Jung & Naiv – Episode 92: Dirty Wars – with Jeremy Scahill

Für die neueste Folge treffen wir uns mit Jeremy Scahill in seinem Hotel. Es liegt nicht weit weg vom Bundesinnenministerium. Im ersten Teil (des vierteiligen Gesprächs) erzählt Scahill über die schmutzigen Kriege, die die Amerikaner führen. Natürlich gebe es keine sauberen Kriege. Aber was sollen wir davon halten, dass ein Friedensnobelpreisträger und Verfassungsrechtler ohne ordentliches Gerichtsverfahren darüber entscheidet, wen er irgendwo auf der Welt, in Somalia, im Jemen oder in Pakistan töten lassen will?

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(In Englisch, aber deutsch untertitelt.)

Unschön daran: Die Idee aus „Minority Report“ ist wirklich geworden. Es reicht die Annahme aus, dass aus einem ein Verbrecher werden könnte, um einen Tötungsbefehl zu unterschreiben. Der Neusprech dafür heißt „signature strike“, die Rakete trägt gewissermaßen die Unterschrift des US-Präsidenten. Dafür reicht aus, dass Du Dich zur falschen Zeit am falschen Ort befindest oder irgendwann einmal mit einem telefoniert hast, der verdächtig ist – und schon wirst Du posthum zum Terroristen erklärt.

Ein Navy Seal, der in Djibouti stationiert ist, erzählte Scahill nach seiner letzten Reise in den Jemen, dass sie ihn via Satellit beobachtet hätten.

Was einen zum Terrorist macht, unterliegt mehr und mehr dem Zufall. Typisch für die Amerikaner sei ihre rhetorische Kultur, mit der sie Krieg gegen Drogen, Armut, Krebs oder Terror führen. Dummerweise bleiben dabei die Idee der Gewaltenteilung und ordentlicher Verfahren auf der Strecke. Willkür übernimmt das Kommando – und Metadaten führen die Raketen in ihr Ziel.

Scahill weist auf die iphones auf dem Tisch: Ihr benutzt die unsichersten Telefone der Welt. Du hast nichts dagegen, fragt er mich, dass alle Leute hier im Hotel Deine Mails lesen? Angela Merkel soll Deine DMs an deine Freundin mitlesen können? Das Problem der schmutzigen Kriege ist: Die Amerikaner sammeln alles und nehmen keine Rücksicht auf individuelle Freiheitsrechte. Der Krieg gegen den Terror rechtfertige alles.

Der Unterschied zwischen George W. Bush und Barack Obama liege darin, dass Obama alles wunderbar erklären könne. Mit einem Mal klinge das gar nicht mehr anstößig, selbst wenn es heißt, dass am anderen Ende der Welt ein amerikanischer Staatsbürger und ein paar Tage später auch noch sein 16jähriger Sohn durch eine Drohne getötet werden. Bush habe im Unterschied zu Obama nicht einmal die englische Sprache beherrscht. „Lernt die Kinder gut“ – sei so ein Beispiel gewesen, lacht Scahill.

Die erste Obama-Wahlkampagne habe alles Mögliche versprochen, zum Beispiel das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba zu schließen. Tatsächlich hat Obama nach Amtsantritt die Schließungsverordnung geschrieben, aber sich danach nicht mehr sonderlich darum gekümmert. Der Widerstand der Republikaner im Kongress dient ihm als Ausrede. Tatsächlich gehöre die Schließung Guantánamos nicht zu den TOP-Prioritäten Obamas.

Auch dass Obama ausdrücklich die Folter-Praxis der Bushregierung beendet habe, dürfe nicht so wörtlich verstanden werden. Heute übernähmen Warlords und Milizen die schmutzige Arbeit und kassieren dafür amerikanisches Geld. Auch in Somalia.

Scahill erzählt eine Episode aus dem schmutzigen Krieg. Er tauscht dabei einen Namen aus. Den des amerikanischen Staatsbürgers Anwar al-Awlaki gegen den eines deutschen Studenten namens Joschka Fischer. Ein Idealist. Erst kandidiert er auch in irgendeiner Wahl. Dann fühlt er sich von den Routinen des politischen Betriebs abgestoßen, radikalisiert sich und produziert wilde YouTube-Videos, in denen er zum Kampf gegen das System aufruft. Eines Tages wird ihm der Boden in Deutschland zu heiß unter den Füßen und er zieht nach Südfrankreich, produziert da weitere seine wilden Videos, bis der Bundesregierung das ganze zu bunt wird, und sie einen Drohnenschlag befiehlt. Niemand denkt daran, einen Auslieferungsantrag an die Franzosen zu schicken. Eines Tages schießt eine deutsche Drohne aus der Ferne eine Rakete ab, die den wilden Joschka Fischer in Südfrankreich liquidiert. Ohne Todesstrafe. Ohne Gerichtsverfahren. Er wird einfach posthum zum Terroristen erklärt und basta.

Scahill vergleich das mit der Gerichtspraxis in Lewis Carrolls Buch „Alice in Wonderland“: Erst das Urteil, dann das Verfahren!

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