Offenes und freies Internet in Gefahr: Offener Brief an die ITU

Digitale Medien haben in den letzten Jahren unsere Gesellschaft und Kultur verändert. Das Internet ist zu einem bedeutenden Teil unseres Alltags, zum Motor gesellschaftlicher Veränderungen und wirtschaftlichen Wachstums geworden. Es hat einen Einfluss auf unsere Art zu kommunizieren, einzukaufen, Musik zu hören und uns an öffentlichen Debatten zu beteiligen. Im Internet ist heutzutage jeder in der einen Sekunde Urheber, in der nächsten Konsument, in der folgenden Autor und dann wieder Leser. Nicht nur während des arabischen Frühlings hat sich gezeigt, wie wichtig ein freies und offenes Internet ist – auch die Anti-ACTA Proteste von mehreren hunderttausenden Menschen in Deutschland und ganz Europa haben dies deutlich gemacht.

Durch die freie und offene Struktur wurde das Internet erfolgreich. Seit Anbeginn tragen viele verschiedene Akteure hierzu bei: Nutzer, Akademiker, Entwickler und Unternehmen. Dieser Erfolg hat das Internet aber auch zum Objekt nationaler und internationaler Machtkämpfe werden lassen.

Vom 3. bis 14. Dezember 2012 organisiert nun die Internationalen Fernmeldeunion (ITU) die Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation (WCIT-12) in Dubai. Die sogenannten „International Telecommunication Regulations“ (ITRs) werden derzeit überarbeitet und sollen Ende des Jahres verabschiedet werden. Die ITRs sind seit 1988 in Kraft und sind ein weltweit geltender Vertrag für den Betrieb und die Abrechnung internationaler Telekommunikationsdienste. Jetzt will die ITU in vielen Bereichen ein erweitertes Mandat und so zur führenden, internationalen Organisation für Internetsicherheit werden. Bestimmte Staaten, wie Russland und China, wollen der Internationalen Fernmeldeunion deutlich mehr Verantwortung übertragen und dabei mehr Macht über das Internet geben.

Die ITU ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit insgesamt 193 Mitgliedsländern. Sie ist ein extrem intransparentes und bürokratisches Monster. Denn hier wird alles hinter verschlossenen Türen verhandelt, jegliche Dokumente bleiben unter Verschluss und den Tagen der Generalpostmeister wird hinterher getrauert. Durch die hohen Beiträge sind weder Vertreter der Zivilgesellschaft noch unabhängige Akademiker Mitglied bei der ITU. Stimmberechtigt sind allein die Mitgliedstaaten. Dies entspricht also ganz und gar nicht dem sogenannten Multistakeholder-Ansatz, der bislang für den Erhalt des freien, offenen und innovativen Internets gesorgt hat.

Für die Überarbeitung der ITRs wurden von ITU-Mitgliedstaaten, wie Russland, China, Brasilien oder auch Indien, einige beunruhigende Änderungen vorgeschlagen, um das Internet zu ‚verbessern‘:

  • Internetsicherheit und Datenschutz sollen internationaler Kontrolle unterliegen.
  • Telekommunikationsunternehmen soll es erlaubt werden, Gebühren für den « internationalen » Internetverkehr zu verlangen (z.B. auf « pro Klick » Basis für bestimmte Webseiten) – mit dem Ziel, Einnahmequellen für staatliche Telekommunikationsunternehmen zu schaffen.
  • Wirtschaftliche Regelungen sollen für die derzeit nicht regulierten Vereinbarungen zum Datenaustausch, dem sogenannten Peering, eingeführt werden.
  • Der ITU soll die Hoheit über bestimmte Internet Governance Organisationen wie die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gegeben werden.
  • Funktionen der IETF und der ISOC sollen übernommen werden.
  • Internationale Roaming-Gebühren und -Praktiken sollen reguliert werden.

Diese Vorschläge würden die offene und freie Struktur des Netzes in Gefahr bringen, warnen jetzt der Digitale Gesellschaft e.V. und weitere Bürgerrechtsorganisationen weltweit in einem offenen Brief an den ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré und die ITU-Mitgliedstaaten. Anlässlich der bevorstehenden Weltkonferenz fordert der Digitale Gesellschaft e.V. in dem Brief mehr Mitspracherechte für und Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie die Veröffentlichung aller vorbereitenden Dokumente.

Pressemitteilung des Digitale Gesellschaft e.V. und hier der offener Brief (pdf, EN).
Weiterlesen: Telepolis: Kalter Krieg im Cyberspace

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17 Ergänzungen

  1. Multi-Stakeholder heisst hier, das sich der Staat raushält. Daraus spricht eine Skepsis gegenüber staatlicher Regulierung. Das einfachste wäre die Kompetenzen der ICANN an den ISO/IEC Rahmen zu übertragen.

    1. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn Staaten Vorschläge machen dürfen – aber ohne Zustimmung der Nutzer(-vertreter) sollten diese nicht umgesetzt werden können.

  2. Telekommunikationsunternehmen soll es erlaubt werden, Gebühren für den « internationalen » Internetverkehr zu verlangen (z.B. auf « pro Klick » Basis für bestimmte Webseiten)

    Hm, und was mache ich als User, wenn meine Anfrage von Köln nach Hamburg über Benelux geroutet wird, weil auf der Strecke Berlin-Magdeburg ein Kabel zerstört wurde?
    Oder zählen .us-Domains, die aber auf Servern in München liegen, nun als „nationale“ oder „internationale“ Verbindung?
    Das lässt sich doch überhaupt nicht sinnvoll umsetzten, ohne die Struktur des Internets, wie wir sie heute kennen, komplett über den Haufen zu werfen.

    Internationale Roaming-Gebühren und -Praktiken sollen reguliert werden.

    Das ist der einzige wirklich sinnvolle Punkt, den ich da im Moment finden kann – vorausgesetzt, es wird primär im Sinne des Kunden und nicht des Anbieters reguliert.

    1. Es geht nicht um dich, sondern die großen Datenfrachtrouten. Natürlich ist der Kritikpunkt die Netzneutralität. Mit der wiederum hat die ICANN null und nichts zu tun. Bei der ITU mag es viele Forderungen geben für die es keine Mehrheiten gibt. Die ITU ist eine Organisation, bei der die alten Telekommunikationsunternehmen am Ruder sitzen. So eine Art Weltpostverein für die Telekommunikation.

      1. Und du glaubst nicht, dass es am Ende wieder auf den Kunden zurückfällt, wenn beispielsweise AT&T für jeden Aufruf von Facebook aus dem Netz der Deutschen Telekom Gebühren von ebendieser fordern darf?
        Wobei die Frage nach dem physischen Standort einer Domain sich damit ja zumindest erübrigt.

    2. Ich denke nicht, das es da primär um die westliche Welt geht. Sollte irgendein westlicher Provider sowas versuchen würden ihm bestimmt seine Kunden wegrennen.

      Es geht wahrscheinlich eher um Nationalismus.
      Wer aus der chinesischen Firewall rauswill soll zahlen.

  3. Hier wird der Eindruck erweckt, einige Länder, allen voran Russland und China, wollten wieder alte (?) Monopolzeiten und Kontrollstrukturen.

    Artig abgerichtet wissen wir gleich: Russland = böse, Diktatur – China = Verfolgung Unschuldiger.

    Da es sich bei allen genannten Unterstützern um BRIC Mitglieder handelt, gehe ich davon aus, dass deren Zielrichtung nicht Unterdrückung und Unterstützung von Monopolisten ist, sondern die Überführung maßgeblicher Schalthebel weg von den usa und hin zu einer internationalen Organisation.
    Zugegeben, die itu ist eine eher unappetitliche Einrichtung und weit entfernt von demokratie und Endusern. Aber sie ist immerhin international und ein Anhängsel der uno.

    Auch das, die uno-Nähe der itu zeigt die wirkliche Zielrichtung des BRIC Vorstosses: Demokratie auf internationaler Ebene; Steuerung nicht durch 1 Land (usa) sondern durch viele.

    Eine glückliche Lösung ist das nicht und sicher auch nicht der Weisheit höchster Gipfel. Aber dass politiker erschreckend wenig über die moderne Netzwelt wissen und erschreckend viel hinregieren wollen ist ja nicht neu …

  4. Hier wird ein etwas antiquiertes Bild von der ITU gezeichnet. Und ich würde mal behaupten, dass die Strukturen ganz ähnlich sind mit denen von ISO und IEC, bis auf dass die Standards der ITU sich jeder umsonst downloaden kann und bei den anderen nicht. Zumindest heute muss man da nichts mehr ausfüllen, z.B.: http://www.itu.int/rec/T-REC-X.1205-200804-I
    Da könnten sich andere wie ISO, IEC, ANSI,… durchaus mal ein Beispiel dran nehmen.
    1. These des Autors: „Stimmberechtigt sind allein die Mitgliedstaaten“
    Stimmt teilweise. Ja, denn die Grundsatzentscheidungen treffen die Mitgliedsstaaten auf der Plenipotentiary, die alle paar Jahre stattfindet. Dazu haben sie auch das Recht, denn sie tragen die finanzielle Hauptlast. Nein, denn die Standards werden im Wesentlichen in den Study groups, die aus Experten bestehen entwickelt.
    2. These des Autors: „Denn hier wird alles hinter verschlossenen Türen verhandelt“
    Von der letzte Plenipot. Gibt es einen webcast in allen UN Sprachen http://www.itu.int/plenipotentiary/2010/newsroom/webcast/
    Und auch von den anderen Konferenzen und Workshops, sowohl strategische als auch fachliche, steht alles online, in der Regel mit webcast, oft sogar live. Es gibt meistens auch live-Zuschaltungen bei denen Teilnehmer über Internet in die Diskussion des Plenums zugeschaltet werden.
    Das einzige, was nicht öffentlich ist, sind die draft standards. Die Standards werden eben erst veröffentlicht, wenn sie fertig sind.
    3. These des Autors: „weder Vertreter der Zivilgesellschaft noch unabhängige Akademiker Mitglied bei der ITU“
    Das war bis vor kurzem richtig. Seit wenigen Jahren gibt es Mitgliedschaft für Universitäten für einen lächerlichen Unkostenbeitrag von knapp 4000CHF bzw knapp 2000CHF für Unis aus Entwicklungsländern (Unternehmen zahlen über 30000 Grundbeitrag+ 10000/Study Group in der sie mitarbeiten wollen)

    Dass man etwas gegen diese Änderungsvorschläge haben kann ist durchaus zu verstehen.

    1. Richtigstellung bei Punkt drei:
      Unternehmen zahlen entewder gut 30000 und dürfen in allen study groups mitarbeiten, oder 10000 wenn sie nur in einer mitarbeiten wollen.
      Das ändert aber nichts an meinen Aussagen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.