Zensur-Kollateralschaden: Aufklärungswebseiten in Großbritannien gesperrt

Ab Anfang nächsten Jahres bekommt jeder neue britische Internetanschluss einen voreingestellten Internet-Jugendfilter. Das soll laut einer Kampagne von Großbritanniens Premier Cameron das Surfen im Internet sicherer machen und die Jugend vor gefährlichen Inhalten schützen. Zu den geblockten Themen zählen nicht nur Pornos, wie ursprünglich angesagt, sondern auch andere kritische Inhalte wie Webseiten zu Essstörungen, Alkohol, Suizid, Esoterik und Zensurumgehungstools. Und natürlich Extremismus. Und da alles „freiwillig“ ist – so freiwillig wie ein ausdrückliches Opt-Out eben ist – braucht es dafür nichtmal eine gesetzliche Verankerung.

Die vier größten Internetanbieter im Land haben die Filter bereits jetzt umgesetzt, der viertgrößte britische ISP TalkTalk zum Beispiel. Der hatte schon 2011 ein eigenes System zum Blockieren von Inhalten, HomeSafe, im Angebot, das Kunden bisher nachträglich anschalten konnten.

BBC hat nun herausgefunden, dass nicht nur „legale Hardcore-Pornographie“ von den Filtern betroffen ist. Geblockt werden auch Seiten zur sexuellen Aufklärung, Beratungsangebote für Opfer sexuellen Missbrauchs und häuslicher Gewalt. Und man kann sich vorstellen, dass auch andere Inhalte betroffen sind, die potentiell auffällige Stichwörter enthalten. Aussteigerangebote für Angehöriger extremistischer Gruppen, Selbsthilfegruppen und Gesundheitsberatung für sexuell übertragbare Krankheiten zum Beispiel.

Neben der naheliegenden Erkenntnis, dass Internetzensur in jeder Ausprägung doof ist, zeigt die Meldung noch etwas anderes: Nämlich wie gefährlich es ist, das Urteil, was wir sehen dürfen, irgendeinem Softwarefilter zu überlassen. Blacklists, auf denen manuell Seiten vermerkt sind, die unerwünscht sind, schränken unsere Freiheit ein. Aber sie sind, auch wenn es das nicht besser macht, bis zu einem gewissen Maß deterministisch.

Noch absurder war ein Vorfall in Australien, über den The Sydney Morning Herald im Juni berichtete: Die australische Finanzaufsichtsbehörde hatte angewiesen, eine Webseite zu blocken. Nicht wie üblich über die Domain – wie www.netzpolitik.org -, sondern über die IP-Adresse. Da aber oftmals mehrere Domains unter einer IP gehostet werden, verschwanden in einem drastischen Fall 250.000 Seiten aus dem Netz, die bis auf den gemeinsamen Hoster in keinerlei Zusammenhang zum eigentlich zensierten Inhalt standen.

Sobald wertvolle Netzinhalte als Kollateralschaden effektiv aus dem Netz verschwinden – also aus Versehen nicht mehr erreichbar sind, obwohl es sie weiterhin gibt und auch offiziell geben sollte – bringt das den freien Zugang zu Wissen in Gefahr, von dem man nicht einmal weiß, dass es nicht mehr verfügbar ist.

Was uns die Große Koalition im Bereich Internetsperren bringen wird, wissen wir noch nicht. CSU-Politiker Norbert Geis, der eine Einführung von Jugendschutzfiltern nach britischem Vorbild vorgeschlagen hatte, findet sich nicht mehr im neuen Bundestag. Und der neue Koalitionsvertrag äußert sich nur sehr unkonkret:

Für einen wirksamen gesetzlichen Kinder- und Jugendschutz ist eine Angleichung der gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Kindern unabhängig vom Verbreitungsweg der digitalen Medien anzustreben. Dabei sollten die heute geltenden hohen Jugendschutzstandards für Trägermedien als Orientierung dienen. Im Zentrum für Kinderschutz im Internet (I-KiZ) arbeiten die Beteiligten zusammen an einer Gesamtstrategie, die Regulierung, Anbieterverantwortung und die Stärkung der Medienkompetenz miteinander verbindet und internationale Zusammenarbeit sicherstellt

Aber allein das Auftauchen der Begriffe „Regulierung“ und „Anbieterverantwortung“ lässt eine weitere dunkle Wolke am Horizont eines freien Internets auftauchen.

Die einzige wirksame Möglichkeit des Widerstandes ist wohl, das Wissen über die Existenz undUmgehung von Netzsperren und  -zensur zu verbreiten und zu versuchen, bereits Jugendliche an den Umgang mit Proxyservern, VPNs und Tor heranzuführen.

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7 Ergänzungen

  1. Hier mal ein Vorschlag das Filtersystem ein wenig ad absurdum zu machen. Wenn alle Seiten die die Voraktivierten Filter scheiße finden dafür sorgen, dass sie drauf landen. Dann wird das Netz hoffentlich hinreichend Unbenutzbar, das genügend Leute den Scheiß ausstellen. Nur befürchte ich, dass Firmen wie Google oder Banken (wo es Richtig weh tun würde) aus Kommerz gründen da nicht mitmachen würden.
    Aber da kann man evtl. eine Suchmaschine aufmachen die gleich über einen entsprechenden Webproxy läuft…

    1. So heißt es im Text dazu: „Der Filter soll dabei als Standard gesetzt werden, der nur auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden ausgeschaltet wird“.

  2. Es ist schlichter Schwachsinn das Allen als Standard aufzuzwingen. Vielmehr sollte sowas als wählbare Option zur Verfügung stehen für Haushalte mit Kindern. Es gibt schließlich nicht in jedem Haushalt Kinder. Und selbst dann kann man ja diese Sperren bekanntlich (anscheinend noch immer nicht für Politiker) umgehen.

  3. Es reicht wenn Jugendliche folgendes wissen:
    – 3x Täglich betten gibt alles nötige Wissen
    – Eltern legen fest wer wenn Heiratet, das ist am besten für die Kinder
    – Sex im Allgemeine und insbesondere vor der Ehe ist eine Todsünde, besser 1)

    mfg

    Ralf

  4. Was ich ja geil finde – Pornos sind ab 18 aber echter Sex ist schon ab 14 erlaubt ! Na wenn DAS mal kein FAIL ist ;)

    Was die Sperren angeht – anderen DNS Server eintragen z.B. einen ausländischen der immer erreichbar ist und keine Logs speichert
    https://board.cyberghostvpn.com/deutsch/allgemeine-diskussion/4274-cyberghost-dns-server/

    Ansontsen gleich nen VPN nutzen – ich empfehle

    http://www.cyberghostvpn.com oder
    http://www.hide.io

    Ansonsten ist das ein politisches Problem und darf nicht technisch gelöst werden. Schreibt ruhig den Vögeln Beschwerdemails und tretet selber in die SPD und CDU ein. Um Gottes Willen nicht um die Rentner Spaken da zu unterstützen aber nach dem Motto lass deine Freinde noch näher ran als deine Freunde um Schadensbegrenzung zu betreiben indem ihr da für Aufklärung sorgt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.