Massenhafte Handyüberwachung: Große Koalition in Berlin hält an Funkzellenabfrage fest

Die umstrittene Funkzellenabfrage soll auch weiterhin in Berlin eingesetzt werden. Das hat die Koalition von SPD und CDU vereinbart. Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag der Linksfraktion abgeändert, der eigentlich die Abschaffung der Funkzellenabfrage fordert.

Seit netzpolitik.org im Januar über die massenhafte Handyüberwachung in Berlin berichtete, ist die Funkzellenabfrage auch immer wieder Thema im Berliner Abgeordnetenhaus.

Als einzige Fraktion beantragte daraufhin die Linkspartei die Abschaffung der Maßnahme:

Der Senat wird aufgefordert, sich auf Bundesebene für die Abschaffung der nicht-individualisierten Funkzellenabfrage in § 100g Abs. 2 Satz 2 StPO einzusetzen.

Die Regierungsfraktionen CDU und SPD schlagen jetzt in einem Änderungsantrag vor, diesen Antrag anzunehmen. Mit nur geringfügigen Änderungen an Überschrift und Inhalt:

Die Funkzellenabfrage ist als eine Ermittlungsmethode zur Ergreifung von Tätern zum Beispiel bei gemeingefährlichen Straftaten wie Brandstiftungen notwendig. Der Senat von Berlin wird aufgefordert, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, im Interesse der Rechtssicherheit den Anwendungsbereich der Funkzellenabfrage in § 100g Strafprozessordnung (StPO) so festzulegen, dass sie der Verfolgung schwerer Straftaten entsprechend dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO dient.

Statt Abschaffung also Beibehaltung. So klingt dann auch die Pressemitteilung. Sven Kohlmeier (SPD):

Es ist überzeugend dargestellt worden, dass die Funkzellenabfrage polizeilich notwendig ist.

Sven Rissmann (CDU):

Die Berliner Koalition bekennt sich mit diesem Antrag auch zum Einsatz moderner Ermittlungsmethoden, um Straftaten aufklären zu können.

Der Antrag wird am 22. Oktober im Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit und am 31. Oktober im Rechtsausschuss beraten, eh er im Plenum beschlossen werden soll.

Nach dem verheerenden Prüfbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten ist das enttäuschend. In der Praxis haben die Behörden bisher jeden Fehler gemacht, der möglich war. Trotz Informationspflicht ist bisher keiner der zehntausenden Betroffenen je darüber informiert worden. Für netzpolitik.org kam daher eigentlich nur die Abschaffung dieser unverhältnismäßigen Massenüberwachung in Frage.

Das sehen CDU und SPD anders. Leider im Einklang mit Grünen, Piraten und Datenschutzbeauftragten, die auch alle nur Verbesserungen und Einschränkungen fordern. Diesmal aber wirklich!

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10 Ergänzungen

  1. wie zur hölle kann man denn sowas rechtfertigen?
    sicherheit durch handyüberwachung ist doch überhaupt nicht naheliegend als grund für eine privatssphäreeinschränkung. oO
    wir leben ja jetzt schon in einer dystopie.

    wenn man jetzt auf nem falschen zettel steht, muss man sich ein neues handy/simkarte zulegen und in ein paar jahren dann neue augen, wa?

    zum glück sind die verantwortlichen und ausführenden leute nur ein haufen faschoidioten, die mit solchen daten eh noch nichts anfangen können. wenn die politiker und bullenschweine anfangen, technik und bürokratie zu verstehen/nutzen, dann werden wir merken, wo uns die lethargie vielleicht schon hingeführt hat.

  2. „Als einzige Fraktion beantragte die Linksfraktion“
    Danke Piraten!
    Mal wieder geschafft sogar in einem eurer Kernthemen zu verkacken!

  3. Das Problem sind nicht die Partein oder Politiker welche immer zur einfachen „radikalen“ Mitteln und Überwachung tendieren werden, ( übrigens auch die Linken als sie vor einem Jahr in Bln. noch mitregierten) , sondern die Gerichte im Land .
    Diese müssen Urteilen ob die „Funkzellenabfrage“ Rechtmäßig oder die Gesetze dazu Verfassungsgemäß sind , wenn sie dazu aber Jahre benötigen oder irgentwelche praxisfernen „salomonische Urteile“ fällen werden die Grenzen des Rechtsstaates im ihrem Zutuen nur immer weiter Richtung Totalüberwachung verschoben.
    Denn der Staat nimmt sich das Recht alle Mittel disbezüglich zu Verwenden welche nicht ausdrücklich Verboten wurden.

  4. Martin Delius und Simon Weiß haben gerade in ihrer Fragestunde gesagt, dass die Fraktion der Piratenpartei in Berlin nicht wie hier berichtet an der Funkzellenabfrage festhält, vielleicht kann man da nochmal nachfragen und dann ggf. hier berichtigen?

      1. Hast du den letzten Satz in der von dir verlinkten Pressemitteilung gelesen und verstanden, „Wir müssen uns weiterhin auf Bundesebene mit der Frage auseinander setzen, ob die nicht individualisierte Funkzellenabfrage nicht ganz aus der Strafprozessordnung gestrichen werden muss.“ Du beschreibst das mit dem Wort „erschweren“ kannst du das irgendwie nachvollziehbar erklären?

  5. Als rechtspolitischen Sprecher der Berliner Piratenfraktion wundert mich die Aussage, wir würden an der (nichtindividualisierten) Funkzellenabfrage festhalten wollen schon etwas. Richtig ist dass wir keinen zu dem Antrag der Linken inhaltlich gleichen Antrag gestellt haben (warum auch?), er hat aber unsere Unterstützung. Der von uns zeitgleich gestellte Antrag konzentriert sich eben auf die Landes- statt auf die Bundesebene und kann insofern nur verbesserte Begründungs- und Informationspflichten in der Arbeit der Staatsanwaltschaft fordern. Diese Forderungen stehen somit auch nicht in Konkurrenz sondern ergänzen sich meiner Ansicht nach sehr gut.

    1. Ich habe einen Kommentar weiter oben zwei eurer Aussagen verlinkt, die nur Einschränkungen fordern. Habt ihr auch ein verlinkbares Dokument, in dem ihr die Abschaffung fordert?
      Und sieht das auch euer innenpolitischer Sprecher so?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.