Von einem, der es nicht lassen kann: Deutscher CDU-Abgeordneter bringt gefährliche Lobbyvorschläge in Datenschutzverordnung ein

In der nächsten Woche stimmt der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) über seine Stellungnahme zur Datenschutzgrundverordnung ab. Wer sich die vielen bedenklichen Änderungsanträge (PDF) anschaut, stolpert dabei vor allem über einen Namen: Klaus-Heiner Lehne (CDU). Der deutsche Unionsabgeordnete, zugleich Vorsitzender des Rechtsausschusses, ist Autor bringt Änderungsanträge ein, die Bürgerinnen und Bürger schutzlos gegenüber willkürlichen Datenverarbeitern und ihren Praktiken machen. Die bedenklichen Vorschläge finden sich so auch in den Empfehlungen der Industrie. Es ist nicht das erste Mal, dass Lehne sich Lobbyismus vorwerfen lassen muss.

Keine Zweckbindung

Im Änderungsantrag 144 zu Artikel 6.4 schlägt Lehne vor, dass der Zweck der Datenverarbeitung geändert werden darf, auch wenn die Daten auf Basis des „berechtigten Interesses“, also ohne Zustimmung des oder der Betroffenen erhoben wurden. Das ohnehin umstrittene „berechtigte Interesse“, kann so nicht mehr eingeschränkt werden. Kann es der Datenverarbeiter einmal nachweisen, dürfen die Daten auch in jedem anderen Kontext benutzt werden. Lehne fügt dem Artikel zusätzlich an: „Dies gilt insbesondere bei Änderungen von Geschäfts- und allgemeinen Vertragsbedingungen.“ Googles Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom vergangenen Jahr, welche die Daten der verschiedenen Google-Dienste verknüpft, wäre somit endgültig legalisiert. Es ist keine Überraschung, dass auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) in seiner Stellungnahme zur Datenschutzgrundverordnung den Artikel 6.4 genau so wie Lehne ausgestalten will. Die Zweckbindung, ein Grundpfeiler des Datenschutzes, spielt also bei der Zukunft des Datenschutzes in Europa keine Rolle, wenn es nach Lehne geht.

Ungebremstes Profiling

Mit dem BITKOM einig ist sich Lehne auch beim Profiling auf Basis persönlicher Daten. Profiling bedeutet, Informationen über Personen zu sammeln und zu analysieren, um Annahmen über sie und ihr zukünftiges Verhalten zu machen (z.B. Kreditwürdigkeit). So schlägt er in seinem Änderungsantrag 227 vor, dass Profiling auch ohne Zustimmung der Betroffenen auf Basis berichtigten Interesses des Datenverarbeiters möglich sein soll. Dies würde auch für öffentliche Behörden gelten.

Streichung des Verbandsklagerechts

Auch das Verbandsklagerecht, eine sinnvolle Neuerung im Vorschlag der Europäischen Kommission, will Lehne mit seinem Änderungsantrag 396 wieder streichen. Die Möglichkeit der Verbandsklage würde Nutzerinnen und Nutzer enorm stärken, da sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte auch von fachkundigen Verbraucherorganisationen vertreten werden könnten, die vor Gericht wesentlich mehr Expertise und Durchhaltevermögen als einzelne Bürgerinnen und Bürger haben. Wie LobbyPlag zeigt, befindet sich Lehne mit seiner Streichung in bester Gesellschaft mit etwa Eurofinas:

Eurofinas, the European Federation of Finance House Associations, is the voice of the specialised consumer credit providers in Europe.

Ein alter Bekannter

Klaus-Heiner Lehne ist uns bereits als Unterstützer von Softwarepatenten bekannt. In der Lobbypedia heißt es über ihn:

Lehne ist Befürworter von Gesetzen zur Einführung von Software-Patenten und spricht sich dafür im Rechtsausschuss aus. Die Kanzlei Taylor Wessing, für die Lehne arbeitet, berät ihre Kunden, wie zum Beispiel Software-Entwickler SAP, zu Themen wie Schutz von geistigem Eigentum und Software-Patentierung. Obwohl Lehne selbst nicht im Bereich Patentrecht bei Taylor Wessing arbeitet, besteht ein möglicher Interessenkonflikt zwischen Lehnes Arbeit an Patentgesetzen und der Spezialisierung der Kanzlei auf Patentrecht. Nachdem 2005 die Richtlinie zur Software-Patentierung fallen gelassen wurde, ist Lehne nun ein starker Befürworter des neuen Europäischen Übereinkommens über Patentstreitigkeiten. Über die Pläne für dieses neue Übereinkommen gibt es Bedenken, nämlich dass es großen Firmen nützen würde und kleine und mittlere Unternehmen darunter stark leiden könnten.

Lehne ist nur einer von vielen: Kontaktiert eure Abgeordneten

Am Beispiel Lehnes wird wieder einmal deutlich, wie viel Einfluss Wirtschaftslobbyisten bei der Gestaltung der EU-Datenschutzverordnung bereits gewinnen konnten. Deshalb: Kontaktiert eure Abgeordneten. Mit Industrievertretern haben sich die EU-Parlamentarier lange genug unterhalten! Infos, Argumente und Kontaktdaten findet ihr auf der Kampagnenseite des Digitale Gesellschaft e.V.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

4 Ergänzungen

  1. Immer wieder Lehne! Was bitte schön kann man den direkt gegen so einen als EU-Abgeordneten getarnten Lobbyisten machen? Das so etwas überhaupt rechtens ist…..

  2. MdEP Lehne (EVP) ist im Europaparlament sehr respektiert als Fachmann. Seine Partei hatte mit seiner Arbeit (und der eines Assistenten) für eine Anwaltskanzelei im Bereich Brüssel „Regulatory Affairs“ kein Problem, sonst hätte sie ihn nicht wieder nach einem vernichtenden Wallstreet Journal Europe Artikel zur Wahl aufgestellt. Im Europaparlament stehen die deutschen Abgeordneten in einem ziemlich guten Ruf, fraktionsübergreifend.

    Was ich allerdings etwas lausbubig fand, das war die Begründung Lehnes für eine vorgeschlagene Streichung (Am 396)

    Änderungsantrag 396 Klaus-Heiner Lehne

    Vorschlag für eine Verordnung Artikel 76 – Absatz 1

    1. Einrichtungen, Organisationen oder Verbände im Sinne des Artikels 73 Absatz 2 haben das Recht, die in Artikel 74 und 75 genannten Rechte im Namen einer oder mehrerer betroffenen Personen wahrzunehmen.

    Geänderter Text

    entfällt

    Begründung:

    Es besteht keine praktische Notwendigkeit für einen derartigen Mechanismus

    http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/juri/am/920/920534/920534de.pdf

    Witziger sind freilich die Vorschläge von MdEP Speroni. Der will, dass wir bezahlt werden für unsere Daten.

    Die Änderungen beziehen sich alle als Ergänzungen zum Stellungnahmenentwurf, der von seiner EVP-Kollegin Gallo im Rechtsausschuss betreut wurde, der ist schon mau genug. Natürlich wäre zu wünschen gewesen, dass ein deutscher Abgeordneter deutsche Rechtsgrundsätze in Europa wirksamer positioniert, aber die Meinungen gehen ja durchaus auseinander. Das ist gelebte Demokratie.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.