Ranga Yogeshwar: Rechnen Sie damit, lebenslang ein Verdächtiger zu sein

Spannendes Interview mit Ranga Yogeshwar in der FAZ über Statistik, Scoring und Profiling: Rechnen Sie damit, lebenslang ein Verdächtiger zu sein.

Wir selbst sind zum stillen Kooperationspartner der Datensammler geworden. Diesen geht es um die Vorhersage des Verhaltens. Das ist eine neue Qualität: Bislang wurden Menschen nach ihrem Handeln bewertet, doch in Zukunft wird die Vorhersage die Oberhand gewinnen.

Das lässt sich leicht anhand von Strafrecht oder Medizin erklären. Bislang wurden die Behörden erst dann aktiv, wenn eine Straftat vorlag, und man ging zum Arzt, wenn man krank war. Inzwischen aber lässt sich immer genauer berechnen, ob ein Mensch womöglich kurz davor steht, eine kriminelle Handlung zu begehen, oder eine noch gesunde Patientin eine erhöhte Wahrscheinlichkeit aufweist, zum Beispiel an Brustkrebs zu erkranken. Sie ist noch nicht krank, jedoch zeigen genetische Daten und bestimmte andere biologische Indikatoren, dass sie in der Zukunft erkranken könnte. Und an genau dieser Stelle überschreiten wir den Rubikon zwischen Realität und dem digitalen Abbild: Nicht der Mensch an sich, sondern die Vorhersage des Modells wird Grundlage des Handelns. Der noch gesunden Patientin entfernt man vorsorglich die Brüste, und der unbescholtene Bürger wird vorsorglich womöglich verhaftet.

Dazu passt ein einstündiges Gespräch zwischen Frank Schirrmacher und Ranga Yogeshwar, das auf WDR5 zu hören war: Das Spiel des Lebens.

Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist einer der pointiertesten Beobachter der Folgen der Digitalisierung der Gesellschaft. In seinem Ärger über den – wie er sagte – „Hausfriedensbruch“, den der amerikanische Geheimdienst begeht, war er sich mit dem WDR-Wissenschaftsexperten Ranga Yogeshwar einig. Das Ergebnis war eine politische Diskussion, die letztlich auch grundlegende philosophische Fragen aufwarf: Wer bestimmt, was wir wünschen, fühlen und denken?

Hier ist die MP3.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

5 Ergänzungen

  1. Und gerade die Medizin zegt auch sehr schön, daß das Sammeln und Auswerten von gigantischen Mengen an Daten Blödsinn ist.

    Außer Positivkorrelationen findet man da nämlich nicht viel.

    Weiterhin wird das Auffinden von Krankheitsursachen durch das Verhalten von Menschen verwässert. So können aufgrund der globalen Wanderungen immer schwerer soziokulturelle Ursachen gefunden werden. Auch das Auffinden von genetischen Ursachen wird dadruch weiter erschwert.

    Bleibt zum Schluß nur übrig, wieder richtig zu arbeiten.

  2. Vieles von dem was Ranga Yogeshwar dort schreibt ist nicht nur gewohnt klug und wirkt genau beoachtet, sondern ist auch noch sehr klar und verständlich ausgedrückt.

    Und darin liegt gleichermaßen das Problem, des Artikels. Wir müssen bei aller berechtigten Kritik im Diskurs um BigData aufpassen, dass wir die Dinge nicht vereinfacht, zu diffus und indifferent debattieren. Das Big Data der Firmen ist etwas anderes als das Big Data der Gemeindienste, insbesondere was unsere Selbstbestimmtheit angeht. Noch habe ich etwa beim Einkauf Alternativen zu Amazon, noch muss ich nicht bei Facebook sein bzw. kann auch dort bestimmen, was ich angebe. Bei Institutionen die im geheimen mit fragwürdiger Legimität operieren ist, das schon was anderes.

    Zum zweiten müssen wir, und das ist der unterschwellige Tenor des Artikels, aufpassen nicht in eine pauschale technopohobe Tedenz in unserem Denken zu verfallen. Bei Technologie handelt es sich zu nächst einmal um nur um bestimmte Werkzeuge, kulturelle Artefakte und ihrer Konfiguration zu Systemeinheiten.

    Es kommt vornehmlich auf deren sozialen Gebrauch an. Die Metapher des Algortihmus, wie er gerne in der FAZ gebraucht wird, ist problematisch, weil unter sie auch Mythen und Sterotype subsumitert werden, so dass ein sehr merkwürdiges Technolgoienarrativ entsteht, dass aber so gar nicht mit der technischen Realität übereinstimmen muss. Es geht hier schließlich nicht um Bubblesort, Quicksort, Heapsort, etc. sondern um komplexe Systeme, mit denen wir interagieren, mitunter sogar in sozialen Kontexten. Diese Systeme gebrauchen wir als Werkzeuge oder Werkezeugsets. Doch sie sind sind nicht noch notwendigerweise Hochrisikosysteme wie Yogeshwars Atomkraftwerke, die als Technologie zweieflsohne in Frage zu stelle wären.

    Jeder Technologiewandelnhat soziale und kulturelle Umbrüche provoziert, ob das die Verwendung unterschiedlicher Metalle, Druckverfahren oder Einsatz von Elektrotechnik war. Warum sollte das jetzt anders sein?

    Es geht doch vielmehr darum, dass wir den sozialen und politischen Umgang mit diesen Werkzeugen an unsere Lebenswelt anpassen und dir möglichst zu unseren Wohl einsetzen, was die Eindämmung und Saktionierung von Mißbrauch angeht – egal ob dieser von Privatunternehmen und Konzeren, von Krankenkassen oder von staatlichen Adminstrationen (das schließt auch die JobCenter mit ein!) ausgeht. Wir müssen soziale und politsiche Normen für den Umgang mit bestimmten Techologien finden und deren Einsatz ggf. abwehren wie z. B. den Einsatz von drone strikes.

    Zum Dritten ist mir die Kritik an der Wikipedia in dem Zusammenhang schleierhaft. Hätte Yogeshwar nicht einfach den deutschen Verein anschreiben können? Über die Seite direkt einen Löschantrag stellen könne? Die Namen eigenhändig entfernen können? Aber das er da gleich zu Peter Schaar rennen muss, der nur auf eine US-Stiftung verweist?

    1. Ich stimme Dir zu, dass jeder Technologiewandel soziale und kulturelle Umbrüche gebracht hat. Allerdings solltest Du mal genau hinschauen wie das in den allermeisten Fällen passiert ist…

      Militärentwicklung, Krieg und Vernichtung waren meist die Folge. Alles wurde erstmal zur Aufrüstung benutzt um effektiver Krieg zu führen. Daraus folgt einfach: Der Geist ist aus der Flasche und er wird noch einige Zeit Schaden anrichten.

      1. Der Werkzeuggebrauch ist nicht notwendigerweise mit Gewalt verbunden. Aber er kann. Das ist im ganzen Zivilisierungsprozess freilich zu beobachten gewesen. Das ist ein Dilemma für das es offbar noch keine Lösung gibt. Zumindest kenne ich keine, die zu funktionieren scheint.

        Man kann nun ganz radikal fordern: Werkzeugverzicht. z. B. Internet deinstallieren. Metallverarbeitung verbieten. Das mag bei der Kernkrafttechonologie ethisch richtig und verantwortungsvoll gewesen sein und kann funktionieren. Oder etwa beim Einsatz von Dronen. Aber Kommunikationstechnologie per se? Oder liegt es das Problem tiefer, etwa an politischen, sozialen und ökomischen Stukturen? Und wohin soll übertriebener Kulturpessimismus (nicht konstruktive Kritik!) führen?

  3. „Vielleicht sind gesetzliche Regelungen schon deshalb schwierig, weil wir Bürger womöglich in einer Illusion leben, wenn wir denken, es gäbe da einen nationalen Rahmen für die gesetzliche Seite, wir seien eine unabhängige Nation, und nicht merken, dass wir durch die Hintertür die Souveränität aufgegeben haben. Der Kalte Krieg ist vorbei, und es ist an der Zeit, dass wir eine neue Unabhängigkeit etablieren.“

    (Ranga Yogeshwar aus dem FAZ Artikel von oben)

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueberwachung/ranga-yogeshwar-im-gespraech-mit-dietmar-dath-rechnen-sie-damit-lebenslang-ein-verdaechtiger-zu-sein-12279206.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.