Geheimdienstzusammenarbeit: Wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht rechtfertigen, dass die Bundesregierung etwas verbirgt

Demonstration im April 2012 zum GTAZ in Berlin-Treptow. Dort schaut die NSA wöchentlich vorbei
Demonstration im April 2012 zum GTAZ in Berlin-Treptow. Dort schaut die NSA wöchentlich vorbei
Demonstration im April 2012 zum GTAZ in Berlin-Treptow. Dort schaut die NSA wöchentlich vorbei
Demonstration im April 2012 zum GTAZ in Berlin-Treptow. Dort schaut die NSA wöchentlich vorbei

Letzten Samstag sorgten die Enthüllungsjournalisten John Goetz und Christian Fuchs erneut für Furore: Die beiden meldeten, dass nicht nur der deutsche Auslandsgeheimdienst (Bundesnachrichtendienst, BND) mit dem US-Militärgeheimdienst NSA zusammenarbeitet. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) liefert demnach regelmäßig Daten ins befreundete Ausland, obwohl die Behörde eigentlich nur für die geheimdienstliche Tätigkeit im Inland zuständig ist. Im Gegenzug wird das BfV laut heise.de technisch aufpoliert:

So soll die NSA an unseren Verfassungsschutz Werkzeuge zur Analyse des Routings zwischen Kommunikationsnetzen, zur Dekodierung von „verschleierter Übertragung“ sowie zur Dekodierung von „herstellerspezifischen Übertragungsverfahren“ übergeben haben.

Wöchentlich finden laut der Süddeutschen Zeitung Treffen mit dem NSA im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin-Treptow statt. Dort versammeln sich alle deutschen Sicherheitsbehörden ungeachtet des eigentlich geltenden Trennungsgebots von Polizei und Diensten. Kein Gesetz regelt diese informelle Kungelei.

Goetz und Fuchs wussten auch zu berichten, dass der BND Hilfsarbeiten für die NSA übernimmt – ähnlich stand dies schon auf netzpolitik.org. Dabei geht es um die Abhörstation in Bad Aibling, wo vermutlich die „Strategische Fernmeldeaufklärung“ vorgenommen wird: Digitale Datenströme werden dort nach mehreren Tausend Suchbegriffen abgeschnüffelt.

Nach Informationen der Journalisten liefert die NSA hierfür eigene Suchkriterien. Das war der Grund für eine parlamentarische Nachfrage: Der MdB Andrej Hunko wollte wissen, inwiefern bzw. in welchem Umfang es zutrifft, dass die deutschen Geheimdienste „beim Abhören oder Durchdringen digitaler Telekommunikation (auch SIGINT) Suchbegriffe / Suchkriterien verwenden, die von ausländischen Partnerdiensten beigesteuert werden“.

Die Antwort ist: Die Bundesregierung hat etwas zu verbergen. Viele der Angaben sind – wie zu dem Thema üblich – in die Geheimschutzstelle des Bundestages verschoben. Dort haben nur Abgeordnete und besonders überprüfte MitarbeiterInnen Zutritt. Andere Antworten werden sogar komplett verweigert, da dies „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit den ausländischen Geheimdiensten habe:

Würden in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen oder wesentlich zurückgehen, entstünden signifikante Informationslücken mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst (BND).

Gleichwohl wird bestätigt, dass der BND von „einer Vielzahl ausländischer Nachrichtendienste regelmäßig auch solche Informationen [erhält], die als Grundlage für „weitere – auch technische – Maßnahmen“ dienen. Allerdings entzieht sich diese Zusammenarbeit der parlamentarischen Kontrolle, denn der Dienst führt „mangels fachlichen Bedarfs keine gesonderte Statistik“.

Auch andersherum funktioniert die Zusammenarbeit prima: Im Rahmen des „partnerschaftlichen Austausches“ erhalten Geheimdienste wie die NSA Informationen, die aus der „Strategischen Fernmeldeaufklärung“, also dem Durchsuchen des Internetverkehrs, abgefischt wurden.

Ob die NSA hierfür tatsächlich Suchbegriffe beisteuert, wie es Fuchs und Goetz beschrieben hatten, erfahren wir aus Gründen des gefährdeten Staatswohls aber nicht.

Dass die NSA selbst Abhöranlagen in Deutschland betreibt, wird seitens der Bundesregierung weiter dementiert. Bis 2006 hatte der US-Geheimdienst hierfür die Anlage in Bad Aibling genutzt, vermutlich auch zur Überwachung deutscher Staatsangehöriger. Danach ging die Überwachungsstation an den BND über und ergänzt damit eine ganze Reihe anderer Abhörstationen, die unter illustren Tarnnamen wie „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“ oder „Ionosphären-Institut“ betrieben werden.

Nach einem Bericht des ZDF-Magazins Zoom unter dem Titel „World Wide War“ profitierte die NSA aber auch nach der formalen Übergabe des Datenstaubsaugers in Bad Aibling an den BND: Denn der „Deutschland-Chef der NSA“ habe dort weiterhin einen „Direktzugriff“.

Wie dies geschehen soll, lässt das ZDF offen. Denkbar wäre die Beteiligung des „Consolidated Intelligence Center“ in Wiesbaden oder das „European Cryptologic Centre“ in Darmstadt, beides Anlagen des US-Militärs. Überdies betreibt die NSA laut dem ZDF neue Abhörstationen in Dänemark und der Schweiz, darunter in den Kantonen Wallis und Bern. Wie es sich für einen ordentlichen Geheimdienst gehört, wird dies aber vom Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zurückgewiesen.

Wie der Inlandsgeheimdienst „Anhaltspunkte“ in „Tatsachen“ umdeutet

Schließlich gibt die Bundesregierung in der besagten Antwort auf die Schriftliche Frage auch Hinweise zum Bundesamt für Verfassungsschutz: Es würden bei dessen Abhören privater Telekommunikation demnach „keine Suchkriterien/ Suchbegriffe genutzt, die von ausländischen Partnerdiensten beigesteuert werden“. Das Bundesinnenministerium erklärt, dass nur die Telekommunikation „einzelner bestimmter Kennungen (wie beispielsweise Rufnummern) überwacht“ würde.

Dies geschehe lediglich in begründeten Fällen:

Dafür müssen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Person, der diese Kennung zugeordnet werden kann, in Verdacht steht, eine bestimmte schwere Straftat zu planen, zu begehen oder begangen zu haben, oder es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.

Über diese vage formulierten „tatsächlichen Anhaltspunkte“ hat sich eine vom Innen- und Justizministerium beauftragte Kommission zwei Jahre lang den Kopf zerbrochen. Ausgangspunkt war eine Überprüfung aller „Sicherheitsgesetze“, die nach 9/11 erlassen worden waren.

Untersucht wurde, ob der Geheimdienst nicht erst bei „Tatsachen“, sondern bereits bei vermeintlich „tatsächlichen Anhaltspunkten“ tätig werden darf. Die Mehrheit der Kommission hat daran Zweifel:

Der Unterschied zwischen beiden Formulierungen besteht darin, dass die gedanklichen Schritte der Schlüsse von einer (tatsächlichen) Grundlage auf eine Folgerung (Tatbestandsmerkmal) im menschlichen Denken unendlich groß sind und das besagte Begriffspaar versucht, mit Worten unterschiedliche Längen von gedanklichen Ableitungsketten zu erfassen. Versucht man, menschliches Denken in Worte zu fassen, wird man aber immer mit einem erheblichen Graubereich kämpfen müssen.

Die wunderschöne Schlussfolgerung nochmal verständlicher formuliert:
„Anhaltspunkte“ für einen nur vielleicht geplanten Gesetzesübertritt in „Tatsachen“ umzudeuten, ist insbesondere beim Großen Lauschangriff, dem Einsatz von Trojaner-Programmen sowie von V-Leuten und Spitzeln hochproblematisch.

Teile der Kommission fragen sich „ob es überhaupt sinnvoll ist, den Nachrichtendiensten derartige Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen, oder ob sie nicht vielmehr den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden vorbehalten bleiben sollten“.

Das Parlamentarische Kontrollgremium als Babyklappe für Verstöße der Geheimdienste?

Übrigens werden in dem Bericht interessante Hinweise gegeben, wie die Arbeit des „Parlamentarischen Kontrollgremiums“ (PKGr) verbessert werden könnte. In das Gremium darf jede im Bundestag repräsentierte Partei einE VErtreterIn entsenden. Über das dort Erfahrene dürfen diese aber mit niemanden sprechen.

Laut einer Mehrheit der Kommission sei es aber „kein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Geheimhaltung, wenn ein Mitglied der PKGr seinen Fraktionsvorsitzenden von einem in dem Gremium behandelten Sachverhalt unterrichtet, sofern er ihn gleichzeitig auf die Quelle der Information und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zur gesetzlichen Verschwiegenheit hinweist“.

Faktisch könnte das PKGr sogar zu einer – arg abgespeckten – Einrichtung für Whistleblower aus den von ihm beaufsichtigten Geheimdiensten werden. Denn einer der Reformvorschläge sieht vor, dass ein Mitglied des PKGr von Mitarbeitenden der Schnüffelbehörden direkt konsultiert werden kann, ohne den hierfür vorgesehen Dienstweg einhalten zu müssen.

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Eine Ergänzung

  1. schön dass man darüber berichtet. aber jedem ist doch inzwischen klar, dass wir von den alimentierten „volks“-vertretern von vorne bis hinten verarscht werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.