Autotransporter-Fall: Bundeskriminalamt rastert 3.800.000 Auto-Kennzeichen und 600.000 Mobilfunk-Daten

Das BKA hat in einem einzigen Fall mehrere Millionen Auto-Kennzeichen fotografiert und gerastert. Diese Daten wurden mit hunderttausenden Verbindungsdaten aus Funkzellenabfragen abgeglichen. Die Fahndung hatte Erfolg, ein Schütze wurde gefasst. Doch das zeigt, dass immer mehr Rasterfahndungen mit verschiedensten Datensätzen durchgeführt werden – mit hunderttausenden Betroffenen pro Fall.

Das eingesetzte Kennzeichenerfassungssystem V-REX

Auf netzpolitik.org haben wir wiederholt sowohl über die Rasterung von Handys mittels Funkzellenabfragen als auch die Rasterung von Autos mittels Kennzeichenscannern berichtet. Jetzt gibt es einen Fall, in dem Behörden beide Massen-Überwachungs-Methoden anwendeten – und die Daten miteinander abglichen.

Der Autotransporter-Fall

Im Juni wurden wir auf die Geschichte eines LKW-Fahrers aufmerksam, der aus seinem fahrenden Laster heraus auf andere Transporter geschossen hat. Den detailliertesten Bericht lieferte damals Holger Schmidt auf dem SWR Terrorismus Blog:

Das „Mobile Einsatzkommando“ (MEK) des BKA postierte an strategischen Stellen auf den betroffenen Autobahnabschnitten verdeckte Kennzeichenlesegeräte. Massenhaft wurden Kfz-Kennzeichen erhoben. Bekam man die Meldung über einen neuen Zwischenfall, wurden diese Daten mit der Fahrtroute des „Opfer-Lkw“ abgeglichen. Hinzu kamen die Verbindungsdaten von Mobilfunkmasten entlang der Autobahn. Auch deren Daten wurden in den Abgleich einbezogen. Am Ende konzentrieten die Daten die Aufmerksamkeit des BKA auf eine konkrete Person.

Um weitere Details und genaue Zahlen zu erfahren, haben wir mit dem Bundestags-Abgeordneten Jan Korte und der Linksfraktion eine kleine Anfrage im Bundestag gestellt. Nach einiger Verzögerung aufgrund eines „Büroversehens“ ist die Antwort der Bundesregierung jetzt eingetroffen, die wir an dieser Stelle exklusiv veröffentlichen: Kennzeichenerfassung und Funkzellenabfrage im sogenannten Autotransporter-Fall (PDF).

(Mehr als eine Woche nach unserer Anfrage veröffentlichte Lisa Rokahr auf stern.de ein paar weitere Informationen aus einen Interview mit dem Ermittler Stefan Michel, das sich aber eher wie eine „Tatort“-Story als ein Hintergrund-Bericht liest.)

3.800.000 Kfz-Kennzeichen

Aus der Antwort ergeben sich folgende Zahlen zu den Kennzeichenerfassungen:

Im Zeitraum vom 3. Dezember 2012 bis 23. Juni 2013 wurden sechs automatische Kennzeichenlesegeräte (AKLS) mit jeweils 2 Stationen (eine Station je Fahrtrichtung) an folgenden Bundesautobahnen betrieben […].

Im Zuge der Ermittlungen erfolgten zwischen Februar und Mai 2013 konkret insgesamt an 14 Tagen Datensicherungen mit einem Gesamtumfang von insgesamt 3.810.438 Kennzeichen.

Zu 50 Kennzeichen wurden auf Grund der kriminalistischen Bewertung die Halter ermittelt.

600.000 Mobilfunk-Daten

Und zu den Funkzellenabfragen:

Durch das BKA wurden im Rahmen von Maßnahmen gem. § 100g StPO (Sog. „Funkzellen“) insgesamt 593.075 Datensätze erhoben bzw. abgeglichen.

Die Analyse der Datensätze ergab 312 Sogenannte „Kreuz“- bzw. „Mehrfachtreffer“. Zu diesen „Treffern“ erfolgte die Feststellung der Anschlussinhaber.

Nochmal zusammengefasst: Das BKA fotografierte über ein halbes Jahr lang jeden Tag mehr als 25.000 Kennzeichen und rastert aus einer Datenbank von fast vier Millionen Kennzeichen mit Zeit und Ort 50 verdächtige Fahrzeuge. Gleichzeitig werden über eine halbe Millionen Mobilfunk-Datensätze eingeholt, die mit den Kennzeichen-Daten gerastert werden. Dabei werden 312 Personen identifiziert, die an mehreren Tatorten auftauchen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Funkzellenabfragen haben die Ermittler damit Erfolg und verhaften den geständigen Täter.

Normalisierung der Rasterfahndung

Es ist gut, dass der Täter gefasst wurde. Die Normalisierung der Rasterfahndung mit hunderttausenden betroffenen Unschuldigen ist jedoch besorgniserregend. Der Verein Digitale Gesellschaft schreibt in seinem Forderungskatalog für die Koalitionsverhandlungen:

Die künftige Bundesregierung muss die Funkzellenabfrage als Ermittlungsinstrument abschaffen. Dazu ist eine Reform des § 100g StPO notwendig. Darüber hinaus muss jede nicht-individualisierte Erhebung von Verbindungsdaten sowie Rasterung und Cross-Referenzierung verschiedener Datenbanken untersagt werden. Die Strafverfolgung und Ermittlungsarbeit muss sich an einzelnen Verdächtigen orientieren und rechtsstaatliche Standards einhalten, statt Verdächtige aus unverhältnismäßigen Massen-Datenbanken zu generieren.

Ein wiederkehrendes Problem mit der Funkzellenabfrage tritt auch hier erneut auf: Bisher wurde noch keine einzige Person, deren Daten erhoben wurden, darüber informiert. Man beruft sich darauf, dass das Verfahren noch läuft. Aber die Erfahrung zeigt: Oft sehen die Staatsanwaltschaften „kein Interesse an einer Benachrichtigung“.

Fall für den Bundesrechnungshof

Ein Fall für den Bundesrechnungshof könnte die Kosten-/Nutzen-Rechnung des Bundeskriminalamts sein. Statt einen Scanner für 20.000 Euro zu kaufen hat man sechs Stück für 200.000 Euro gemietet – pro Monat:

Durch das BKA erfolgte keine Anschaffung von automatischen Kennzeichenlesegeräten. Die Geräte des Herstellers CAT Traffic, wurden für die Dauer der Maßnahme angemietet. Die monatlichen Mietkosten betrugen 33.915 €.

Der Militärische Abschirmdienst hat bereits im Jahr 2006 ein einzelnes System „Road Eye“ des Herstellers SIM Security & Elektronic System GmbH zum Zweck der technischen Erprobung der Kennzeichenerkennung sowie zur Bewertung der Fähigkeiten dieser Technologie in der Praxis beschafft. Die Beschaffungskosten betrugen 20.280 € zzgl. MWSt. Es wurde jedoch entschieden, das System nicht einzusetzen.

Datenübertragung oder nicht?

Irritierend ist auch die Aussage der Bundesregierung, dass man auf die Daten nur zugegriffen hat, wenn es einen neuen Vorfall gab:

Die Daten wurden auf einem Vor-Ort-Server gespeichert.

Zugriff auf die gesicherten Daten hatten seitens der Strafverfolgungsbehörden ausschließlich hierfür berechtigte Kräfte der BAO Transporter. Die temporär vor Ort gespeicherten Daten wurden in möglichen Beschussfällen auf Servern beim BKA gesichert.

In der Produktbeschreibung des Herstellers steht jedoch:

Das Fahndungslisten-Update und die Datenübertragung erfolgt über eine gesicherte GPRS-Kommunikation, die auf einem mehrstufigen Fehlertoleranzprinzip basiert.

Vorratsdatenspeicherung von Autos

Bereits im März 2008 urteilte das Bundesverfassungsgericht:

Demgegenüber liegt ein Eingriff in das Grundrecht vor, wenn ein erfasstes Kennzeichen im Speicher festgehalten wird und gegebenenfalls Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann.

Das Fazit der obersten Richter:

Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden.

Trotz dieser deutlichen Worte betreiben einige Bundesländer weiterhin eine Vorratsdatenspeicherung von Autos. Erst im Juli veröffentlichten wir die Standorte der stationären Kennzeichenscanner in Brandenburg.

Rasterfahndung abschaffen

Der wiedergewählte Bundestagsabgeordnete Jan Korte kommentiert den Fall gegenüber netzpolitik.org:

Auch, wenn die Ermittlungsmethoden in diesem Fall offenbar zu einem Ermittlungserfolg beigetragen haben, zeigen die massenhafte Funkzellenabfrage in Verbindung mit der millionenfachen Ausforschung von Kfz-Kennzeichen eine neue und problematische Entwicklung in der Strafverfolgung auf. Die Rasterfahndung wird immer mehr zur Standardmaßnahme. Es kann nicht sein, dass Autofahrer und Handy-Nutzer heimlich ins Visier von Strafverfolgungsbehörden geraten, ohne das ein konkreter Verdacht gegen sie vorliegt. Der Gesetzgeber muss den zunehmenden Einsatz dieser unverhältnismäßigen und nicht eingrenzbaren Ermittlungsmethode künftig dringend beenden. Die Linkspartei fordert die Abschaffung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmethode.

22 Ergänzungen

  1. was einen wundert, wenn man solche artikel liest, ist, dass zig verbote gefordert werden, das eigentlich wichtige aber nicht mal gestreift wird:

    es ist völlig egal, ob scannereien, massenhafte funkzellenabfragen, vorratsdatenspeicherung usw. verboten sind oder werden, weil es keine konsequenzen hat. nicht legal erworbene ermittlungsergebnisse sind in der brd von wenigen ausnahmen abgesehen vor gericht verwertbar. logischerweise wird also erst getrickst und dann gefragt. darüber hinaus haben solche verstösse für staatsanwälte und ermittlungsbeamte in der regel keinerlei folgen.

    der einzige weg das zu ändern ist ein fruit-of-the-poisonous-tree-law, das sämtliche illegal erworbene ermittlungsergebnisse unverwertbar macht. solange es das nicht gibt, könnt ihr verbieten was ihr wollt, es wird sich absolut nichts ändern.

    1. das ist doch usus dass nichts passiert. zuletzt muss es eh karlsruhe richten. dort wird noch mehr arbeit anstehen. innenfridolin reibt sich doch schon die hände…….

  2. … wenn das stimmt, was ich neulich gehört habe, dann scannt Köln alle Kennzeichen und Umweltplaketten von Fahrzeugen (auf den Rheinbrücken) um Umweltplakettensünder (!) zu finden und zu bestrafen. Dabei werden die Plaketten anscheinend immer mit den Kennzeichen verglichen um Fälschung der Plaketten auszuschließen …

  3. Moment – so ein Ding einen Monat lang zu mieten kostet mehr als es zu kaufen? Ich denke eher die 33.000 beziehen sich auf alle 6 Geräte zusammen.

    1. Nein. Das Gerät für 20000 Euro ist einfach ein völlig anderes Gerät als die, die für 33000 im Monat gemietet wurden. Schwer zu sagen ob beide die gleiche Leistung erbringen.

  4. Klingt fast, als hätte der Stern bei euch abgekupfert – verwerflich. Und dann nur mit einigen weiteren Informationen, pfui, zum Glück geschieht so etwas hier nie. Verwunderlich, dass deren Artikel vom 1.7. eure Anfrage aber vom 23.7. stammt. Das ist nicht eine Woche später, sondern Wochen früher. Immerhin kommt die Antwort trotz „Büroversehen“ exklusiv zuerst beim euch und nicht im DIP an, wo natürlich u.a. jede Antwort auf Anfragen dokumentiert wird.

    1. Wir haben unsere Fragen am 23.6. eingereicht, dem Datum vom SWR-Terrorismus-Blogpost. Durch parlamentsinterne Prozesse ist das finale Papier erst am 23.7. offiziell im Parlamentssekretariat eingegangen. Dort ist auch das „Büroversehen“ mit der Verzögerung passiert. Jedes anfragende Büro erhält die Antwort erst direkt, eh diese nach einer weiteren Bearbeitung durch das Parlament im offiziellen Dokumentations- und Informationssystem landet.

  5. ZItat:
    „Nochmal zusammengefasst: Das BKA fotografierte über ein halbes Jahr lang jeden Tag mehr als 25.000 Kennzeichen und rastert aus einer Datenbank von fast vier Millionen Kennzeichen mit Zeit und Ort 50 verdächtige Fahrzeuge.“

    Ich komm irgendwie nicht auf eure Zahlen. Konnt Ihr das näher erläutern.

    Grusse

      1. 27217 / ( 6 Station á 2 Scanner + 1 Station á 1 Scanner ) =
        2094 Kennzeichen. nur ohne Zeitraum
        mMn sehr wenig für einen Tag ( == 24 h )

        in Welcher Zeit ? 24h-Tag , 12h-Tag , 9-12h, 12-18h, 9to5 businessday,
        3/6/9h vor und/oder nach der Durchfahrt der „OpferLKW“
        Fragen über Fragen ?

  6. „das ist grundrechtsschonend und alternativlos. wer scannt hat auch mehr netto vom brutto. wer nicht scannt ist neugotisch desaströs. ausserdem darf ein scanner kein rechtsfreier raum sein, das haben wir von der NSA schriftlich. damit erkläre ich die diskussion für beendet.“

  7. 1. bin ich mit sicher, die Dienste hatten den schon lange im Visier. 2. 2. Ist es ein Zufall, das dieser Fahndungserfolg direkt während der Snowdon, NSA Prism „Affäre“ erfolgt ist?
    3. Warum haben Innenminister und Polizei nicht direkt mit ihren technischen Methoden geprahlt und genau mit diesem Fall die Vorratsspeicherung und Rasterfahndung gefordert?
    4. brauchte es jetzt 3 Monate bis Sie diese Fahndungsmethoden zugeben mussten.
    5. wie viele weitere Leichen ala NSU etc. haben die Dienste noch im Keller und decken sie?

    1. es ist sinnlos, so viele fragen zu stellen.

      1. weil sie eh ignoriert werden und erst wenn das BVerfG ein urteil mal gesprochen hat wird zögerlich daran gezupft.

      2. weil eh alles geheim ist.

      3. weil pofalla die diskussion länsgt beendet hat. (siehe 8)

  8. Der Einsatz war doch gut. Verbrechen mit Schußwaffe sind auch nicht an der Tagesordung, Wiederholungstaten damit noch seltener.
    Das ist ein Paradebeispiel für so einen Scannereinsatz und Funkzellenabfragung.
    Ich bin dafür das so etwas bei Mord und wie in dem Fall versuchten Mord. Eingesetzt wird.
    Bei Demonstrationen und Sachschaden hat es aber nix verloren.

  9. ..“wie in dem Fall versuchten Mord“..
    Von wegen, es ging in diesem Fall immer nur um Sachbeschädigung, nicht mehr, nicht weniger. Und für solche Nichtigkeiten unsere Grundrechte stillschweigend über Bord zu werfen ist eine Farce!

    *Aber was solls, wird schon nicht so schlimm werden, den Menschen in der DDR gings ja auch größtenteils recht gut *g*

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.