Urheberrechtsdebatte, Schauplatz Schweiz: Europas „Urheberrechts-Guantanamo“?

Dass die aktuelle Urheberrechtsdebatte ebenso grenzüberschreitend ist wie die anlassgebenden digitalen Technologien, zeigen nicht nur europaweite Anti-ACTA-Proteste sondern auch ähnliche Vorstöße von Rechteinhabern im gesamten deutschen Sprachraum. Nach der österreichischen Kampagne „Kunst hat Recht“ hat sich nun in der Schweiz der „Verein Musikschaffende Schweiz“ gegründet und mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, die sich in fünf Teile gliedert:

  1. Kulturflate, die „keine Lösung für unser Anliegen [ist], welches darin besteht, selbst über die Verwendung und den Preis unserer Werke bestimmen zu können.“
  2. YouTube, Streaming usw., deren momentane Vergütungssysteme „für die Künstler eine Katastrophe“ seien.
  3. Urheberrecht, zu dem es in voller Länge wie folgt heißt: „Die Schweiz ist das Urheberrechts-Guantanamo in Europa. Wir verlangen die Anpassung an das Recht unserer Nachbarländer. Sprich: Download und Verbreitung unrechtmässig verfügbar gemachter Inhalte sollen illegal sein. Zudem wünschen wir uns rechtliche Werkzeuge,  um gegen Anbieter und Verbreiter von illegalem Content vorgehen zu können. Z.B. via Provider die Schliessung/Sperrung von Anbietern, die aus illegalem Content Gewinn schlagen.“
  4. Leerträgervergütung, die „keine Downloads aus unrechtmässigen Quellen“ entschädige und an der festzuhalten sei.
  5. Verantwortung Provider, die zu „den Gewinnern gehören“, weshalb es die InitiatorInnen „gerecht und notwendig [finden], an diesen Gewinnen beteiligt zu werden“ und fordern, Provider sollten bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützen.

Der Verein Digitale Allmend hat nun via E-Mail eine Reihe von Fragen an den „Verein Musikschaffende Schweiz“ gerichtet, unter anderem die folgenden:

  • „Was sind die Parallelen zwischen den Vorkommnissen in Guantanamo und der Schweiz?“
  • „Wie kommt es, dass Sie eine Kulturflatrate ablehnen, jedoch jegliche kollektiven Verwertungsmethoden weiterhin fordern (siehe Leerträgervergütung), und wenn wir es richtig verstehen sogar eine Erweiterung fordern (Cloudspeicher, Internetanschluss)?“
  • „Können Sie im Detail darlegen, wie Provider Sie bei der Wahrung Ihrer Rechte unterstützen sollen? Wie sollen die Provider Vorgehen? Sollen diese neue und rechtsstaatlich bedenkliche Funktionen als Hilfspolizisten bei der Strafverfolgung übernehmen?“

Sollten die Fragen beantwortet werden ist eine Veröffentlichung der Antworten am Blog der Digitalen Allmend angekündigt.

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27 Ergänzungen

  1. Oh, der „Verein der Musikschaffenden“ ist erst im Januar 2012 gegründet worden. Ein Schelm, der das in einen Kontext mit den Propaganda-Planungen der Verlage setzt.

  2. Verantwortung Provider, die zu “den Gewinnern gehören”, weshalb es die InitiatorInnen “gerecht und notwendig [finden], an diesen Gewinnen beteiligt zu werden”

    roflcopter

    1. Als Teilnehmer von Facebook (ich habe mir irgendwann einmal einen Account eingerichtet, den ich aber nicht weiter verwalte) finde ich, das mir mindestens eine Million Euro von Zuckerbergs Milliarden zu steht.

  3. Ich finde es ja immer wieder beeindruckend schlau, zu versuchen, das Problem mit dem Urheberrecht durch „Lösungen“ in den Griff zu bekommen, die gar nicht am Problem ansetzen.
    Das Problem ist, seit der Einführung von Urheberrechten hat unsere Welt sich weiterentwickelt und verändert, besonders durch das Internet. Nun weigern sich einige Künstler und Vertreiber vehement, sich dieser Entwicklung anzupassen, halten stur an ihren Gewohnheiten fest und wollen sich nicht auf neue Möglichkeiten der Vermarktung einlassen (was manche bereits getan haben, mit Erfolg!). Stattdessen versuchen sie diese Entwicklung ohne Rücksicht und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen (und tun dann ganz verwundert, wenn sie auf Widerstand stoßen).
    Kurz gesagt: Sie schränken lieber unsere Entwicklung und Freiheit ein, als sich den Herausforderungen zu stellen, die diese mit sich bringen.
    Das eigentlich Schlimme an der ganzen Sache ist, dass unsere Regierungen hier offenbar nicht ganz klar sehen, sonst würde sowas wie ACTA gar nicht erst auf den Tisch kommen.
    Arme Welt.

    1. Was völlig Falsch ist , das Internet als ein Problem disbezüglich darzustellen was es gar nicht ist.
      Im Internet wird nichts „Kopiert“ nur Verteilt , der Kopiervorgang findet auf dem Rechner oder anderen Geräten statt, die Urheberrechtsindustrie müsste also nicht das Internet Zensieren sondern den Verursacher „Computer“ an sich!
      Sie werden es aber wohl erst Verstehen wenn das Internet „Zensiert“ ist, aber die Leute trozdem Kopien herstellen in „Heimarbeit“ wie schon Früher mit einem Tape.

      Apropos Technik :
      Wer kämpft eigentlich um die Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze in der Druckindustrie welche durch das Internet und Digitalisierung wegfallen ? Für diese ist das Internet eine echte Bedrohung ihrer Existenz und nicht für die Künster.
      Natürlich keiner dieser Urheber , denn die sollen sich doch wie immer bei technischen Innovationen einen neuen Job suchen , warum also sollten das nun einige abeitslos gewordene Künstler nicht auch können?

      1. ja genau, WER kämpft eigentlich für die Interessen der Schreibmaschinenhersteller und Büromaschinenmechaniker? Wer für die Kutscher, Scherenschleifer, Ledergerberer, Stofffärber und Weber? Wer für den Schmied, den Müller und den Salpeterkocher? Wo ist der Aufstand der Alchemisten, Glockengießer und Fassbinder?

  4. Tja, ohne ein Medium, wie Schallplatten oder CDs, welche durch ihre Herstellung Geld einbringen, ist ein Großteil der Kunst eben brotlos.

  5. Noch ein paar Zusatzinformationen:

    – In der Schweiz ist der Download jeglicher Werke aus dem Internet legal, gilt als Privatkopie.
    – Der Verein Musikschaffende Schweiz wurde gegründet, nachdem der Bundesrat (die Regierung) in einem Bericht klar gemacht hat, dass er keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/pressemitteilung/2011/2011-11-30/ber-br-d.pdf
    – Die SUISA handelt im Vergleich zur deutschen GEMA einiges vernünftiger. Es gibt z.B. kaum gesperrte Musikvideo auf Youtube.
    – Sowohl die SUISA wie auch der Verein Musikschaffende Schweiz ist durchaus zu offenen Gesprächen bereit. Es gab bereits mehrere Treffen mit der Piratenpartei.

    1. Offenes Gespräch? Bislang ist nur Einweg-Kommunikation zu beobachten – so wurde beispielsweise eine Online-Kommentardiskussion gelöscht:

      http://substanz.davidherzog.ch/diese-kommentare-wollen-die-musikschaffenden-schweiz-lieber-nicht-auf-ihrer-website/

      Wieso der Bundesrat (Regierung) in der Schweiz keinen Handlungsbedarf gegen Filesharing sieht, hat unter anderem folgende Seite zusammengefasst:

      http://www.steigerlegal.ch/2011/11/30/bundesrat-kein-handlungsbedarf-gegen-filesharing/

      1. Interessantes Argument im zweiten Link:
        Die auszugebene Geldmenge fuer Kultur bleibt gleich, nur die Schwerpunkte verschieben sich.

        Ich moechte es so uebersetzen, dass die Leute nicht mehr jeden propangierten Mist kaufen, sondern nur das, was sie am Ende auch wirklich interessiert.

      2. @Martin: Lustig, dass du mein Blog verlinkst um mich zu widerlegen. :)

        Ich denke, es ist ok, wenn sie die Debatte nicht auf der eigenen Website führen wollen, sondern an „neutralen“ Orten. Tatsache ist, dass sie Gespräche gesucht haben und weiterhin suchen, sowohl online als auch in RL. Der Vorwurf der Einwegkommunikation ist nicht zutreffend.

  6. Urheberrechts-Guantanomo? Ach, da werden Künstler / Kulturschaffende ihrer Menschenrechte beraubt und ohne Rechtsgrundlage gefoltert?

    Manche Vergleiche sind so dermaßen übersteigert, dass man nur fazialpalmieren kann und ja, mir ist bewusst dass man hier die Rechtlosigkeit der Künstler / Kulturschaffenden metaphorisch umschreiben wollte. Derlei Kriegsrhetorik ruft allerdings kaum Mitgefühl hervor.

  7. @Ten Cars: Sie haben völlig Rechtt!
    Stellt Euch mal vor, eine solche Debatte hätte es gegeben, als die ersten motorisierten Fahrzeuge auf den Markt kamen, und die Kutschenlobby versucht hätte, Hersteller, Nutzer und Verteiber von Autos zu kriminalisieren?!
    „Wachstum und Fortschritt“ wird allerorts propagiert – scheinbar gilt das nur selektiv, und solange eine kleine Gruppe profitgieriger Konzerne damit Millionengeschäfte machen können. Hier gehen ihnen die Ideen allerdings aus, demnach ist Fortschritt in dem Fall per se böse.
    Traurig.

    1. Aber genau so war es. Stanford-Professor Hayagreeva Rao hat zu den Anfängen der Automobilindustrie in den USA geforscht, in seinem 1994 veröffentlichten Aufsatz (PDF) schreibt er dazu:

      „Additionally, since the automobile threatened to displace the horse-drawn carriage, it evoked some opposition from horse breeders, livery stable owners, and horse-drawn vehicle driver associations (Flink, 1970: 64). These groups would frequently present petitions urging civil authorities to ban the automobile on public roads because it jeopardized safety and was a plaything of the rich.“

      1. Ich habe mal gelesen, dass es damals auch Studien gab zum Thema Auto. Zum Beispiel hielten Wissenschaftler die Geschwindigkeit der Autos für zu schnell für den menschlichen Körper (wir reden hier von höchstens 30 kmh). Kein Mensch würde das aushalten.
        Das war doch auch Anti-Propaganda.

      2. War es in den Anfangstagen des Automobils in England nicht vorgeschrieben, daß vor jedem Automobil ein Fußgänger mit einer roten Fahne laufen mußte, um alle übrigen Verkehrsteilnehmer zu warnen? *g*

      3. @Vampy
        Ja das war auch in Berlin und Paris so. Überdies gab es eine Geschwindigkeits-Limit von 3 km/h für Pferdelose-Wagen. Wagen mit Pferden hatten hingegen KEINE Beschränkung.

        Nur neben bei, das Beispiel zeigt ja eben wunderschön dass bei aller sozialen Notwendigkeit den Fortschritt manchmal zu verlangsamen, das man ihn eben nicht aufhalten kann ohne Schaden für die Gesellschaft zu verursachen. Integration und Problemlösung sind halt besser als Verdrängung und Leugnung.

  8. YouTube, Streaming usw., deren momentane Werbe- und PR-Möglichkeiten “für die Künstler ein Segen“ seien.

    Es gibt mittlerweile von zahlreichen Künstlern und auch Labeln youtube-Kanäle. Aus welchem Grund denn? Die sollten froh sein, dass es überhaupt solche Plattformen gibt und man nicht nur auf TV und Radio angewiesen ist.

    1. Richtig, man könnte problemlos argumentieren, die Urheber und Verwerter müssten Google und Co. für die Verbreitung bezahlen. Urheber und Verwerter halten aber an der Lizenzanaloge fest, denn sie wissen, dass sie üblicherweise gar keinen Schaden nachweisen könnten – so stützen sie sich, leider gerichtlich und teilweise gesetzlich gestützt, auf die Fiktion der Lizenzanalogie.

  9. „Jede CD und DVD kann Ihre Bürgerrechte gefährden“. Und nicht nur das: Lasst uns für diese Neidkünstler doch das Internet zurückbauen. Lasst uns unseren Kindern ihre illegale Kreativität austreiben!

    Auf dass sie wieder in die Fabriken zurück kehren, schöne Telefone und elitäre Hornbrillen zusammen stecken und die Marschmusik aus den Lautsprechern der Fabriken rechtmäßige Vergütung finden möge!

    Seit 10 Jahren kaufe ich keine Produkte dieser ewiggestrigen mehr, und bringe meinen Kids bei, aufs VPN beim Filesharing zu achten. Ich weiss warum.

  10. Die ganze Häme ist schon echt das Letzte. Da werden Urheber (sic) gedemütigt, entwürdigt, gefoltert, mißhandelt. Nackt zur Schau gestellt, in „orange jump suits“ wie Zirkustiere durch die Manege geführt (gern auch an der Leine), kopfüber von der Decke baumeln gelassen, mittels Waterboarding Geständnisse der Mittäterschaft an terroristischen Aktionen abgepreßt … und dann das.

    Ein „Aufstand der Anständigen“ muß her, welcher die Menschenrechtsverletzungen gegen Schweizer Urheber genauso scharf anprangert wie die Verbrechen der Folterknechte in den USA. Wir dürfen es nicht zulassen, daß Raubkopierer die „westliche Wertegemeinschaft“ mit roher Vervielfältigungsgewalt und blindem Fanatismus in die Knie zu zwingen versucht. Dieser asymmetrische Krieg muß mit den Mitteln des erweiterten Rechtsstaat (analog zu den „erweiterten Verhörmethoden“) um jeden Preis gewonnen werden.

    SCNR

  11. Btw. was die dort ansprechen, ist das unter anderem in den Niederlanden und der Schweiz der Private Download von Dateien (unter anderem Musik, Filme, Bücher) immer noch erlaubt und für jeden legal ist.

    Dadurch ist deren Kulturwelt weder in der Vergangenheit, noch jetzt groß zusammengebrochen, und als es um eine Verschärfung des Copyrights in verschiedenen Bereichen ging, angeregt durch Lobbyinteressen letztes Jahr, bezog man sich unter anderem in Holland bei der Entscheidung auf diese Studie, die vom Kultur-, Bildungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben wurde: http://www.ivir.nl/publicaties/vaneijk/Ups_And_Downs_authorised_translation.pdf

    Die Schweiz hier drauf:
    http://www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2011/2011-11-30.html
    http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/pressemitteilung/2011/2011-11-30/ber-br-d.pdf

    Eigentlich sollte das als wunderbares Beispiel dienen, dass eine Legalisierung von Filesharing gerade NICHT alle Gewinne „zurückgehen“ lassen, nicht mal bei den Alten Gechäftswegen. Anscheinend sind diese Länder auch nicht dazu bereit zwei Drittel aller Jugendlichen zwischen 15-24 bzw. ein Drittel ihrer Gesamtbevölkerung den Studien nach deswegen zu kriminalisieren, und die „Kreativwirtschaft“ funktioniert trotzdem weiter.

  12. Wir haben heute noch einmal nachgefragt. Da Ferienzeit ist dauert die Antwort gemäss Musikschaffende noch eine Weile. Sobald wir sie haben, werde ich sie veröffentlichen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.