Kony 2012: Zurück blieb ein laues Lüftchen

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 3/2012 von Böll.Thema.

Anfang März dieses Jahres wurde Joseph Kony quasi über Nacht eine der berühmtesten Personen des Internets. Der flüchtige mutmaßliche Kriegsverbrecher und ugandische Rebellenführer war bis dahin weitgehend nur Menschen bekannt, die sich für Konfliktherde in Mittelafrika interessierten. Das sollte sich mit einer bis dahin beispiellosen Internetkampagne namens KONY 2012 ändern. Die US-Nichtregierungsorganisation Invisible Children startete sie am 5. März. Zentrales Element der Kampagne war ein rund 30 Minuten langes Video, das der Invisible Children-Gründer Jason Russell gedreht hatte.

Entgegen dem Gerücht, dass im Internet nur kurze Videos funktionieren und sich niemand lange Filme anschaut, wurde KONY 2012 allein in den ersten sechs Tagen mehr als 100 Millionen-mal über die beiden Plattformen Vimeo und YouTube abgerufen. Zentrale Personen in dem Video sind Russell und sein Sohn, sie beschreiben die Konflikte in Uganda und verurteilen die Methoden, mit denen Konys Lord’s Resistance Army (LRA) in Uganda und benachbarten Staaten mit Hilfe von Kindersoldaten und Sklaven agiert. Der Film beschreibt weiter, wie Invisible Children als Nichtregierungsorganisation gegründet wird, um diesen Taten ein Ende zu setzen. Verbunden ist das emotional ergreifende Video über einen Konflikt außerhalb der medialen Berichterstattung mit konkreten Handlungsempfehlungen: Den Konflikt aufmerksam zu verfolgen und vor allem an Invisible Children zu spenden.

Welche Verantwortung haben NGOs?

Das Video löste zweierlei aus: Tatsächlich wurden zum einen die afrikanischen Konfliktherde und hier besonders die in Uganda und im Kongo aufmerksam verfolgt, kurz fristig jedenfalls. Stellvertretend für die Bundesregierung erklärte Regierungssprecher Seibert auf Twitter: «#Kony – DEU hat das Thema in den UN-Sicherheitsrat ein gebracht. Wir unterstützen Afr. Union im Kampf gegen die Gruppe und ihre Verbrechen.» Zum anderen entwickelte sich eine viel spannendere Debatte über die Mechanismen in der neuen vernetzten Öffentlichkeit verbunden mit der Frage, welche Verantwortung Nichtregierungsorganisationen bei solchen Kampagnen tragen.

Viele waren von der rasanten Mobilisierung im Netz überrascht. Deutsche Beobachter kannten die Organisation Invisible Children nicht einmal. Dabei engagiert sich die NGO bereits seit einem Jahrzehnt in den USA für dieses Thema. Jahrelang hat sie an unzähligen Schulen vor allem im mittleren Westen der USA über die Problematik von Kindersoldaten aufgeklärt und dadurch eine Basis von Unterstützern aufgebaut, auf die sie nun zurückgreifen konnte. Wie aber schaffte es diese Kampagne, sich medial gegen all die anderen Konkurrenten durch zusetzen, die ebenfalls um das knappe Gut der Aufmerksamkeit kämpften? Der Film bei KONY 2012 war sicher ein wichtiges Element, aber ebenso wichtig war die Einbettung in eine netzwerkzentrierte Kommunikationsstrategie und die lange «Offline»-Vorarbeit durch kontinuierliche Besuche an Schulen. Der Film bewegte, mobilisierte und forderte auf, selbst aktiv zu werden. Gleichzeitig wurden Wege auf gezeigt, wie man das machen kann. Direkt vor dem Bildschirm.

Die Macher kannten ihre Zielgruppe sehr gut, und sie kannten die medialen Mechanismen in der neuen Öffentlichkeit. Der Film war technisch professionell umgesetzt, die Botschaft simpel und die Kampagne beschränkte sich auf ein einfaches Ziel: Kony muss gefasst werden. Damit Regierungen entsprechend aktiv wurden, musste hohe Aufmerksamkeit erzeugt werden. Die gewählte Strategie war ungewöhnlich, aber durchaus effizient: Die überwiegend junge Zielgruppe, am Anfang vor allem mit christlichem Hintergrund, sollte «ihre Stars» auf Twitter und auf Facebook auffordern, den Film und das Anliegen mit zu verbreiten. Wenn Tausende junge Fans ihre Idole wie Justin Bieber oder Lady Gaga auf Twitter auffordern, sich ihrem Anliegen anzuschließen, so das Kalkül, erhöht das die Chance, über diese einflussreichen Netzknoten gleich viele Millionen Nutzer zu erreichen.

Kann Kriegseinsatz ein Ziel sein?

Die Rechnung ging auf. Wie ein Wind fegte KONY 2012 durch das Netz und die mediale Welt. Aber sehr schnell wurde auch Kritik laut. Vor allem die Spendenpraxis von Invisible Children wurde thematisiert, die nur rund ein Drittel ihrer Einnahmen auch nach Uganda und in benachbarte Staaten weitergeben. Die meisten Gelder werden für Advocacy- und Medien-Arbeit in den USA verwendet. Das Ziel der Kampagne führte ebenfalls zu kontroversen Debatten: Ist die Unterstützung der ugandischen Armee, die nicht gerade als Bewahrerin von Menschenrechten bekannt ist, überhaupt wünschenswert? Können Kriegseinsätze grundsätzlich ein Ziel sein? Und ist die Jagd auf Kony bis dato ein Novum in der Geschichte der überhaupt sinnvoll oder gibt es vor Ort nicht ganz andere Probleme, die es zu lösen gilt?

Aber auch die Vereinfachung und das Framing wurden Thema: Darf eine Kampagne so emotional vorgehen und damit auch Menschen manipulativ beeinflussen? Sind wir als Gesellschaften auf diese neuen medialen und rasanten Netzwerk-Mechanismen vorbereitet oder müssen wir noch lernen, damit umzugehen? Eine endgültige Antwort darauf gibt es noch nicht. Aber ein Diskussionsprozess wurde gestartet, und gerade dadurch war Kony 2012 so wichtig, auch wenn viele die Intention und Machart ablehnten.

Eines zeigte sich ebenfalls: Mit einer geschickten Strategie, einer einfachen Botschaft und einer guten Verpackung kann man viral sehr schnell sehr viele Menschen mobilisieren. Aber das Engagement wird dadurch nicht nachhaltig. Den Nachfolgefilm, „Kony 2012: Part II . Beyond Famous“, wo die Macher auf Kritik eingingen und das Thema am Leben erhalten wollten, sahen nur noch eine Millionen Menschen an. Ein Aktionstag mit geplanten Online- und Offlineaktion fiel geradezu ins Wasser, weil sich niemand mehr dafür interessierte.

Man kann schon fast von Selbstheilungskräften im Netz reden, wenn das Thema einen Monat später viel wenger Menschen interessierte und Kony mittlerweile fast wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sein dürften. Oder ist es lediglich sinkende Aufmerksamkeit in einer Welt, wo ständig etwas Neues einen Klick weiter auftaucht? Traurig ist hingegen, dass afrikanische Konflikte damit allerdings auch aus dem Alltag vieler Menschen verschwunden, aber immer noch ungelöst sind.

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10 Ergänzungen

  1. Die Zielgruppe sollte / war ja (wie im Text erwähnt) eine junge.
    Wie das Verhältnis dieser Zielgruppe zu dem „Wir können etwas ändern-Gefühl“ steht, ist wieder eine weitere Betrachtung wert.

    Ich behaupte einfach mal, dass die Mehrheit dieser Zielgruppe nicht das Gefühl hat (auch politisch) etwas bewirken zu können.
    Daher versickert sowas auch relativ schnell.

  2. Ich hatte im April dazu mal das Internet durchsucht, etwas ungeordnet, aber hoffentlich noch verständlich, die Ergebnisse:
    http://yours-truly.de/node/2060
    Da tun sich echt Abgründe auf. Ich vermute das Übliche dahinter: Astroturfing, Spendenmissbrauch, Wahlkampfpropaganda und immer auch – der Kampf ums schwarze Gold. Öl.

    Mit vernetzten Grüßen,
    yt

  3. Was für ein exzellenter Artikel. Danke! Mich hat Kony irgendwie mitgenommen, weil:

    Darf eine Kampagne so emotional vorgehen und damit auch Menschen manipulativ beeinflussen?

    es konfrontierend war, dass es einfach funktioniert, die heißkaltenheißen Schauer. Naive Begeisterung gab’s 2012 auch für den Regimewandel in Syrien. So geht das wohl. Ich fühle mich immer schlecht, wenn ich mit den falschen Argumenten Erfolg habe.

  4. ‚Mit einer geschickten Strategie, einer einfachen Botschaft und einer guten Verpackung kann man viral sehr schnell sehr viele Menschen mobilisieren‘. Das muss sich ja erst noch zeigen. So kritisch man der Kony-Kampagne gegenueber sein muss, eine echte Gefahr ist, dass Kony von einem virtuellen Einmal-Effekt profitiert hat. Werden sich in den naechsten Jahren 150 Millionen Menschen ein entwicklungspolitisches Video ansehen? Sehr unwahrscheinlich. Das bedeutet aber eben auch, dass es nicht einfacher geworden ist mit ernsten Themen und komplexen Zusammenhaengen Aufmerksamkeit zu bekommen.

  5. Natürlich ging es bei dem Video nur um Geld.
    Und wer ein wenig recherchiert, findet heraus, dass das Video bereits rund 5 Jahre alt ist. (nur nicht im Internet gelandet).
    Der Fakt, dass alleine die USA jedes Jahr Millionenbeträge zur Bekämpfung solcher Gruppierungen rüberschickt und manchmal sogar ein paar hundert Soldaten für Operationen, fällt bei solchem populistischem Machwerk natürlich unter den Tisch.

    Die größten Tier-/Umwelt-/xxx-Schutz Organisation sind alle schlicht millionenschwere Lobbyunternehmen. So läufts nunmal. So wirds immer bleiben.

    1. Wer noch tiefer bohrt, der findet einige üble Verstrickungen westlicher Staaten in die Situation vor Ort, die unglaublich klebrig und mies ist, weshalb das gar kein Vorwurf sein soll. Es wurde auch immer ein Einfluss des Sudan auf die LRA unterstellt.

      Eine Petition, damit die US „Militärberater“ schicken, dass die einheimischen Soldaten des Regimes Jagd auf einen bestimmten Akteur machen, der das absolute Böse verkörpert, das ist schon extrem heftig.

      Nicht „Lobbying“: Bei vielen Organisationen wird das Fundraising zum Selbstzweck. Intern denken die quasi wie Werbeagenturen „für die gute Sache“, wobei das wichtigste für die Leute eigentlich – das kommt die Werberdenke – die gesellschaftliche Bewusstseinsänderung ist. Also „das Gute“ entsteht bei den Leuten, die ihnen Geld geben und ihre Arbeit toll finden, wobei die Arbeit mehr Image als Kern ist.

    2. // Und wer ein wenig recherchiert, findet heraus, dass das Video bereits rund 5 Jahre alt ist. (nur nicht im Internet gelandet).

      Kann ich dazu bitte eine Quelle haben?
      Danke im Voraus;)

  6. Hallo ihr Lieben.
    Hat jemand Quellen zu der Spendenpraxis von Invisible Children? so wie es hier beschrieben wird? Wäre für eine Arbeit.
    Grüße,
    joana

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