Free Zone: Google und die Netzneutralität sind schon lange nicht mehr beste Freunde

google-free-zoneHat der Google-Konzern die Netzneutralität verraten? So klingt zumindest das Medienecho, nachdem bekannt wurde, dass der Internet-Riese einen französischen Provider für den Traffic seiner Tochterfirma YouTube Geld bezahlt. Tatsächlich fällt Google dem Kampf um ein echtes Netz gleich an mehreren Stellen in den Rücken.

Vor einer Woche sagte Stephane Richard, Chef des Telekommunikations-Unternehmens Orange, Teil des französischen France-Télécom-Konzerns in einem Interview mit BFM Business TV:

Der Leiter des französischen Unternehmens Orange sagte, dass sie ein Abkommen mit Google erreicht haben zur Erstattung der großen Datenmengen, die [Google] über [Oranges] Netze schickt.

Mit anderen Worten: Google zahlt einem Provider Geld, damit dessen Kunden YouTube-Videos klicken können. Also die Abkehr eines neutralen, echten Netzes. Hintergrundinformationen, warum das schlecht für Internet-Nutzer/innen ist, hat der Digitale Gesellschaft e. V. in einem Handbuch Netzneutralität ausgearbeitet.

Google selbst hat bisher keine Medienanfragen dazu beantwortet. Auch unsere Anfrage ging vom Unternehmenssprecher zum Leiter Unternehmenskommunikation und von dort ins Büro London. Das ist zwar zuständig, arbeitet aber selbst noch an der Kommunikationsstrategie.

Obwohl der eigentliche Sachverhalt zumindest in Frankreich schon länger bekannt war, tauchen jetzt Schlagzeilen auf wie: Google gibt die Netzneutralität auf. Das impliziert, dass Google bis letzte Woche ein fester Vertreter der Netzneutralität war.

2006: Google kämpft für Netzneutralität

Tatsächlich hat sich der Suchmaschinen-Konzern in den großen Netzneutralitäts-Debatten von 2006 auf die Seite der Kämpfer für ein echtes Netz gestellt. Auf der eigenen Webseite sprach Google von einer „ernsthaften Bedrohung“ für die „Freiheit des Internets“:

Das Internet ist heute eine Datenautobahn, zu der jeder – egal ob groß oder klein, traditionell oder unkonventionell – den gleichen Zugang hat. Doch die Telefon- und Kabel-Monopole, die fast alle Zugänge zum Internet kontrollieren, wollen die Macht entscheiden zu können, wer Zugang zur Überholspur bekommt und wessen Inhalte als erstes und am schnellsten gesehen werden. Sie wollen ein zweistufiges System bauen und die Auffahrten für diejenigen blockieren, die nicht zahlen können.

Das ist richtig. Und kam zu einer Zeit, als die Debatte in den USA einen bisherigen Höhepunkt erreichte. Nur ist einiges passiert, seitdem sich Google damit an die Spitze der Bewegung gesetzt hat.

2010: Netzneutralität ja, aber nicht im Mobilfunk

Spätestens 2010 ruderte Google zurück. Zusammen mit dem Provider Verizon präsentierte man einen Vorschlag, nachdem Netzneutralität im Kabelnetz ja schön und gut sei, aber im Mobilfunk geht das gar nicht:

Wir beide (Verizon und Google) wissen, dass sich Breitband im Mobilfunk von der traditionellen Festnetz-Welt unterscheidet, unter anderem weil der mobile Markt mehr wettbewerbsfähig ist und sich rasant verändert.

Netzpolitik.org und das Internet kommentierten damals: Googles Gier opfert die Netzneutralität.

2012: Das Ende der Netzneutralität

Vor wenigen Monaten begann Google die Netzneutralität nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch zu verletzen. Mit Free Zone bietet Google einen Dienst, aus Mobilfunknetzen kostenlos auf Google-Dienste zuzugreifen:

Free Zone ist ein Paket, das Mobilfunkbetreiber in Zusammenarbeit mit Google anbieten, mit dem Sie Google+, Google Mail und Google Suche kostenlos nutzen können. Es steht auf den meisten Internet-fähigen Handys zur Verfügung.

Wenn Sie diese Google-Produkte durch Free Zone auf Ihrem Handy verwenden, werden ihre Daten nicht berechnet.

Zumindest wenn man auf den Philippinen, Indonesien oder Südafrika wohnt und den richtigen Mobilfunkanbieter verwendet. Und sich mit einem Google-Account registriert.

Google hat das Prinzip nicht erfunden. Facebook macht das mit Facebook Zero schon seit 2010. Und Spotify macht das mit T-Mobile in Deutschland und Orange in Österreich. Und wir haben das zu Recht immer wieder als Verletzung der Netzneutralität kritisiert.

Menschenrecht auf Internet

Nun könnte man tatsächlich argumentieren, dass der Zugriff auf einige Webseiten besser ist als gar kein Internet, vor allem aus Entwicklungs-Perspektive. Das greift aber zu kurz, denn wir wollen nicht Facebook oder Google für alle, sondern Internet und freie Kommunikation für alle, eben Internet als Menschenrecht. Das sieht auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ähnlich, der in einer Resolution alle Staaten aufgefordert hat:

den Zugang zum Internet und die internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Medien-, Informations- und Kommunikationseinrichtungen in allen Ländern zu fördern und erleichtern.

Der schwedische Außenminister und ehemalige Ministerpräsident schrieb dazu:

Heute, wo fast der gesamte Globus durch Mobilfunknetze abgedeckt wird, ist das Problem des physischen Zugriffs zum Internet fast ein vergessenes Thema. Zunehmend besorgniserregend ist hingegen, was für eine Art des Zugangs den Menschen angeboten wird.

Wir können nicht akzeptieren, dass Inhalte im Internet beschränkt oder manipuliert sein sollten, je nach der aktuellen Ausrichtung der politischen Führung. Nur durch die Sicherung des Zugangs zu einem offenen und globalen Internet wird echte Entwicklung stattfinden.

Und Menschenrechte gelten nicht nur gegenüber der politischen Führung, sondern natürlich auch wirtschaftlichen Akteuren.

Google verletzt mit „Free Zone“ klar die Netzneutralität. Der Großkonzern will neue Kunden an seine Produkte binden und verschafft sich somit einen direkten Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten. Ob bei diesen Vereinbarungen mit Providern Geld fließt und in welche Richtung, wollte man uns bisher leider nicht sagen. Nach dem Deal in Frankreich würde ich es nicht ausschließen.

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13 Ergänzungen

  1. Finde die Kritik an Google in diesem Fall wie so oft unbegründet. (Lediglich 2010 war die Kritik wirklich berechtigt.) Google hatte nie die Wahl ob es ein neutrales Netz gibt oder nicht. Google hatten lediglich die Wahl ob es zu Googles Schaden oder Gunsten ausfällt. Im aktuellen Fall scheint Google sogar schlicht dafür gezahlt zu haben, dass das Netz von Orange etwas neutraler bleibt, und Google wie jeder andere Anbieter auch erreichbar bleibt. Die einzigen, die wirklich die Netzneutralität verletzen können sind ISPs (in diesem Fall Orange) und die gilt es zu kritisieren. Man macht doch auch nicht den Mensch hinterm Schalter für den Bankraub verantwortlich, weil er das Geld rausgerückt hat, nachdem man ihm die Pistole an den Kopf gehalten hat.

    1. Auch jeder Nazi kann nix dafür, das System hätte es auch ohne ihn gegeben.
      Auch jeder Stasi-Informant konnte nix dafür, er wollte das System nur zu seinen Gunsten nutzen.
      Natürlich können Spotify und Google nichts dafür, es hätte ja eh sicher jemand anders ähnliche Verträge mit den Providern geschlossen.

      Haptsache wir reden uns weiterhin ein das Google Drive sicher und Google selbst „don’t (be) evil“ ist…ist ja so viel bequemer als kritisch zu hinterfragen!

      1. Der Vergleich hinkt gar nicht so arg. Wenn du dir die Lebensläufe von Stasi Spitzeln (IM) anschaust, sind das zu einem großen Teil Leute, die mal das falsche gesagt haben und dann lieber bei der Stasi berichten als nach Bautzen gingen. Die Schuld ist auch hier garantiert mehr bei denen zu suchen, die das System schufen (Namentlich Ulbricht und Co.) als bei den armen Schweinen, die am Schluss mitspielen mussten.

    2. Auch Trick 17 wäre möglich:
      Provider A drosselt Google. Youtube-Videos ruckeln nun zu Stoßzeiten, User genervt.

      Provder B drosselt bewusst nicht und wirbt dafür mit Googles Segen für schnelles Youtube. User wechseln, Videos ruckeln nicht, alles prima. Somit hätte der den Wettbewerbsvorteil der gerade NICHT die Netzneutralität verletzt.

      Netflix z.B. fährt im Moment ein ähnliches Konzept in den USA mit der Konsequenz das niemand Netflix drosselt. Sind genauso wie Google einfach zu wichtig für dne Erfolg des ISP. Und nur für ein paar kleine Blogger baut niemand solche Strukturen auf, viel zu teuer. Wenn dann würde da der Staat zensieren wollen, das ist aber eine andere Geschichte.

      1. Der Vergleich hinkt! Google zahlt nicht für eine Bevorzugung, sondern dafür, dass sie nicht gedrosselt werden!

        dh Google ist eher das feige Opfer, das Geld zahlt um nicht umgebracht zu werden, anstatt zu kämpfen! Das hat man aber auch keinem im Krieg vorgeworfen, wenn jemand kein Held sein wollte…

        Frankreich hätte den Waffenstillstand auch nicht unterzeichnen müssen und kämpfen können! Wäre das sinnvoll gewesen?

  2. auch auf die Gefahr mich zu wiederholen:

    dieser Kategorienbrei (von DPI über Zensurstaaten und Mindestbandbreiten für VoiP bis zu kartellrechtlichen Fragestellungen bei ARD/ZDF vs. Kabelnetzbetreiber nebst Finanzierung von Breitbandausbau) schadet m.E. der Vermittlung des Themas in der Öffentlichkeit…und damit der Umsetzung in Politik.

    Beste Grüße

    Robert

  3. Zahlt Google nicht dafür, dass sie nicht gedrosselt werden? Von einer Bevorzugung war doch nie die Rede, nur von einer Nicht-Drosselung.
    Wenn ISPs die tatsächliche Nutzung der bezahlten Bandbreite nicht finanzieren können, sollten sie vielleicht mal ihr Preismodell überdenken und nicht trafficintensive Dienste wie YouTube drosseln, nicht wahr Telekom?

  4. Die Entscheidung zu bezahlen ist schon alleine deswegen dumm, weil morgen immer mehr Provider die Hand aufhalten werden. Überhaupt auf so eine absurde Idee zu kommen. Wieviel Traffic verursachen wohl Pornos, Updates von Betriebssystem und Software auf PCs, Konsolen, Smartphones (Updates laufen zu Hause über WLAN), Backups und der Download con MP3s und Videos (VoR etc.).

    Freies Datenvolumen für alle führt automatisch zu unbedachtem Handeln. Genauso wie die wenigsten Kids auf den Stromverbrauch ihres Gamer PCs achten da Mutti die Rechnung zählt.

    Schnelleres Internet erhöht außerdem automatisch den Traffic weil selbst das langweiligste Video bereits in den Puffer geladen wurde bevor man sich dagegen entschieden hat.

    Ich habe aktuell LTE. 50 Mbit aber Volumenbegrenzung. Ich überlege nun bevor ich agiere. Trotzdem habe ich mich schon beim Laden von Ubuntu erwischt, obwohl ein Freund mir die auch hätte brennen können.

    Schlussendlich gehört eine Leitungsdrosselung ab x GB je nach Tarif eingeführt. Kabel Deutschland ist dafür das beste Beispiel, dass es anders gar nicht geht.

  5. Googles Strategie ist doch sehr einfach: Finanzielle Abhängigkeit erzeugen und dann Übernehmen.

    Orange bekommt von Google Geld für die Herstellung einer vermeintlichen „Netzneutralität“, bezogen auf Youtube Videos, aus Sicht der Rezipienten. Google zahlt und stellt dann überraschend die Geldzahlungen ein, gerechtfertigt mit der Netzneutralität, die nicht erkauft sein darf. Orange bleibt jetzt nur, Google mit Traffic Regulierungen zu erpressen und umzusetzen, was eine Abwanderung von Kunden zufolge hättet aufgrund schlechter Qualität; oder die Einbusse der Geldzahlungen hinzunehmen, was sich auf den Preis für die Kunden niederschlagen würde.
    Orange verliert in jedem Fall sobald Google nicht mehr zahlt. Und in dem Moment übernimmt Google Orange oder bringt einen eigenen billigeren und qualitativ besseren Anbieter auf den Markt.
    Don’t be evil

    Das ist Kapitalismus vom Feinsten. Allerdings echter Wettbewerb ist das nicht, da Googles Vorteil auf dem vorläufigen Bruch der Netzneutralität beruht.

  6. Nochmal zu oben: Wenn Google deutlich unterschiedlichen Downlink-Uplinktraffic hat (siehe YouTube) dann zahlen die im klassischen Internetbetrieb bereits dafür. Wenn Orange dies als spezielle Zahlung herausstellt (hey, schaut mal, google zahlt uns!) liegt das eher im Bereich ‚Spin‘.

  7. Ich finde es immer noch erstaunlich, wie die Begründungen lauten. 50% des Traffics von YouTube erzeugt: ganz klar dass da Google zahlen soll. Ist es nicht eher so, dass Kunden ORANGE dafür bezahlen ins Netz zu kommen? und wenn die eben 50% ihrer Zeit auf Youtube verbringen wird Orange quasi dafür VON IHREN KUNDEN BEZAHLT, dass sie die Videos auch weiterleiten, da dass nunmal der Wunsch der Kunden ist. Würde Orange einfach YouTube blocken heisst das doch, dass 50% ihrer Kunden eben woanders hingehen (wo sie YT nämlich schauen können). Der selbe Mist wie beim LSR. Wieso fragen wir nicht VW, ob die sich nicht an den Straßeninstandhaltungskosten zu 30% beteiligen wollen. Immerhin fahren 30% in DE mit Autos dieses Konzerns…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.