterdrückung einer kritischen Berichterstattung“ schon gar nicht.

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