Vorratsdatenspeicherung: EU-Kommission legt „Beweise für Notwendigkeit“ vor, beweist aber die Notwendigkeit nicht

Es gibt keinen statistischen Nachweis für die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung. Das geht aus einem Papier der EU-Kommission hervor, das eigentlich angetreten war, die Notwendigkeit zu beweisen. Bei genauerer Betrachtung bestätigt das Papier eher Kritiker der anlasslosen Massenüberwachung.

EU-Innen-Kommissarin Cecilia Malmström. CC-BY-NC-SA 2.0 Ausschuss der Regionen

In der EU-Richtlinie zur Voratsdatenspeicherung steht unter anderem, dass die Mitgliedstaaten der EU-Kommission „jährlich eine Statistik“ übermitteln sollen, wie viele Daten weitergegen wurden, wie lange die Behörden für Anfragen gebraucht haben und wie viele Anfrage ergebnislos waren. Unter anderem auf Basis dieser Daten hat die Kommission vor zwei Jahren einen Bewertungsbericht herausgegeben – der von Digital Rights Gruppen wie EDRi mit einem Schattenbericht gekontert wurde.

Jetzt hat die Kommission wieder ein Papier vorgelegt, diesmal mit dem großspurigen Titel „Beweise für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung in der EU“ (Archiv-Link). Doch auch diesmal kann die Kommission nicht beweisen, dass die anlasslose Massenüberwachung sämtlicher Kommunikation notwendig und verhältnismäßig ist, wie es europäisches Recht für Grundrechtseingriffe eigentlich vorschreibt. Sondern es werden wieder nur ein paar Einzelfälle aufgelistet, in denen Mitgliedstaaten behaupten, dass die Vorratsdatenspeicherung „hilfreich“ war.

Bei genauerer Betrachtung kann das Papier der Kommission aber auch das Gegenteil bestätigen – und mit ein paar Mythen aufräumen, die Befürworter immer anbringen.

Vorratsdatenspeicherung geht über Rechnungsdaten hinaus

Ein verbreiteter Mythos über die Vorratsdatenspeicherung ist, dass die Daten ohnehin für Rechnungszwecke gespeichert werden. Dem entgegnet die Kommission:

Laut Datenschutzbehörden und Betreibern haben bestimmte Daten nur wenig geschäftlichen Wert und werden nur gespeichert, weil die Vorratsdatenspeicherung es vorschreibt. Dazu gehören:

  1. Verkehrsdaten von Festnetz- und Mobil-Anschlüssen mit Flatrates oder Prepaid-Tarifen
  2. Telefonnummer des Anrufers bei eingehenden Anrufen
  3. erfolglose Anrufversuche
  4. IP-Adressen
  5. Cell-IDs (also den Aufenthaltsort von Mobiltelefonen) und
  6. E-Mail Daten.

Registrierung von SIM-Karten hilft nicht bei Strafverfolgung

Auch der Identifizierungszwang für Handykarten hilft laut EU-Kommission nicht gegen Straftaten:

In Deutschland stieg die Anzahl der privaten Internet-Nutzer solcher Flatrate-Tarife von 18% im Jahr 2005 auf 87% im Jahr 2009. Der Anteil der Nutzer von Prepaid-Diensten schwankt in der EU zwischen etwa 20% in Finnland bis zu 80% in Portugal. Einige Mitgliedstaaten (Bulgarien, Dänemark, Griechenland, Italien, Slowakei und Spanien) verlangen eine Registrierung aller Prepaid-SIM-Karten, obwohl es keine Beweise für die Wirksamkeit dieser Maßnahme für die Strafverfolgung gibt.

In jeder zehnten Ermittlung eine Vorratsdaten-Abfrage

Die übermittelten Statistiken der EU-Staaten zeigen, wie häufig die ursprünglich mit Terrorismus begründete Vorratsdatenspeicherung tatsächlich verwendet wird:

Anscheinend werden mehr als zwei Millionen Zugriffe auf Vorratsdaten pro Jahr vorgenommen. Das entspricht etwa zwei Abfragen für jeden Polizeibeamten in der EU oder 11 Abfragen auf 100 aufgezeichneten Verbrechen.

Es scheint, dass es mehr als zwei Millionen Zugriffe pro Jahr auf Vorrat gespeicherten Daten, das entspricht etwa zwei Anträge für jeden Polizeibeamten in der EU oder 11 Anfragen für alle 100 aufgenommen Straftaten. Die Anzahl der Anfragen variiert stark zwischen den Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten (Frankreich, Polen und Großbritannien) behaupten, dass Kommunikationsdaten für die meisten strafrechtlichen Ermittlungen erforderlich sind. Großbritannien behauptet, dass für einen „durchschnittlichen“ Mordfall zwischen 500 und 1.000 Anfragen nach Vorratsdaten zustande kommen.

Nützlich vielleicht, notwendig und verhältnismäßig nicht

Nach diesen quantitativen Daten stehen in dem Dokument auch qualitative Daten. Diese bestehen aus einer Liste von Einzelfällen, in denen Ermittlungsbehörden die Vorratsdaten für hilfreich hielten. Für Deutschland sind das 14 Beispiele, bei denen die Ermittler nicht weiterkamen, weil es keine Vorratsdatenspeicherung gibt. Eins der Beispiele ist die hunderttausendfache Identifizierung von Computer-Inhabern, deren Rechner einen Virus hat.

Ob die anderen Ermittlungen, die auch wirklich Straftaten erfassen, mit der Datenspeicherung Erfolg gehabt hätten, geht aus dem Papier nicht hervor.

„Sinnvolle statistische Trends nicht möglich“

Über „konzeptionelle und methodische Fragen“ selbst führt die Kommission aus:

Jedenfalls ist es nicht möglich, nur wenige Jahre nach dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung sinnvolle statistische Trends zu identifizieren.

Eigentlich zielte die Kommission damit auf die Analysen des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auf Basis der polizeilichen Kriminalstatistik. Von netzpolitik.org befragt, ob dieser Satz nicht für das gesamte Dokument gilt, sagte der verantwortliche Kommissions-Mitarbeiter:

Ja, ich denke schon.

Notwendigkeit nicht bewiesen

Auf unsere Nachfrage, warum der Titel dann „Beweise für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung“ heißt, antwortete die Kommission:

Das Dokument erhebt nicht den Anspruch, dass die Notwendigkeit bewiesen wurde.

Schön, dass wir das klargestellt haben. Vielleicht sollte man den Titel ändern.

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15 Ergänzungen

  1. Ich hoffe Frau Malström scheitert mit ihrer Propaganda und Deutschland weigert sich weiterhin gegen massenhaften Angriff auf unsere Verfassung!

    1. Nach der Wahl werden wir eine große Koalition haben, und das Ergebnis wird eine Neuauflage der VDS sein – präzise innerhalb der BVerfG Grenzen, sodass wir sie auch diesmal so schnell nicht wieder los werden.

      1. Bisher war kein einziger Vorschlag (Auch SPD) im Rahmen der vom BVG gestellten Vorderungen und wäre in 1-2 Jahren wieder einkassiert worden. Aber das war auch nicht das Ziel. Hauptsache VDS…

  2. Es ist sehr traurig für die europäische Idee, dass es der EU-Kommission überhaupt nicht darum geht gute Politik zu machen, sondern darum Recht zu haben und den Interessen einiger weniger zu dienen.

  3. Die EU-Kommission, nicht gewählt und damit undemokratisch ins Amt gekommen, wird von den USA – und deren Schattenmännern – stark beeinflußt bis ferngesteuert!
    Die USA, als untergehende Großmacht, die sich gerade zum Polizeistaat entwickelt, was allen untergehenden Mächten eigen ist, hat vermehrtes Interesse daran, vor allem politische Gegner ausfindig zu machen.
    Das läßt sich mit Vorratsdatenspeicherung und Datenklau nämlich bewerkstelligen, die Verhinderung von Wohnungseinbrüchen osteuropäischer Banden eher nicht!
    Abhören – in allen Varianten – hat schon immer der Gesinnungsüberwachung – und damit der Politik/ den Mächtigen gedient; und nicht um Ganoven von der Tat abzuhalten bzw. zu erwischen! Da hat sich seit Metternichs Zeiten außer der Technik nichts geändert. Damit werden aus Ordnungshütern Büttel.
    Im Gegenteil – die Polizei ist mitlerweile, ausgedünnt und mit Computern beschäftigt, garnicht mehr in der Lage z.B. Wohnungseinbrüche in einer akzeptablen Rate aufzuklären!

  4. Ich finde die ganze Sache mit der Datenspeicherung einfach nur Quatsch. Wie überall in der Politik und dem ganzen Mist wird wieder mal nicht mit offenen Karten gespielt und einfach über die Köpfe aller hinweg etwas beschlossen was keinen Sinn ergibt. Egal ob da Gesetze und Grundrechte verletzt werden oder nicht, erstmal machen und dann können sich ja alle beschweren die was dagegen haben. „Bis die sich beschwert haben und wir das wieder ausmachen müssen, haben wir eh schon genügend gesammelt.“.

    Wiedermal ein sehr gutes Beispiel für den Missbrauch von Datenspeicherung:

    http://www.myheimat.de/erfurt/politik/datenschutz-skandal-bei-vodafone-d2546226.html

  5. Yo ist wie Fefe immer sagt: Unsere besten Waffe gegen solche Behörden und Leute ist deren Inkompetenz. Und wir müssen als Gesellschaft dafür sorgen dass das so bleibt. Und dass das BKA und das BND sowie VerfaSSungSSchutz verzweifelt nach Mitarbeitern für die Spionage suchen ist ein gutes Zeichen dafür 8-) Weiter so !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.