Vorratsdatenspeicherung: Regierungs-finanzierte Studie produziert Vorschläge zur weniger schlimmen Massenüberwachung

RossnagelDie Vorratsdatenspeicherung soll auf zwei oder drei Monate verkürzt werden und diesmal wirklich nur für schwere Straftaten mit Richtervorbehalt verwendet werden. Das fordert eine vom Bildungsministerium finanzierte Studie mit dem Titel „Interessenausgleich im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung“. Am Grundproblem ändert das leider nichts: Die massenhafte anlasslose Überwachung ist ein Paradigmenwechsel und gehört abgeschafft.

Seit Mai 2006 gilt die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung, von Januar 2007 bis März 2010 setzte ein deutsches Gesetz die Anforderungen hierzulande um. Nachdem das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz als verfassungswidrig verwarf, finanzierte das von Annette Schavan (CDU) geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt INVODAS: Interessenausgleich im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung:

Ziel des Projektes INVODAS war es, aufzuzeigen, welcher Gestaltungsspielraum im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten zur Wahrung einer Balance zwischen Freiheit und Sicherheit besteht.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander Roßnagel entwickelten drei Wissenschaftler Vorschläge, um die Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglichst grundrechtsschonend umzusetzen.

INVODASSchon vor knapp zwei Jahren wurden vorläufige Ergebnisse präsentiert um „das Gewicht des Grundrechtseingriffs einer Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten stark zu reduzieren“. Jetzt ist der Abschlussbericht als 274 Seiten starkes, 72 Euro teures Buch erschienen. In der Pressemitteilung der Uni Kassel werden die Ergebnisse so zusammen gefasst:

Die Speicherfrist sollte möglichst kurz bemessen werden, da mit der Speicherdauer die Relevanz der Daten für die Aufklärung sinkt, zugleich aber das Gewicht des Grundrechtseingriffs zunimmt.

Die Speicherung darf nur bei den Telekommunikationsunternehmen, nicht bei den Behörden erfolgen. Um eine mehrfache Speicherung zu vermeiden, sollte die Bundesnetzagentur die Unternehmen so auswählen, dass möglichst wenige zur Speicherung verpflichtet sind. Für sie sollte zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit eine Kostenerstattung erfolgen. Für den Schutz der gespeicherten Daten ist ein „besonders hoher Sicherheitsstandard“ (BVerfG) zu fordern.

Eine Herausgabe einzelner Daten darf nur zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter zulässig sein. Diese Voraussetzung ist durch einen Richter zu prüfen. Die Anfrage ist über die Bundesnetzagentur zu leiten, die eine Statistik über die Anfragen führt. Die Anfragenden haben die Ergebnisse der Datenverwendung an diese zentrale Stelle zu melden.

Der Betroffene ist rechtzeitig zu informieren, so dass er die Rechtmäßigkeit der Datenauskunft nachprüfen und diese unter Umständen gerichtlich angreifen kann.

Zum Schutz besonderer Vertrauensbeziehungen dürfen keine Daten eines Geheimnisträgers (z.B. Anwälte, Pfarrer oder Journalisten) gespeichert werden.

Vor jeder neuen Überwachungsmaßnahme ist der gesamtgesellschaftliche Grad der Überwachung im Rahmen einer „Überwachungs-Gesamtrechnung“ zu prüfen, um zu verhindern, dass das Überwachungsniveau ein unvertretbares Ausmaß erreicht. Notfalls können Überwachungsmaßnahmen nicht addiert, sondern nur ausgetauscht werden.

Unterm Strich lesen sich die Vorschläge wie eine Umsetzung aller Kritikpunkte des Bundesverfassungsgerichts am alten Gesetz. Damit wäre ein neues Gesetz nicht mehr automatisch verfassungswidrig, trotzdem scheinen die Juristen hier nur aufgeschrieben zu haben, was gerade noch verfassungsgemäß zulässig wäre. Quasi eine Blaupause für die EU-Kommission, die Richtlinie abzuschwächen und für die nächste Bundesregierung, ein Gesetz zu schreiben, das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat.

Das Grundproblem der Vorratsdatenspeicherung selbst aber bleibt unangetastet: Die Vorratsdatenspeicherung ist die anlasslose Überwachung sämtlicher Telekommunikation aller Menschen in der Europäischen Union, ganz ohne Verdacht auf irgendwelche Straftaten, sondern nur, weil diese Daten mal nützlich sein könnten. Da ist ein Paradigmenwechsel im Rechtsstaat, in dem Menschen nur dann überwacht werden sollten, wenn es konkrete Hinweise gibt, dass sie auch einer konkreten Straftat verdächtigt werden.

Roßnagel et al stellen aber die grundsätzliche Frage „Wollen wir eine wie auch immer ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung überhaupt?“ nicht, sondern gehen von den Vorbedingungen aus, „dass die Vorratsdatenspeicherung mehrheitlich gewollt ist“ und „dass eine europäische Richtlinie die Bundesrepublik Deutschland weiterhin zwingt, eine Vorratsdatenspeicherung durchzuführen“.

Schon die erste These ist fraglich. Immer wieder haben Umfragen gezeigt, dass Mehrheiten der deutschen Bevölkerung die Vorratsdatenspeicherung ablehnen. Auch die Zukunft der EU-Richtlinie ist ungewiss, bis der Europäische Gerichtshof darüber urteilt, ob die anlasslose Massenüberwachung mit den Grundrechten vereinbar ist.

Im Interview mit Jürgen Kuri sagte Roßnagel:

Heise: Sollte die Kommission die Richtlinie komplett streichen?

Roßnagel: Über diese Frage wird seit 10 Jahren heftigst diskutiert. Da sind alle Argumente ausgetauscht. Das ist eine Frage der politischen Bewertung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine grundrechtskonforme Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung möglich ist. Wenn das notwendig ist und unvermeidbar, dann bitte auf eine Weise, bei der die Grundrechte der Betroffenen geschützt werden.

Im Gegensatz zu CDU-Ministerien und Jura-Professoren haben wir eine klare Antwort: Die Vorratsdatenspeicherung muss weg und ist in keiner Form akzeptabel.

15 Ergänzungen

  1. Jetzt ist der Abschlussbericht als 274 Seiten starkes, 72 Euro teures Buch erschienen.
    Habe ich nicht irgendwo etwas von „regierungsfinanziert“ gelesen? Hm. Da bezahl ich doch gerne noch mal für die Studie.

  2. „Zum Schutz besonderer Vertrauensbeziehungen dürfen keine Daten eines Geheimnisträgers (z.B. Anwälte, Pfarrer oder Journalisten) gespeichert werden.“

    Wie soll das überhaupt gewährleistet werden können?

    1. Man sollte auch nicht vergessen, dass nicht nur Pfarrer das Seelsorgegeheimnis achten müssen, sondern auch Kirchenbeamte, Lektoren, sonstige kirchlichen Beauftragte und im Endeffekt jedes Kirchenmitglied (vgl.bspw. § 2 Seelsorgegeheimnisgesetz der EKD). Das ist ein Argument, dass (theoretisch) bei der CDU wirken sollte.

      Auch der Begriff des Journalisten muss sehr weit gefasst werden. Mittlerweile müssten hierzu auch Blogger o.ä. zählen, oder die Journalistin, die nebenberuflich die Artikel für unser städtisches Gemeindeblatt schreibt.

      Außerdem müsste man sämtliche Gerichte und Gerichtsbedienstete ausnehmen. Und Beratungsstellen aller Art. Und und und…

  3. Mal eine kurze Zwischenfrage:

    Gab es in dem Gesetz damals eigentlich eine Regel, wo die Daten gespeichert werden müssen? Ich fand es interessant bei dem Live-Ticker von der Verhandlung beim EuGH das einige EU-Länder die Speicherung „outsourcen“ können. Gab es in „unserem“ Gesetz eine Klausel, dass die Daten dier hier erhoben werden das Land nicht verlassen dürfen?
    Ich meine, wenn die Daten bei den Telkos liegen, dann könnte doch Vodavone die auf einem Server in ihrer Firmenzentrale in UK speichern, AOL in den USA usw.
    Und selbst wenn die Daten hier in Deutschland liegen: Wie wird sicher gestellt, dass bei einem Zugriff durch die Behörden auf die Daten bei den Telkos die Datenpackete nicht über irgendwelche Drittstaaten geroutet werden (man mal davon Abgesehen, dass dies normalerweise unsinnig wäre, nicht jedoch wenn jemand bestimmtes ein Interesse an den Daten hat, oder der eigentlich Sinnvolle transportweg ist gestört, oder … )?

    Und wo kann man eigentlich Hüte aus Alu kaufen?

    Gruß
    mde

    1. Gleich der erste Satz des Gesetzes lautet:

      Wer öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienste für Endnutzer erbringt, ist verpflichtet, von ihm bei der Nutzung seines Dienstes erzeugte oder verarbeitete Verkehrsdaten nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 sechs Monate im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu speichern.

      1. Danke schon mal für die schnelle Antwort.

        D.h. also, dass es mindestens einen „befeundeten Dienst“ geben könnte, der sicher beim beim Transfer der Daten in einen … anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union … eine Kopie davon anfertigt. In dem Fall könnte man also z.B. einen Richtervorbehalt umgehen, indem man einfach den „befreundeten Dienst“ um Amtshilfe bittet?

        1. Wir hatten mal beim Bundesdatenschutzbeauftragten nachgefragt und die „hatten keine Erkentnisse, dass deutsche ISPs Daten außerhalb Deutschlands gespeichert hätten“. Mehr offizielle Informationen haben wir leider nicht.

  4. Zuallererst, eine Studie ist nicht gleich eine gute Studie. Erst muss man diese lesen, bevor man überhaupt auf dessen Argumente einlässt.
    So kann ich mir nicht vorstellen was die gemacht haben, dass selbst nach 2 Monaten noch kein Profil erstellt werden konnte.

    Schon nach einer Woche Überwachung der Kommunikationsmittel hat man ein gutes Profil eines Menschen, außer man trifft zufällig auf auf dessen Urlaubszeit.

  5. Was soll der ganze Quatsch. Der BND bzw. seine Partner haben weitaus mehr als die Vorratsdaten. Wenn so argumentiert wird, dann kann das nur bedeutet, dass man nun Illegales ein wenig legaler machen möchte.

    Die Polizei will eben auch offiziell im Schnüffel-Sandkasten mitspielen. Einem Richtervorbehaltszusatz in einem Gesetz traue ich keinen Millimeter mehr.

    Es ist ganz einfach: Schnüffelei einstellen, Datenschutz sicherstellen, Geheimdienste kontrollieren. Rechtsstatt wieder herstellen. Dann und erst dann können wir weiterreden. Bis dahin ist jede Ausweitung/Ermächtigung der Behörden absolut no go

  6. Merken unsere Politprolls eigentlich das sie nichts mehr zu sagen haben,so wie wie wir zur Wahl,denn alles wird von der Brüsseler Verbrecherbande bestimmt.
    Hier gibts nur noch eins–raus aus dem Schweinestall EU:
    Wo ist diese Partei,die das durch zieht-der laufe ich meilenweit hinterher.
    Das Schlimme daran ist das unsere Politker wissen was sie tun und
    wir Bürger stehen wie die Schafe daneben und warten auf den Abtransport zur Schlachtbank

  7. „Das fordert eine vom Bildungsministerium finanzierte Studie“ was hat die denn gekostet, und wer hat das Geld bekommen?

    1. Aus der Broschüre Projektumriss INVODAS:

      Gesamtzuwendung
      295.000 €

      Projektpartner
      – Universität Kassel, Projektgruppe verfassungsverträgliche Technik­gestaltung (provet)
      – Institut für Europäisches Medienrecht, Saarbrücken

  8. Danke. Dreihunderttausend Euro! und dann sowas … „Die Speicherung darf nur bei den Telekommunikationsunternehmen, nicht bei den Behörden erfolgen.“ irgendwelche private Firmen sollen also die sozialen und geschäftlichen Kontate und die Bewegungsmuster aller Deutscher kontrollieren. „Die Speicherfrist sollte möglichst kurz bemessen werden …“ yep, und zwar so kurz, bis der Kommunikationsinhalt beim Empfänger angekommen ist, Ortsdaten überhaupt nicht. „… zugleich aber das Gewicht des Grundrechtseingriffs zunimmt.“ hier geht es um Strafverfolgung, und im Strafrecht gilt in D die Unschuldsvermutung, damit ist jede anlasslose Speicherung zu staatlichen Zwecken ein unzulässiger Rechtseingriff. „Für sie sollte zur Sicherung der Wettbewerbsgleichheit eine Kostenerstattung erfolgen.“ Wenns dafür Geld gibt, ist der Anreiz möglichst viel zu speichern natürlich um so größer. „Eine Herausgabe einzelner Daten darf nur zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter zulässig sein. Diese Voraussetzung ist durch einen Richter zu prüfen.“ heißt was genau? „Die Anfrage ist über die Bundesnetzagentur zu leiten, die eine Statistik über die Anfragen führt.“ so, die sollen also auch noch mitbekommen, welcher Bürger gerade des Terrors oder der Kinderschänderei verdächtigt wird. „Die Anfragenden haben die Ergebnisse der Datenverwendung an diese zentrale Stelle zu melden.“ was geht das diese zentrale Stelle an, welche (angeblichen) Erkenntnisse der Staatsschutz über einen Bürger hat? „Der Betroffene ist rechtzeitig zu informieren, so dass er die Rechtmäßigkeit der Datenauskunft nachprüfen und diese unter Umständen gerichtlich angreifen kann.“ was heißt „rechtszeitig“, wieso nur „unter Umständen“? „Zum Schutz besonderer Vertrauensbeziehungen dürfen keine Daten eines Geheimnisträgers (z.B. Anwälte, Pfarrer oder Journalisten) gespeichert werden.“ wie soll das gehen, was ist etwa mit Lehrern, Betriebsräten, Schülersprechern usw? Aber schon klar, der der zahlt bekommt auch das gewünschte Menü.

  9. Ich will keine Vorratsdatenspeicherung!
    Kann sich die Bundesregierung mit den Amis zusammentun und noch mehr Daten preisgeben. Außerdem haben die Amis doch schon die „Voratsdatenspeicherung“ auch von uns Deutschen. Da kann sich die Bundesregierung ja ihre Daten besorgen. Ach Moment die NSA will die Daten nicht rausrücken. Oh, das tut mir aber leid.

    Es kann doch nicht sein das man jetzt irgend eine Vorratsdatenspeicherung einführt. Man sollte nur mal an unsere Vergangenheit denken. Die totale Überwachung muss endlich aufhören, sonst werden die gesameölten Daten irgendwann misbraucht. Ich finde sowas kann nicht tolleriert werden.

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