Vorratsdatenspeicherung in Tschechien verfassungswidrig, schon wieder

Das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik hat gestern erneut ein starkes Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung gesprochen. Bereits im März letzten Jahres hat das oberste Gericht das dortige Umsetzungs-Gesetz der EU-Richtlinie annulliert und damit die Verpflichtung der Provider zur sechs-monatigen Speicherung der Daten aufgehoben. Doch wie in Deutschland speichern einige Provider Verbindungs- und Bewegungsdaten weiter, auch wenn diese nicht für Rechnungszwecke benötigt werden.

Im aktuellen Urteil (tschechisch, PDF) wurde Paragraf 88a des „Criminal Procedure Code“ (in etwa: Strafprozessordnung) annulliert. Darin war geregelt, wie diese Daten zu Ermittlungen übermittelt und verwendet werden dürfen. Das erschien dem Gericht zu allgemein sowie nicht verhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Die Regelung verstieß auch gegen das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung.

Über eine Einschätzung von Menschen mit Sprachkenntnis würden wir uns freuen. Bei Martin Husovec gibt es die relevanten Zitate des Urteils und eine ausbaufähige Google-Übersetzung.

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10 Ergänzungen

  1. Mensch mit Sprachkenntnis hier.

    30. Es lässt sich zusammenfassen, dass obwohl §88a des Strafgesetzbuches eine vollständige rechtliche Regelung über den Zugang von Strafverfolgungsbehörden zu den Angaben über stattgefundenen Telekommunikationsverkehr enthält, dieser Zugang ausdrücklich nur dadurch bedingt ist, dass die gegenständlichen Angaben ausschließlich zur Klärung von für das Strafverfahren nötigen Tatsachen ermittelt werden dürfen.
    Die Beurteilung, ob diese Bedingung erfüllt ist, vertraut er zwar dem Vorsitzenden des Senats an, bzw. im Vorbereitungsverfahren dem Richter, welcher über die Anordnung der Mitteilung dieser Angaben entscheidet, ihr sehr allgemeiner und unbestimmter Umfang (auch: Abgrenzung) bei der gleichzeitigen Abwesenheit näherer Bestimmungen über die nachfolgende Verfügung über diese Angaben kann aber angesichts dessen, dass die Mitteilung der gegenständlichen Angaben im Bezug auf die betroffenen Nutzer der elektronischen Kommunikationsdienste einen Eingriff in ihr Grundrecht auf Privatsphähre in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (ziemlich wörtlich!) im Sinn von Art. 10 Abs. 3 und Art 13 „der Urkunde“ (Urkunde über Menschenrechte, vermutl. Teil der Verfassung) sowie Art. 8 „der Vereinbarung“ (Vereinbarung über Grund- und Menschenrechte) darstellt, nicht als ausreichend erachtet werden.

    Und ich dachte Juristen-Deutsch wäre schlimm… Keine Garantie für Richtigkeit, Rest reiche ich ggf. nach.

    1. Weiter gehts:

      Der Gesetzgeber hat in der angegriffenen Regelung allerdings die Verhältnismäßigkeit im Bezug auf den verfolgten Zweck nicht berücksichtigt, da er den Zugang zu den gegenständlichen Angaben im Wesentlichen als gewöhnliches Mittel der Beweisbeschaffung für Zwecke des Strafverfahrens ausgestaltet hat, und das sogar für Verfahren über beliebige Straftaten.
      Eine derartige Beschränkung kann dabei angesichts der Schwere des gegenständlichen Eingriffs in die Privatsphäre des Einzelnen nur dann Bestand haben, wenn sie die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzig ergebenden Bedingungen erfüllt. Das bedeutet, dass der Zugang der im Strafverfahren tätigen Organe zu den Angaben über stattgefundene Kommunikationsvorgänge nur unter der Annahme in Frage kommt, dass der Zweck des Strafverfahrens nicht anders erreicht werden kann, die rechtliche Ausgestaltung ausreichende Garantien enthält, dass es zu keiner Verwendung dieser Angaben zu anderen als im Gesetz angegebenen Zwecken geschieht, und die Beschränkung des Rechts des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung keinen unangemessenen Eingriff darstellt in Rücksicht auf die Bedeutung der konkreten gesellschaftlichen Beziehungen, Interessen oder Werte, welche Objekt der Straftat sind, über welche das gegenständliche Strafverfahren geführt wird.
      Diese Beschränkungen respektiert die angegriffene Regelung nicht, wobei dieser Mangel auch nicht durch die von ihr festgelegte gerichtliche Kontrolle behoben werden kann.
      Die Gerichte können zwar bei ihrer Entscheidung über die Anordnung der Mitteilung der gegenständlichen Daten dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit Rücksicht auf die Tatumstände der konkreten Sache Schutz gewähren, können mit ihrer Judikatur allerdings nicht die Abwesenheit ausreichend bestimmter gesetlicher Ausgestaltung ersetzen, welche im Sinn von Art. 4 Abs. 2 „der Urkunde“ Voraussetzung für die Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten auf allgemeiner Ebene ist.

  2. Und der letzte Teil:

    25. Die Berechtigung der im Strafverfahren tätigen Organe, Angaben darüber festzustellen, mit wem und wie oft eine bestimmte Person kommuniziert und von welchem Ort und mit welchen Mitteln sie dies tut, kann im Hinblick auf die Intensität, mit welcher sie durch dieses Grundrecht eingreift, für ein gewöhnliches oder routinemäßiges Mittel der Prävention und Aufklärung von Straftaten erachtet werden, sondern zu ihrer Verwendung darf es nur dann kommen, wenn für die Erreichung dieses Ziels keine andere und im Bezug auf dieses Grundrecht schonendere Vorgehensweise existiert. Bereits die bloße Möglichkeit der Kenntnisname von Angaben über die Kommunikation und Bewegungen einer bestimmten Person ohne deren Zustimmung stellt nämlich eine Einschränkung ihres Rechts dar, über Informationen über ihre Privatsphäre zu verfügen, und das ohne Rücksicht darauf, ob es in Ahhängigkeit von ihrer Relevanz für das Strafverfahren zu ihrer anschließenden Vernichtung kommt oder nicht.

    1. Hat sich da nicht ein Fehler eingeschlichen? Der fett gedruckte Teil müsste IMHO wie folgt lauten:
      kann im Hinblick auf die Intensität, mit welcher sie in dieses Grundrecht eingreift, nicht für ein gewöhnliches oder routinemäßiges Mittel der Prävention und Aufklärung von Straftaten erachtet werden

      Ansonsten vielen Dank für die Übersetzung! Sehr aufschlussreich!

  3. Daumen Hoch!
    für die Entscheidung in Tschechien und für die übersetzung.

    gut das ich so nah an der Grenze wohne. ;)
    da werd ich wohl mal nach einer neuen wohnung suchen wenns bei uns nicht besser wird.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.