Erst LSR, dann EU-Datenschutzreform – Verleger trollen Politik

„Diese Maßnahmen sind notwendig, um die Presselandschaft zu erhalten.“ Das ist ausnahmsweise mal kein Statement der Presseverleger zur Rechtfertigung des Leistungsschutzrechts. Mit der Drohgebärde vom Untergang der „vielfältigen Presselandschaft“ setzen sich die Verleger auch für eine Verwässerung der EU-Datenschutzverordnung ein. Die Argumentation: Ein zu hoher Datenschutz behindere das Geschäft der Verleger. Dies geht nicht nur aus den Lobbypapieren der European Magazine Media Association (EMMA) und European Newspapers Publisher’s Association (ENPA) hervor, die La Quadrature du Net veröffentlicht hat. Auch der Schattenberichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung, Axel Voss (CDU), leistet Schützenhilfe.

Datenschutz tötet Zeitungen

Unumwunden setzen sich die Verlegerverbände für die Ausweitung der Datenverarbeitung ohne explizite Einwillung der Nutzer/in ein. Stattdessen soll die Datenverarbeitung auf Grundlage des „berechtigten Interesses“ der Unternehmer und von Drittparteien [sic!] ausgeweitet werden.

Unlike under the current rules, the wording does not allow publishers to process personal data for the legitimate interest of third parties, restricting it to only the data controller (under Art 6(1)(f)). This would mean it would no longer be possible to have access to addresses of third parties, which is crucial for reaching interested parties. It is therefore imperative that this possibility is reintroduced.

Noch einfacher als in dem zitierten Lobbypapier (PDF), erklärt uns Schattenberichterstatter Axel Voss (CDU), warum wir Presseverleger vor zu viel Datenschutz schützen müssen:

Angesichts zu hoher Datenschutzhürden könnten Zeitungsverlage und anderen Firmen kaum noch Werbung verschicken. Das würde die Verlage hart treffen, seien diese doch auf eine hohe Neukundenquote angewiesen. „Das würde in der Verlagsbranche zum Absterben führen.“

Das alles erinnert stark an die Diskussion über das Listenprivileg bei der Reform des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahr 2009 (und natürlich auch an den Streit ums Meldegesetz). Auch 2009 stellte sich die Verlegerlobby (zusammen mit der Union) quer und sah in der Abschaffung des Listenprivilegs einen „Angriff auf die Pressevielfalt“. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), aus dessen Pressemitteilung Markus damals zitiert hat, ist – wenig überraschend – Mitglied in der European Newspapers Publisher’s Association und natürlich auch Unterstützer des Leistungsschutzrechts.

Die Verwandtschaft zwischen dem deutschen Listenprivileg und der Forderung nach Ausweitung des berechtigten Interesses im Vorschlag der EU-Datenschutzgrundverordnung: In beiden Fällen geht es um die Weitergabe von persönlichen Daten an Drittparteien zu einem anderen Zweck – ohne vorher zu fragen. Das Listenprivileg ist Grundlage des „Geschäftsmodells“ Adresshandel, das Richard Gutjahr hier anschaulich erklärt.

Unabhängig vom Adresshandel bzw. Direktmarketing ist das „berechtigte Interesse“ auch Grundlage von Geschäftsmodellen anderer Größenordnung. In ihrer lesenswerten Broschüre zum Thema nennen Bits of Freedom Google, Facebook und LinkedIn/Path als Beispiele für exzessiven Gebrauch des „berechtigten Interesses“. Die Kollateralschäden der Verlegerforderung sind, ob beabsichtigt oder nicht, also immens.

Eigentlich finden wir die ganze Verordnung blöd

Neben der Kundenakquise via snail mail sehen die Verlegerverbände sich auch beim Betreiben „innovativer“ Online-Geschäftsmodelle gestört:

The future of the digital press must not be jeopardized: publishers today are innovating and investing in business models to take full advantage of the opportunities provided by new technology to serve their readers on all platforms. The sustainability of newspaper and magazine content on all platforms depends on advertising and digital subscriptions, as well as e-commerce. It is therefore essential that the Regulation does not restrict these possibilities and make it difficult for publishers to be able to interact easily with their readers, and adapt to their needs (for further details see points 1 – 12, 14, 15 and 17 below).

Die Punkte, auf die das zitierte Lobbypapier hier verweist, sind nichts anderes als die Grundpfeiler der Datenschutzgrundverordnung. So wollen die Verlegerverbände u.a. die Definition personenbezogener Daten, die Einwilligung der Nutzer/in, Informations- und Widerspruchsrechte und den Schutz vor Profiling verwässern. Dabei beziehen sie sich wohlgemerkt auf den lückenhaften Kommissionsvorschlag. Warum diese Punkte elementar für guten Datenschutz sind und warum sie über den Kommissionsvorschlag hinaus gehen müssen, erklärt die die DigiGes-Broschüre mit den wichtigsten Forderungen zur Datenschutzverordnung.

Um wessen berechtigte Interessen geht es eigentlich?

Die gleichen Verleger, die kleinste Textausschnitte von Presseerzeugnissen schützen wollen, haben mit dem Anlegen, Verarbeiten und Verkaufen großer personenbezogener Datensammlungen kein Problem. Besonders perfide ist das im Hinblick auf das Pluralismus/Demokratie-Argument, dass die Verlegerverbände vorbringen. Sie werden nicht müde, den Wert der Presse- und Meinungsfreiheit und einer vielfältigen Presselandschaft zu betonen. Dass Datenschutz für die Meinungsfreiheit ebenso elementar ist, vergessen sie dabei. Schon mal mal vom Volkszählungsurteil gehört?

Wie die Veröffentlichungen von lobbyplag.eu und die oben zitierten Aussagen von Axel Voss zeigen, sitzt auch eine beachtliche Zahl von EU-Parlamentariern der Argumentation von Wirtschaftsvertreter/innen auf. In der nächsten Woche stimmen gleich zwei Ausschüsse über ihre Berichte zur Datenschutzgrundverordnung ab. Höchste Zeit, sie auf unsere berechtigten Interessen hinzuweisen.

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4 Ergänzungen

  1. Es wäre wirklich mal an der Zeit die Verleger beweisen zu lassen, dass ihr aktuelles Geschäftsmodell alternativlos ist.
    Denn jede dieser Lobbyaktionen funktioniert ja gleich:
    Presse = Aktuelles Geschäftsmodell -> Hindernis -> Presse vernichtet

    Spannend wäre doch eher folgendes:

    Schützenswerte Grundfunktionen der Presse -> welche Modelle erfüllen diese zu welchem Grad / welche Modelle haben negative Nebenwirkungen.

    Ich habe da so ein Gefühl, dass die aktuellen, pur profitorientierten Medienoligopolisten nicht gut abschneiden würden.

  2. Liebe Verlage, liebe Verleger.

    Seit Monaten staune ich über Ihren Kampf für stärkere Eigentumsrechte der Verlage (an anderer Leute Erzeugnisse. )
    Warum sind Sie gegen stärkere Eigentumsrechte (der Menschen an ihren eigenen Daten)?

  3. Ich finde LSR ok. Aber das mit dem EU-Datenschutz verstehe ich nicht. Mit solchen wichtigen Themen spielt man nicht leichfertig rum, um sich öffentlich zu positionieren. Entsetztlich

    In der EU-Grundrechtecharta Artikel 8(2) ist festgelegt:

    Personenbezogene „Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. …“

    Ich vermute einmal aus der „legitimen Grundlage“ (=aufgrund von Gesetz) entstand das „legitime Interesse“ Dritter. Klingt ja so ähnlich.

  4. qoute:“Angesichts zu hoher Datenschutzhürden könnten Zeitungsverlage und anderen Firmen kaum noch Werbung verschicken.“

    Da sagt mein Briefkasten aber etwas anderes, mittlerweile lasse ich mich nicht mal zur kostenlosen Zeitung überreden, wenn die Mate dazu verschenken ;)

    Das die Verleger Geld für Lobbyisten ausgeben, die bei Ihren Kunden die Bereitschaft ihnen die eigenen Daten zu geben (also ein Testabo abzuschließen) dauerhaft senkt, grenzt an Satire. Wie immer ;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.