Leistungsschutzrecht für Presseverleger: Gesetzesinitiative ist auch volkswirtschaftlich abzulehnen

Das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger wird auch aus wirtschaftlicher Perspektive abgelehnt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie befürchtet weitreichende und unkalkulierbare Lizenzierungspflichten. Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap sieht keine Notwendigkeit für das Recht und mehr neue Probleme als gelöst werden sollen.

Bereits letzte Woche beschwerte sich der Wirtschaftsverband BDI per Brief beim Justizministerium. Leider gibt es den Brief nirgendwo öffentlich, Konrad Lischka zitiert bei Spiegel Online:

Der BDI kritisiert den Gesetzentwurf für „zahlreiche problematische Regelungen und Unschärfen“, die grundsätzliche Fragen aufwerfen. Eine davon: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass „gewerblich handelnde“ Personen, die Artikel verwenden, dafür zahlen müssen. Was „gewerblich“ und was „Verwendung“ bedeutet, führt der Gesetzentwurf nicht weiter aus. Demnach könnte der Tweet eines Firmensprechers mit dem Hinweis auf einen interessanten Fachartikel im Netz Geld kosten.

Auch der Düsseldorfer Professor für Volkswirtschaftslehre Justus Haucap rät davon ab, das Gesetz wie geplant umzusetzen. Im Rahmen einer Veranstaltung der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) präsentierte er heute ökonomische Gründe gegen den umstrittenen Referentenentwurf.

Zunächst stellte er einen Wandel im Mediennutzungsverhalten fest. Im Internet-Zeitalter lässt die Nachfrage nach gebündelten Inhalten wie Tageszeitungen nach, weil sich die Verbraucher die einzelnen Elemente ihrer Nachrichten selbst zusammen stellen. Einzelpersonen erbringen also die Kompositionsleistung eines gebündelten Presseerzeugnisses damit immer mehr selbst, trotzdem wollen sich Presseverleger diesen Vorgang mit dem Leistungsschutzrecht noch schnell schützen lassen.

Bei einem Film liege tatsächlich eine Leistung in der Schaffung des Werkes in seiner Gesamtheit, die schützenswert sein kann. Filme werden meist als Gesamtwerk konsumiert. Während das bei Tonträgern schon fragwürdiger ist, ist das bei Presseerzeugnissen im Internet nicht mehr der Fall. Daher mache in diesem Sektor ein Leistungsschutzrecht auch keinen Sinn.

Ganz grundsätzlich sollen geistige Eigentumsrechte wie Urheberrecht und Leistungsschutzrecht einen Anreiz zur Produktion von Inhalten bieten. Im Internet fallen jedoch für einen einmal produzierten Inhalt keine Verbreitungskosten mehr an, der Ökonom nennt das grenzkostenlos. Sven Regeners Vergleich von Urheberrechtsdelikten mit Ladendiebstahl erteilt die Ökonomie daher eine Absage. Ein Brot kann nicht von mehreren Personen konsumiert werden, ein digitales Gut jedoch schon.

Professor Haucap bezweifelt sogar, ob der eigentliche Zweck des Gesetzes, die Beteiligung von Suchmaschinen und Aggregatoren an den Kosten der Presseerzeugung, überhaupt erreicht werden kann. Aus ökonomischer Sicht sei gar nicht klar, ob das passieren würde. So lange Google genügend Ausweichmöglichkeiten habe ist unklar, ob der Internet-Riese überhaupt zum Bezahlen bereit ist. Hier sei an den Fall erinnert, als Google nach einer Niederlage vor Gericht belgische Zeitungen einfach ausgesperrt hat.

Es könnte sogar sein, dass die Verlage zukünftig zahlen müssen, wenn sie von Google gelistet werden wollen. Haucap verglich dies mit der Regalgebühr im Einzelhandel. Auf manche Artikel können Supermärkte nicht verzichten, andere müssen zahlen um in die Regale zu kommen. Falls Google beispielsweise ein Listing auf Android-Geräten anbieten würde, könnten manche Verlage sogar zukünftig Geld an Google bezahlen statt andersrum.

Viel hängt von der genauen Ausformulierung des Gesetzestextes ab. Derzeit ist noch offen, ob es eine freiwillige oder verpflichtende Verwertungsgesellschaft zum Eintreiben des Leistungsschutzgeldes geben soll. Eine verpflichtende Verwertungsgesellschaft würde laut Wirtschaftsprofessor den Wettbewerb erheblich blockieren und zwangsläufig für Verbraucher teurer werden. Bei einer freiwilligen Verwertungsgesellschaft würde andererseits große Rechtsunsicherheit herrschen, da man oft nicht einfach herausfinden kann, ob ein bestimmter Inhalt jetzt per Leistungsschutzrecht geschützt ist und mit wem man über die Nutzungsrechtsrechte dafür verhandelt. Das führe zwangsläufig zu einer neuen Abmahnindustrie.

Auch wenn man nicht alle Argumente teilt und statt ökonomischen lieber politische Gründe gegen das Leistungsschutzrecht ins Feld führt, macht es doch Mut, wichtige Akteure der Wirtschaft auch mal als Verbündete zu haben. Vor allem die federführende FDP hört ja lieber auf solche Argumente. Prof. Dr. Justus Haucap wird seine Position demnächst auch in einem Gutachten präsentieren. Wenn uns wer den Brief des BDI zuschicken will, nehmen wir den gerne.

Anmerkung: In einer früheren Version des Postings wurde der BDI irtümlich als „Bund der Industriellen“ bezeichnet. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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12 Ergänzungen

  1. Na da schau her, der Wirtschaftsverband BDI übt den „Soft-Terrorismus“ , aber nur weil es an ihr Geld geht .
    Trozdem wo sie Recht haben….. Gut so

  2. Wenn uns wer den Brief des BDI zuschicken will, nehmen wir den gerne (submit@netzpolitik.org).
    Wie wäre es mit einer PrivacyBox o. ä. für solche Whistleblowing-Aktionen?

  3. Kollegen, Namen und Zahlen müssen stimmen, sonst wird der ganze Beitrag unglaubwürdig. Lernt man in jeder anständigen Journalistenschule. Ich weiß, dass Ihr Euch nicht als Journalisten bezeichnet, aber auch dann gilt diese Regel natürlich, wenn man den Anspruch erhebt, faktengetreu zu berichten. Der BDI ist der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., nicht der „Bund der Industriellen“.

    1. Mea culpa, du hast natürlich recht. Ist korrigiert.
      Ich war bisher zögerlich mit der Meldung, weil wir ja das Original-Dokument nicht haben.

  4. Sehr lustig, das Ganze.

    Schon mal auf die Idee gekommen, dass unsere Justizministerin absichtlich einen derartig grottigen Vorschlag für ein Gesetz gemacht hat, damit auch ganz sicher kein Leistungsschutzrecht kommen kann? Mir kommt es zumindest so vor.

  5. Das LSR ist grotesk, soviel ist klar.

    Das ist es aber auch, wenn man nicht anbiedernd von „Professor“ oder gar „Prof. Dr.“ schreibt. Dass der gute Mann einen Lehrauftrag innehat und es auf der akademischen Karriereleiter zum Dr. (genauer zum Dr. rer.pol.) gebracht hat, sagt nicht wirklich was über seine Expertise aus. Wichtiger als derlei Standesinfo wären Informationen, warum das, was er sagt, mit fundiertem Wissen einhergeht. Ein Titel oder Grad hilft hier leider nicht.

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