Berliner Erklärung: SPD-Innenminister fordern Vorratsdatenspeicherung, immer noch

Nach dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung sollte die anlasslose Massenüberwachung sämtlicher Telekommunikation eigentlich tot sein. Die Innenminister der SPD-Länder sehen das nicht so, so steht in ihrer gestrigen „Berliner Erklärung“:

Die Innenminister und -senatoren der A-Länder bekräftigen, dass eine angemessene Mindestspeicherung zur Verfolgung schwerster Kriminalität notwendig ist. Verbindungsdaten müssen unter größtmöglicher Beachtung der Grundrechte und des Datenschutzes zur Verfolgung von Kinderpornographie, schwerster Fälle von Cybercrime und organisierter Kriminalität für eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung stehen. Die Koalitionspartner im Bund werden jetzt neu darüber verhandeln, ob und wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft dieses wichtige Instrument in Einklang mit der aktuellen Entscheidung des EuGH nutzen dürfen.

Nur Schleswig-Holstein hat sich enthalten.

Um es mit Sascha Lobo auszudrücken: Der Zombie lebt. Thomas Stadler meint:

Ob sich in Deutschland eine politische Mehrheit für einen Neuanlauf findet, erscheint mir offen zu sein. Der politische Prozess in Deutschland wird allerdings relativ stark von den Vertretern der Polizei- und Sicherheitsbehörden beeinflusst, die den politischen Entscheidern auf Bundes- und Landesebene seit Jahren einreden, die Vorratsdatenspeicherung sei unerlässlich für die Kriminalitätsbekämpfung, obwohl es dafür keinerlei empirischen Nachweise gibt und den Behörden in vielen Fällen wesentlich effektivere und ohnehin bereits bedenklich weitreichende Möglichkeiten der TK-Überwachung zur Verfügung stehen. Die letzten Äußerungen von Innenminister de Maizière und Polizeivertretern deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass die Diskussion künftig sachlicher geführt werden wird. Es wird also vieles davon abhängen, wer die Deutungshoheit und Meinungsführerschaft erlangt. Es gibt in allen Parteien Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Ob sich diese gegen die Angst-Rhetorik der Innenpolitiker und Polizeibeamten durchsetzen können, wird sich zeigen. Die Uhren sind vom EuGH jedenfalls wieder auf null gestellt worden und diesen Umstand müssen auch wir kritische Bürger nutzen, um uns in dieser Diskussion Gehör zu verschaffen. Denn schließlich sind es unsere Daten, die gespeichert werden sollen.

Campact, AK Vorrat, Digitalcourage und Digitale Gesellschaft haben nun einen Appell an Justizminister Heiko Maas gestartet:

Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Menschen- und Bürgerrechte. Ich fordere Sie auf, die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu verwerfen und dafür zu sorgen, dass ihr auch auf EU-Ebene eine klare Absage erteilt wird.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

24 Ergänzungen

  1. Die Vorratsdatenspeicherung finde ich im Gegensatz zu meinen „Vorrednern“ durchaus für sinnvoll!
    Es gibt doch wirklich genügend Angelegenheiten zu regeln, sprich Verbrechensaufklärung jeglicher Couleur, wo eine längerfristige Vorratsspeicherung obligat ist!
    Weshalb ist das sofort ein Eingriff in die Menschenrechte!
    Ich würde mich trotz Vorratsspeicherung nicht unfrei fühlen.
    Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit! Und hier liegt m.E. die Notwendigkeit vor!

    1. Es ist ein Eingriff in die Menschenrechte weil es mit den Menschenrechten nicht vereinbar ist – insbesondere mit dem Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und dem Telekommunikationsgeheimnis. Wenn die VDS tatsächlich ausschließlich bei schweren Straftaten angewendet werden würde wäre das schon mal ein Problem weniger. Wenn dann noch gewährleistet wird das die Daten nicht anderweitig missbraucht werden wäre das ebenfalls noch ein großer Schritt. Beides wird aber eben nicht gemacht.

      1. Ja, natürlich muß gesichert sein, dass die VDS die Daten ausschließlich bei Straftaten – nicht nur schweren, wer schätzt denn das wieder ein, sondern bei allen Straftaten -anwendet und Daten nicht mißbraucht werden!
        So etwas kann man, wenn man will, wohl ganz einvernehmlich regeln!
        Grundsätzlich bleibe ich bei meiner Einschätzung und Überzeugung!

      2. Lieber Herr Herzog,
        würden Sie mir bitte Beispiele für Staaten aufzeigen, deren Sicherheitsbehörden nicht über kurz oder lang ihre Befugnisse zur Verfolgung eigener Interessen ausnutzten und/oder überschritten?

        Ich lasse mich ja gerne eines Besseren belehren, aber bin da wenig optimistisch. Siehe auch ganz aktuell Aufklärungswillen in der NSA-Sache.

      3. Aber wie willst Du denn den Mißbrauch dieser Daten ausschließen können? Sobald diese Daten gesammelt werden, werden Kriminelle und Geheimdienste alles daran setzen, diese Daten zu bekommen, gerade weil sie so unglaublich aussagekräftig sind. Wenn quasi jeder Polizist auf die Daten zugreifen kann, wird sicher früher oder später einer damit Mißbrauch betreiben.

        Und wer weiß, was für eine Regierung wir in 10, 20 oder 50 Jahren haben werden? Glaubst Du wirklich, dass dann noch jemand z.B. einen korrupten Politiker verpfeifen wird, wenn man weiß, dass dies protokolliert wird und der Parteifreund im Innenministerium theoretisch die Möglichkeit hätte, diese Daten abzurufen?

        Wenn man den Mißbrauch tatsächlich ausschließen könnte, dann sähe das vielleicht anders aus. Aber ich glaube nicht, dass das möglich ist. (Die übrigen Gründe gegen die VDS lasse ich jetzt mal aussen vor.)

      4. Es geht nicht nur um rechtsstaatliche Nutzung, sondern auch darum dass die Daten irgendwie abhanden kommen können, und sei es, weil die NSA oder das GCHQ auf der Leitung steht. Solche brisanten Daten dürfen einfach nicht gespeichert werden.

    2. Lieber Herr Herzog,

      als erstes wäre mal die Wirksamkeit dieser Maßnahme nachzuweisen. Das ist bis heute nicht geschehen. Im Gegenteil hat der Einsatz sich nicht positiv auf die Aufklärungsquoten ausgewirkt. (Überhaupt wird immer wieder versucht die Wirksamkeit anhand weniger Einzelfälle zu belegen. Und selbst bei diesen stellt sich dann oft heraus, dass sie eben mit konventionellen Methoden gelöst wurden, oder dass eben auch die anlasslose Totalüberwachung nicht geholfen hätte, den Fall zu lösen.)

      Falls jemals eine erhebliche Wirksamkeit nachgewiesen werden würde, ja dann könnte man anfangen darüber nachzudenken, ob der gesellschaftliche Schaden durch so einen imensen Grundrechtseingriff, von seinem Nutzen überwogen würde.

    3. @ Andreas Herzog,

      folgender Kompromissvorschlag:

      du beantragst bei deinen Providern, dass sie dir deine Verkehrs- und Ortsdaten geben, und du veröffentlichst diese hier für 2 Jahre.

      Also, wann du wo mit wem wie oft wie lange zusammen warst, mit wem du von wo aus telefoniert hast, wo du dich regelmäßig oder unregelmäßig aufgehalten hast, an welche Personen du E-Mails geschickt hast, inkl. dem Verteiler, von wo aus du das gemacht hast, wann du in welchem Krankenhaus warst, bei welchen Ärzten du warst usw.

      Die gleiche Aufforderung geht auch an Herrn De Maizier und seine Familienangehörige und seine Freunde und Bekannte, sowie an die Funktionäre der Polizeigewerkschaften.

      Wenn die 2 Jahre rum sind könnt ihr versuchen, uns von der Harmlosigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und der Übereinstimmung mit unseren Werten zu überzeugen.

  2. Entweder man achtet die Grundrechte oder man misachtet die Grundrechte, aber ein “ größtmöglicher Beachtung der Grundrechte“ geht nicht. Ich schlage den Rechtsbeugern vor das EuGH Urteil zu lesen.

    Rn.57:
    Hierzu ist erstens festzustellen, dass sich die Richtlinie 2006/24 generell auf alle Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen.

    Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte.

    Was die Richter sozusagen erlaubt haben, ist eine Vorratsdatenspeicherung, wenn ein Verdacht auf eine Straftat besteht. Um eine flächendeckende VDS zu erlauben, müsste der Gesetzgeber den Besitz einer Staatsbürgerschaft eines EU Landes unter Strafe stellen und schon hätten wir 500 Mio potentielle Straftäter.

    1. Das hört sich dann nach einem 2-3-Ecken Quickfreeze an-
      Wenn jeder dritte Verdächtige nen Pizzaservice eingespeichert hat, hast Du so auch im Nu die europäische Bevölkerung komplettüberwacht.
      Und ich sehe schon die Debatten am Horizont, welche Dienstleistungsgruppen aus den Quickfreeze-Logs werden sollten. Golfplätze sind wahrscheinlich dabei.

  3. Und wer verhindert eine Vorratsdatenspeicherung bei einme Verbot dieser?
    Sie haben doch selbst berichtet, was Staaten, Regierende, Kriminelle usw. trotz Verboten treiben. Dann doch, soweit wie möglich ,Kontrolle bei einer erlaubten Vorratsdatenspeicherung!
    Die NSA und andere Geheimdienste benötigen diese mit Sicherheit nicht!

  4. Die Geschichte lehrt uns, dass die Datensammelwut auch negative Folgen haben kann. Ich möchte nur mal auf die Rosa Listen hinweisen.
    Im damaligen Kaiserreich wurden alle Homosexuellen vom Staat erfasst und in Listen gespeichert (sogenannte Rosa Listen). Als die Nazis die Macht ergriffen, haben sie die Listen übernommen und genutzt, um alle Homosexuelle zu verfolgen und wegzusperren.
    Ich traue der hiesigen Regierung nicht. Sie hat nichts getan, als die NSA-Schnüffelei publik wurde. Diese Regierung, eine fremde Regierung oder eine spätere Regierung könnte solche Daten (ob Vorratsdaten, Gewalttäterdatei oder die Krankendaten) missbrauchen. Wir wären dann vogelfrei.
    Wir wissen nicht, was Behörden alles über uns wissen. Wir wissen nicht, inwieweit in unsere Privatsphäre geschaut wird. Das ist das Bedenkliche.

    1. Nur damit ich das richtig verstehe: Wir sollen die VDS legalisieren, weil staatliche Einrichtungen sowieso gegen das Gesetz verstoßen und es die VDS insgeheim schon lange gibt?

      Ähm nein?! Halte ich für einen ziemlich schlechten Ansatz/Argument!

      Wenn Sie selbst davon ausgehen, dass staatliche Einrichtungen gegen bestehende Gesetze verstoßen, warum sind Sie dann überzeugt davon, dass sie sich an Kontrollregulierungen halten werden, welche eine (dann legale) VDS einschränken würden??

      Etwas kontrolliert erlauben mag manchmal eine guter Ansatz sein, in diesem Fall allerdings nicht besonders sinnvoll.

      Besser wäre es doch , wenn staatl. Einrichtungen sich einfach an Gesetze halten ;-)

  5. Richtig, ich bin jedenfalls nicht davon überzeugt, dass sich staatliche Einrichtungen an das Gesetz halten!
    Also deshalb zum Abschluß meinerseits:
    Es ist gleichgültig, ob Vorratsdatenspeicherung verboten oder erlaubt wird, es wird in jedem Fall so geschehen, wie es genehm ist!
    Danke für die rege Beteiligung an meinem z.T. wohl provozierenden Einlassungen!
    Alle Aufregung schadet nur. Glauben Sie wirklich, dass Sie durch z.B. Unterschriftensammeln oder, oder, oder irgendetwas ändern können! Ich nicht mehr!

  6. Wenn wir überall Überwachungskameras installieren würden und in den Wohnungen die Webcams der Rechner dazu nutzen würden, alle Räume live zu überwachen, dann könnten wir eine Vorratsdatenspeicherung für alle möglichen schweren Straftaten aufbauen.

    Die Argumentation der SPD ist die, dass Vergewaltigung in der Ehe eine schwere Straftat ist, und die Polizei deshalb alle Geschlechtsverkehre präventiv überwachen müsse. Die Argumentation ist richtig, dass ich bei Überwachung aller Taten aller Bürger jederzeit und immer auch immer Beweismittel für schwere Straftaten erlange.

    Das Problem dabei ist, dass das das Ende unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, dass das das Ende des Rechtsstaates ist. Es ist ein Mega-Orwellscher Überwachungstaat, der von mir aus in sozialistischer Tradition steht, aber mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist.

    Es ist auch die Abkehr davon, dass die Polizei nur bei konkretem Verdacht ermitteln darf und nicht ins Blaue hinein. Das ist eine andere Republik. Man kann das wollen, aber die Gerichtsurteile von Verfassungsgericht und EUGH deuten darauf hin, dass hier Kräfte am Werke sind, die unsere verfassungsmäßige Ordnung beseitigen wollen und statt dessen einen Schnüffel- und Spannerstaat errichten wollen. Aber auch hier versagt unser Verfassungsschutz, wie auch beim NSU-Terror und bei der Spionageabwehr.

    Ich frage mich, was die SPD dazu treibt, bei jedem Bürger den Spanner zu geben? Schon die WLAN-Debatte ist erratisch: in New York, wo tausende von Menschen durch Terroristen aus Deutschland umkamen, kann man kostenlos und ohne Registrierung an vielen Punkten in öffentliche WLAN gehen, sogar in den parks. Die entartete WLAN-Inititiave der SPD über den Bundesrat sah vor, dass Menschen bei einem WLAN-Access in Deutschland vom Staat überwacht werden müssen. Schlimmer als Gestapo und Stasi. Was reitet diese Menschen, das sie unseren Staat zerstören wollen?

    Das Ausland fängt sich an zu wundern: Wenn ein Oberst mit zahlreichen (auch militärischen) Rechtsbrüchen über 100 Menschen wegen Spritdiebstahls „vernichtet“ (O-Ton Oberst Klein), wird er zum General befördert. Wenn ein BKA-Präsident bei der Bekämpfung des Terrorismus der NSU total versagt und es zu Toten kommt, wird sein Vertrag vom Innenminister als Belohnung verlängert.

    Wenn man dann noch hört, dass die Union immer wieder Zivilflugzeuge abschießen will, wenn ein Denunziant anruft, fragt man sich, ob der Schutz gegen Extremisten bei uns staatlich richtig organisiert ist und in den richtigen Händen liegt oder ob die größte Gefahr für Leib und Leben der Bürger vom Staat selber ausgeht, wie wir es bei dem Terroranschlag der USA und Israel mit Stuxnet im Iran gesehen haben.

    Mir scheint es, dass die SPD (wie die USA) alles das machen, will, was technisch möglich scheint, und den Rechtsstaat dabei über Bord wirft.

    Bleibt die Frage: wie machen wir der SPD unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung endlich schmackhaft, dass sie unser Gemeinwesen liebt und nicht weiter zerstören will?

  7. An Herrn Herzog:
    Letztens auf Lawblog gesehen:
    http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/politik/140410_vorratsdatenspeicherung_telefonseelsorge.php

    Telefonseelsorge(!!!) begrüßt das Urteil zur Voratsdatenspeicherung(!!!).

    Denk mal über diesen Satz nach bzw lies den Link…
    Das ist so erschütternd wie traurig. Noch trauriger ist, dass es solche Überwachungsstaatfanatiker in freier Wildbahn gibt…
    Ums mal ganz deutlich zu sagen:
    Wir haben gerade ein System, mit dem ein gewisser Österreicher (eigentlich Ungar), in freudentränen ausbrechen würde…

    Aber gut., man kanns natürlich auch so hindrehen, wie es gerade in den Sinn kommt. Dass an unserem System einige Dinge kaputt sind, darüber reden wir mal lieber nicht…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.