Deutsche Forschungen zu Spracherkennung für US-Geheimdienste erinnern an Lernout & Hauspie, den BND und EUROPOL

Sprache-beispiel-kons-origDas ARD-Magazin FAKT berichtete gestern über Forschungen des Professors Alexander Waibel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu Spracherkennung, die demnach dem US-Geheimdienst NSA zugute kamen. Tatsächlich forscht Waibel seit langem in verschiedenen Projekten zur Nutzung der Technologie, um Sprachdaten zu analysieren und auszuwerten. Mit „BRIDGE“ leitet Waibel derzeit ein EU-Forschungsprojekt, das sich ebenfalls mit der automatisierten Übersetzung befasst. Er findet daran nichts Ungewöhnliches und zieht sich auf ein rein wissenschaftliches Ansinnen zurück. FAKT zitiert ihn mit den Worten:

Das gesamte Wissen, das in der Spracherkennung entsteht, das ist wie Straßenbau, wissen Sie, sie können Straßen bauen und dann fahren Autos drüber und irgendwann fahren Panzer drüber.

Jedoch hat sich Waibel nicht vom Verkehrsministerium bezahlen lassen, sondern laut FAKT von der US-Behörde für Geheimdienstforschung. Bis 2002 habe er sogar an Projekten gearbeitet, die in das US-Programm „Total Information Awareness“ integriert worden seien. Überdies würden von US-Militärs und Geheimdiensten weitere Gelder für Forschungen am KIT locker gemacht. Waibel habe zeitweise auch an der US-Universität CMU Pittsburgh geforscht. FAKT verfügt nach eigenen Aussagen über „Unterlagen“, die belegten dass in einem der Projekte die NSA als Kunde benannt würde.

ALs „Experten“ läßt FAKT ausgerechnet Jo Lernout zu Wort kommen. Mit seinem damaligen Partner Pol Hauspie hatte er die belgische Firma Lernout & Hauspie gegründet, die mehrere Tausend MitarbeiterInnen beschäftigte und im Bereich der Spracherkennung als international führend galt. Lernout & Hauspie war das erste börsennotierte Unternehmen Belgiens, an dem sich sogar Bill Gates beteiligte. Insofern war dessen Pleite 2001 ein vielbeachtetes Ereignis.

FAKT berichtet, Lernout & Hauspie habe im Jahr 2000 eine Firma von Alexander Waibel „mit dessen Know-How“ gekauft. Dieses sei dann für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) weiterentwickelt worden.

Das ist allerdings nur ein Bruchteil der Räuberpistole, die damals unter anderem von Christiane Schulzki-Haddouti aufgearbeitet wurde. Denn vor über zehn Jahren gab es einen regelrechten Battle um die Vorherrschaft im Bereich der Spracherkennung, der sogar die Gerichte beschäftigte. Die EU-Kommission hatte in den Jahren zuvor mit AVENTINUS und SENSUS Projekte gefördert, um entsprechende Technologien zu entwickeln.

Der Projektkoordinator für SENSUS war mit Stephan Bodenkamp ausgerechnet ein BND-Mann, der für das „Amt für Auslandsfragen“ (AfA), eine Tarnfirma des deutschen Auslandsnachrichtendientes arbeitete. Die Zugehörigkeit des AfA zum BND sei der EU-Kommission von Anfang an bekannt gewesen, schreibt Haddouti. Der BND sei sogar von sich aus an die Kommission herangetreten, um das Projekt auf den Weg zu bringen.

In die Angelegenheit war selbst das Polizeiamt EUROPOL verwickelt, das 1999 als eigenständige EU-Polizeiagentur eingerichtet wurde. Wie die Bundesregierung bestätigt, nahmen „im Rahmen der Marktbeobachtung von Übersetzungssoftware vier Europol-Mitarbeiter an einer Veranstaltung teil, die vom BND durchgeführt wurde“. Weil man sich nur beschnuppert habe, sei davon das Trennungsgebot von Polizei und Diensten unberührt.

Christoph Klonowski, der Klarname des Agenten Bodenkamp, wurde später wegen Fälschung eines Vertrages im SENSUS-Projekt verurteilt. Hier kommt die Firma Polygenesys ins Spiel, zu deren Nachteil das dubiose Gebaren des Geheimdienstlers ging. Auch hierüber hatte FAKT in einem früheren Beitrag berichtet, offensichtlich aber unsauber recherchiert.

Die Firma war Entwicklerin und damit Inhaberin der Rechte eines Informationsverarbeitungssystems, das unter dem Namen „Polygon“ im SENSUS-Projekt eingebracht wurde. Mehrfach wurde versucht, die Angelegenheit parlamentarisch aufzuarbeiten – nicht zuletzt wegen Patentrechtsverletzungen, wenn der BND „Polygon“ weiter nutzen würde oder auch eigene Anwendungen auf der Basis des Quellcodes geschrieben hätte. Zuletzt hatte sich der inzwischen parteilose MdB Wolfgang Neskovic 2011 erkundigt, ob deutsche Nachrichtendienste Produkte der Firmen Genesys/ Polygenesys nutzen würden. Laut der Antwort der Bundesregierung habe der BND diese aber nur bis Anfang 2000 sowie „zum letzten Mal im Jahr 2003 zu Testzwecken“ eingesetzt.

Interessanterweise ist die Firma, die mittlerweile den Namen des Produktes trägt, auch in einem anderen Fall mit dem Bundesinnenministerium im Streit um Patente. Denn Polygon war eine ernsthafte Konkurrentin der Firma rola Security Solutions aus Oberhausen. Beide sind auf Auswertungs- und Analysesoftware spezialisiert, die von Polizeien, Militärs und Geheimdiensten gleichermaßen genutzt werden können. Allerdings hat sich rola im Wettkampf um die Bundesländer durchsetzen können: Nur Brandenburg entschied sich für Polygon. Auch beim BKA und dem Bundesamt für Verfassungsschutz wird rola-Software genutzt.

rola bewirbt sein System übrigens damit, dass als Addon auch die Spracherkennung hinzugekauft werden könne. Es geht dabei um die Flaggschiff-Software „INT CENT“ für Geheimdienste. Laut Eigenwerbung kann die Anwendung nicht nur klassisches Data Mining, sondern bringt als Feature die „Automatische Übersetzung“ mit.

Annette Brückner, Geschäftsführerin von Polygon wird nicht müde auf eine Patentrechtsverletzung zu verweisen, die sich ebenfalls in der Zeit nach der Jahrtausendwende zutrug. Demnach hatten Länderpolizeien Hessens und Hamburgs das Verbundsystem Inpol-Fall und das Fallbearbeitungssystem „Crime“ auf dem Quellcode von „Polygon“ aufgebaut, was die Bundesregierung aber dementiert: Es handele sich „um zwei eigenständige Entwicklungen, die auf derselben Software/Quellcode aus dem Jahr 2002 aufbauen“. Die „in Rede stehenden angeblichen Patentrechtsverletzungen zum Nachteil der Firma Polygon“ seien bisher „weder hinreichend konkretisiert, noch erfolgreich erstritten“.

Nun hat Brückner einen Gegenangriff gestartet und auf dem Blog der Firma eine lange Artikelserie begonnen, um die Verstrickungen deutscher Behörden in die Beschaffung von Software für Polizeien und Geheimdienste aufzuzeigen. Sie geht dabei insbesondere auf Lernout & Hauspie ein und erklärt, unter welchem Druck der BND damals gestanden habe. Tatsächlich tobt noch heute ein Wettkampf um die Marktführerschaft zur digitalen Spracherkennung. Dies zeigt sich unter anderem in den Hochglanzbroschüren jener Hersteller, die ihre Produkte auf internationalen Messen wie der ISS World oder der Milipol präsentieren. Längst haben sich kleine Startups etabliert, die großen Firmen wie IBM Marktanteile streitig machen.

Brückner vertritt die These, dass der Crash von Lernout & Hauspie auf US-amerikanische Geheimdienste zurückgehe. Denn diese wollten unter allen Umständen verhindern, dass europäische Dienste über bessere Software verfügten als ihre US-Partner. Brückner grub ein Zitat aus, wonach der BND 1996 und 1997 die „Erfassung von Sprachverkehren […] aus technischen Gründen für die nächste Zeit auf Ausnahmefälle beschränkt[en]“ musste. Die Pleite der belgischen Firma muss ein tiefsitzendes Trauma im Land hinterlassen haben. Doch Belgien kann aufatmen – das Drama um die digitale Spracherkennung wird nun in einer fiktiven TV-Serie aufgearbeitet.

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8 Ergänzungen

  1. Digitale Spracherkennung gibt es seit über 30 Jahren und die Qualität ist immer noch recht bescheiden. Mir scheint das doch reichlich wild, was hier zusammengekleistert wird.

  2. Tut mir leid, aber das ist wieder genau das, was ich in einem privaten Gespräch kürzlich gegenüber Verwandten und meiner Freundin zu bedenken gab. Sehr, sehr viel Forschung fängt als Forschungs fürs Militär an und wird dann zivil genutzt. Deswegen kann ich auch die ganzen Forderungen unserer Hochschulgruppen gegen Militärforschung nicht unterstützen. Ja, selbst unser geliebtes Internet begann als Militärprojekt!

    Auch kommen die wichtigsten Wettbewerbe zur Spracherkennung wohl von der Darpa, also einer US-Militärorganisation.

    Und warum muss alles, was mit Militär zu tun hat, immer schlecht sein? Ja, Spracherkennung und v.a. Maschinelle Übersetzung (Prof. Waibel arbeitet an der Maschinellen Übersetzung) werden nicht nur zur Überwachung, sondern auch direkt im Kriegsgebiet zur Kommunikation mit den anderen Leuten eingesetzt. Nicht immer ist ein Übersetzer dabei, wenn man vielleicht ein paar Worte austauschen will.
    Weiterer Anwendungsfall für Maschinelle Übersetzungen sind humanitäre Einsätze im Ausland etc…

    Und Maschinelle Übersetzung setzt v.a. in der Dritten Welt immer auch Spracherkennung voraus, denn die Menschen dort können oft nicht schreiben bzw. auf einer Tastatur schreiben.

    Und auch wenn die Spracherkennung als Militärprojekt beginnt, so findet sie eben doch ihre Anwendung in ganz normale Bereiche unserer Welt, z.B. können Video-Hoster sie einsetzen, um den Inhalt von Videos besser erkennen und durchsuchbar machen zu könnten. Sie ist letztlich der etwas bessere Weg, Videos zu verstehen, denn was das Bildverständnis angeht, sind wir noch viel, viel schlechter als bei der Spracherkennung. Und auch Spracherkennung funktioniert – wie Andre schon sagt – immer noch ziemlich schlecht bei Umgebungsgeräuschen oder schlechten Mikrophonen.

    Disclaimer: Ich studiere am KIT, habe ein Modul zur Spracherkennung bei Prof. Schultz belegt und hätte fast bei Herrn Waibel Bachelorarbeit geschrieben (ist aber noch nicht entschieden, ob ich es nicht doch mache).

  3. Generell ist Kritik an militärischer Forschung sinnfrei solange nicht ausgearbeitet wurde, welcher Anteil der Ergebnisse veröffentlicht wurde und was die Prüfung durch Dritte Wissenschaftler bzgl. der Qualität, Aussagekraft und Relevanz ergab.
    Die Argumentation alleine darauf zu bauen, dass das Militär, Geheimdienste oder oder Regierungsbehörden Mitsponsoren sind, ähnelt eher einer Hetze durch wie in Boulevardblättern.

    Auch ich befürworte keine militärische Aktivitäten, allerdings bin ich Realist und denke über Konsequenzen einer Entscheidung nach.

    Überhaupt wurden hier Ereignisse bzw. Fakten verwirrend zusammengeschnitten, um einen Skandal aufzubauen, wo keiner ist, obwohl die einzelnen Ereignisse teilweise durchaus skandalös sind. So ist es durchaus ein schwerwiegender Rechtsbruch, falls das Trennungsgebot missachtet wurde, und mindestens genauso beschämend ist der Patentrechts- und Urheberrechtsbruch des BND, den der Dienst weiterhin bestreitet. Was beides dagegen mit Spracherkennung oder Übersetzungssoftware zu tun hat und inwiefern nun militärische Forschung darin bisher moralisch oder rechtlich fragwürdig war, wird hier nicht erläutert. Darüber hinaus ist es nicht ganz verständlich wie Filtersysteme wie Polygon hier in das Bild passen, außer als eine Überleitung für das genannte Blogprojekt.

    Viel nützlicher wäre sich auf die Dokumentation der militärischer Forschung im Bereich der

  4. Text vergessen, daher Nachtrag zuAuch ich befürworte keine militärische Aktivitäten, allerdings bin ich Realist und denke über Konsequenzen einer Entscheidung nach.
    So hätte ich wenig dagegen die Bundeswehr zu schließen und die Verfassung pazifistischer wie – zumindest noch – in Japan, sofern ein europäische MIlitärdienst aufgebaut wird, denn sonst würden die USA mittelfristig als Ersatz bestellt.
    Dagegen sehe ich so wie Dinge derzeit stehen viel mehr Nachteil als Vorteile, wenn die USA plötzlich ihr Militär aufgegeben würde, natürlich nur in der Annahme es gäbe keine ökonomischen und gesellschaftliche Nachteile.

    Genauso idealistisch ist es zu Behaupten es gäbe die Militärforschung oder Geheimdienstforschung. Regierungsorganisation investieren auf vielfach unterschiedliche Weisen in wissenschaftliche Arbeiten, genau wie im zivilen Bereich, auch wenn geheime Arbeit im letzteren Fall eher bei der Privatwirtschaft anfallen, und nicht alles is moralisch oder rechtlich fragwürdig.

    So wurde Waiber zwar von Geheimdiensten finanziert, aber wie ich diesem Artikel entnehme, wurden alle Ergebnisse wie üblich veröffentlicht. Polygon dagegen wurde eigenständig durch ein Privatunternehmen speziell für den Verkauf an Behörden entwickelt(so habe ich es bei FAKT verstanden, aber auch wenn es anders ist, ist es nicht der Punkt).

  5. Wer hat nochmal das Internet entwickelt? Wer hat diese Technologie finanziert?
    Wer hat eigentlich Computer entwickelt? Was hat Touring damals nochmal gemacht?
    Wer bezahlt große Teile der Forschung in den USA?
    Für wen haben sogar Marcuse, Horkheimer und Co. gearbeitet?

    Wir brauchen eine konsequentere KONTROLLE und TRANSPARENZ bei den „Geheimdiensten“; Schatttenhaushalte so es sowas gibt müssen trocken gelegt werden, ihnen Technologie vorzuenthalten wird nicht funktionieren.

    Ausserdem hätte ich viel mehr Angst vor der offensichtlichen INKOMPETENZ (oder war es Absicht) der Mitarbeiter > siehe NSU als vor deren uninterpretierten Datensammelei.

    Man kann noch so viele Informationen – solange diese nicht INTERPRETIERT werden sind es nur einsen und nullen auf Datenträgern. Wir wissen aber nichts darüber WIE die Interpretation geschieht….

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.