Deutsche „Forschung für zivile Sicherheit“ begünstigt Hersteller von Überwachungstechnologie, Datenschutz bleibt außen vor

Die Bundesregierung hat zur zweiten Auflage ihres Programms „Forschung für zivile Sicherheit“ Stellung genommen. Hintergrund ist eine Anfrage der Linksfraktion zur Ausrichtung geförderter Projekte. Die FragestellerInnen kritisieren, dass der Bedarf für das millionenschwere Forschungsprogramm zuvor nicht glaubhaft vermittelt wurde. Die Bundesregierung behaupte einen „veränderten Freiheitsbegriff“ und den „Wandel gesellschaftlicher Sicherheitskulturen“. Obschon diese veränderten politischen Leitlinien gehörige Auswirkungen auf die Bevölkerung haben, sind Gruppen aus den Bereichen Datenschutz, Bürger- oder Menschenrechte bei deren Entwicklung und Durchführung extrem unterrepräsentiert.

Demgegenüber behauptet die Bundesregierung, dass die „Sichtweisen und Belange zivilgesellschaftlicher Vereine“ berücksichtigt seien, immerhin würden neben Wissenschaft, Behörden und Industrie auch das Deutsche Rote Kreuz und das Technische Hilfswerk in einem „unabhängigen Expertengremium“ mitarbeiten. Jedoch sind die beiden Organisationen selbst als Anwender an Forschungen beteiligt und können kaum unvoreingenommen beraten.

Rund ein Viertel des Budgets würden laut der Antwort für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung verwendet. Damit ist keine kritische Folgenabschätzung gemeint. Denn das Geld geht in die sogenannte „Begleitforschung“ zur Markteinführung oder der gesellschaftlichen Akzeptanz der Systeme. Dubios ist die Literaturauswahl, auf die sich das Forschungsministerium als Grundlage der Forschung zur zivilen Sicherheit stützt: Unter den diversen Titeln rund um „Extremismus“ findet sich auch „Aktuelle Strömungen und Entwicklungen im Themenfeld Linksextremismus“.

In der Anfrage wird eine Auflistung der zehn größten „Zuwendungsnehmer“ bei der Industrie verlangt. Das Ranking wird angeführt von der Siemens AG, gefolgt vom Überwachungshersteller Rohde & Schwarz. Vertreten ist der Softwareriese SAP ebenso wie die auf Biometrie spezialisierte L – 1 Identity Solutions.

Die Begünstigung des Rüstungsgiganten EADS dürfte genügen, um die von der Bundesregierung behauptete zivile Ausrichtung geförderter Projekte zu widerlegen. Überdies sind bei drei Vorhaben Einrichtungen der Bundeswehr beteiligt. Bei den Hochschulen wird das Ranking angeführt von der Albrecht-Ludwig-Universität Freiburg, der Universität Siegen, der Technischen Universität Berlin, der Freien Universität Berlin und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Es lohnt ein Blick in den Anhang, in dem zahlreiche aktuelle Vorhaben beschrieben werden. Viele Projekte werden von Polizeibehörden begleitet, beispielsweise die „Bausteine für die Sicherheit für Großveranstaltungen“, „Security System for Public Institutions“, „Sicherheit in offenen Verkehrssystemen“, „Intelligente Einsatzbekleidung für Polizei und Sicherheitskräfte“ oder „Kooperative Sicherheitspolitik in der Stadt“.

Nähere Betrachtung verdient auch das Verbundprojekt „Sicheres Erkennen biologischer Gefahrstoffe vor Ort“, an dem die Firma Bruker beteiligt ist. Denn auch Alkohol fällt unter die Kategorie der beforschten Stoffe; Bruker vertreibt einen entsprechenden Detektor für Fankurven bei Fussballspielen.

Die genannten deutschen Sicherheitsforschungsprojekte bieten auch Anknüpfungspunkte hinsichtlich des Aktionstages gegen das EU-Vorhaben INDECT am 23. Februar, dessen einseitiger Fokus auf Netzpolitik bereits mehrfach kritisiert worden war. Viele der beteiligten Firmen dürften übrigens zu den BesucherInnen der Sicherheitsmesse „International Defence Exhibition and Conference“ (IDEX) gehören, die am Sonntag in Dubai beginnt.

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Eine Ergänzung

  1. Hallo zusammen,

    worauf beim #idp13 der Fokus in Deutschland liegt, ist hier beschrieben: http://idp13.protestwiki.de/wiki/Hauptseitehttp://protestwiki.de/wiki/Hauptseite#Worum_geht_es.3F_Unschuldsvermutung.21 .

    Wir haben Euren Artikel gerne mit aufgenommen in unserer mittlerweile recht langen Liste, denn Ihr habt natürlich Recht: Es geht um mehr als nur ein Projekt.

    @idp2013

    P. S.: Was jetzt noch fehlt: Kreative Leute, die Flyer-Vorlagen erstellen: http://protestwiki.de/wiki/DE:Material#Flyervorlagen ;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.