Kinoumsätze und Megaupload: Kein Schaden durch Filesharing

Das Arbeitspapier „Piracy and Movie Revenues: Evidence from Megaupload“ untersucht die Auswirkungen von Filesharing auf die Erlöse an den Kinokassen. Bei derartigen Untersuchungen ist es normalerweise schwierig, an analyserelevante Daten zu kommen, da es kaum Möglichkeiten gibt, eine einzelne Einflussgrösse wie etwa das Filesharing-Verhalten zu isolieren. Externe Schocks wie die überraschende Schliessung der Megaupload-Dateibörse sind daher für Ökonomen ein gefundenes Fressen. Die Autoren Christian Peukert von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Jörg Claussen von der Copenhagen Business School werten deshalb die Veränderung der Kinoverkaufserlöse direkt nach der Schliessung von Megaupload aus. Sie kommen zu dem oberflächlich überraschenden Ergebnis, dass diese nicht zu mehr Einnahmen aus Ticketverkäufen führte, und insgesamt nur geringe Auswirkungen und eher auf weniger bekannte Filme hatte.

Diese Ergebnisse lösten ein unerwartetes Echo aus und wurden prompt weitgehend misintepretiert. Schlagzeilen wie „Researchers Find Megaupload Shutdown Hurt Box Office Revenues“ landeten auf Slashdot. Dies wiederum weckte die Verwerterlobby, welche prompt mit einem „Stimmt doch gar nicht“-Artikel konterte. Schade eigentlich, weil das Paper zu diesen Schlussfolgerungen überhaupt nicht kommt. Zeit also auseinanderzunehmen, was wirklich drinsteht.

Christian Peukert, einer der Autoren, sagt dazu: „Wir sind selbst positiv überrascht von dem Echo, welches unsere Arbeit ausgelöst hat. Wesentlich für uns ist, dass wir nicht gefunden haben, was allgemein erwartet wurde – nämlich ein Anstieg der Einnahmen nach der Schliessung von Megaupload.“ Die Autoren, deren Arbeit im übrigen unabhängig finanziert ist, beziehen eine neutrale Position, um sachliche Argumente zur laufenden Debatte um die Urheberrechtsreform beizutragen.

Tatsächlich kommt die Untersuchung zu zwei interessanten Aussagen: Zum einen führt der Wegfall von Filesharing nicht wie oft behauptet zu einem Anstieg der Erlöse an den Kinokassen. Das klingt zwar weniger dramatisch, entwertet aber die zum Teil hanebüchenen Aussagen der Verwerter über die durch Filesharing verursachten Einbussen – es gab keinen Anstieg der Verkäufe nach der Megaupload-Schliessung. Filesharing ist kein Substitut für den Gang ins Kino.

Zum zweiten ließ sich nach der Schliessung von Megaupload ein leichter Umsatzrückgang bei weniger bekannten Produktionen nachweisen. Kinofilme sind ein Erfahrungsgut, man kann erst beurteilen, ob sie halten was die Werbung verspricht, wenn man sie gesehen hat. Es kann daher vermutet werden, das Kinogänger Filesharing-Börsen konsultieren, um sich über kleinere Produktionen mit geringerem Werbebudget zu informieren. Als diese Möglichkeit wegfiel, sank die Nachfrage nach solchen Filmen abseits des Mainstreams. Im Umkehrschluss bedeutet der Wegfall von Megaupload eine stärkere Kontrolle der Verwerter über die Nachfrage der Konsumenten durch Werbung, auf Kosten der durch kleiner Produktionen beigetragenen Vielfalt. Auch hier entsteht für die Verwerter durch Filesharing kein Schaden, allenfalls ein geringer Zusatznutzen.

Die Veröffentlichung des fertigen Papers steht noch aus, die Autoren arbeiten mit Hochdruck daran. Das Anliegen, den aktuellen Ringkapmf zwischen Besitzstandswahrung und Verbraucherinteressen mit Fakten und sachlichen Analysen zu begleiten, ist auf jeden Fall zielführend und begrüssenswert. Wir sind gespannt auf die endgültigen Ergebnisse.

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19 Ergänzungen

  1. Nicht nur die Verwerterlobby sagt „Stimmt doch gar nicht“. Denn die Forscher haben ihr „Quasi-Experiment“ falsch konstruiert.

    Zum einen gehen sie davon aus, dass der Wegfall von Megaupload ein dauerhaftes Ereignis war. Doch andere Streaming-Dienste haben längst die Lücke gestopft. Wer Kinofilme oder TV-Serien online sehen will, hat heute nicht wesentlich mehr Probleme als vor einem Jahr, der eingebrochene Traffic ist nach wenigen Wochen wieder aufgeholt worden. Das bedeutet: die gemessenen Effekte sind nicht auf Streaming-Dienste bzw ihren Wegfall zurückzuführen.

    Zum zweiten ist die Kontrollgruppe falsch gewählt. Sie haben einfach nur Filme vor Januar 2012 mit Filmen danach verglichen. Doch inzwischen passiert allerhand: von der Umrüstung auf Digitalprojektion bis hin zu der Verkürzung der Verwertungsketten und legalen Streaming-Diensten. Das sind die Auslöser der Entwicklungen, die in dem Papier festgestellt wurden, nicht Megaupload.

    http://notes.computernotizen.de/2012/11/25/illegale-kopien-sind-gut-furs-kino/

    1. Das besprochene Paper verwendet Daten bis zur 35. Woche 2012, also nur etwa ein halbes Jahr nach der Schliessung von Megaupload. Für die Untersuchung eines Schocks nicht unüblich, und klingt auch realistisch für den Zeitraum, den alternative Streaminganbieter brauchten, um sich vollständig zu etablieren. Ob die Umrüstung auf Digitalprojektion et cetera einen Einfluss hatten, ist erstmal nicht bekannt und kann nur vermutet (oder gesondert untersucht) werden. Ob die Kontrollgruppe falsch gewählt ist, ist schwer zu sagen anhand der Tatsache, das die Details darüber noch nicht veröffentlicht sind :-) Angesichts der unerwarteten Aufmerksamkeit werden die Autoren sicherlich noch einmal mehr nachrechnen, bevor das fertige Paper freigegeben wird.

      1. Wenn du dem Link oben folgst, wirst Du sehen, dass die Kontrollgruppe nicht unbekannt ist: Es sind schlichtweg alle Filme, die vor der Schließung von Megaupload herauskamen. Das hat zur Folge, dass die Studie keinerlei Aussagen zu Megaupload treffen kann, da kein anderer Faktor ausgeschlossen wurde – lediglich eine saisonale Bereinigung fand statt. Woher ich das weiß? Ich habe einen Autoren gefragt.

        Auch die Annahme, dass man nach sechs Monaten irgendetwas sehen kann, ist willkürlich festgesetzter Unsinn. Denn im oben verlinkten Blogbeitrag siehst Du zum Beispiel einen Verweis auf eine Trafficstudie, die das Gegenteil nahelegt. Zudem hat Megaupload nie alleine als Streamplattform gedient, sondern immer nur im Zusammenspiel mit Linkseiten. Die können erheblich schneller auf Wechsel reagieren als die Endnutzer.

      2. Alternative Streaming Anbieter gab es doch schon lange vor MegaUpload. MegaUpload war einer unter vielen, und nicht der einzige Anbieter der auf einmal plötzlich weg gefallen ist. Daher stimmt die Aussage schon das das messen auch ein halbes Jahr danach nicht wirklich irgendeine Aussagekraft hatte. Die Leute die vorher sich die Sachen illegal besorgt haben mussten nur einen anderen Anbieter nutzen wo es zuvor schon zig zur Auswahl gab.

        Und es benötigt auch kein halbes Jahr um irgendetwas zu kompensieren. Als kino.to hochgenommen wurde hat es ungefähr 2 tage gedauert bis es ein kinox.to gab das das vollständige angebot übernommen hatte und auch heute noch existiert.

        Es mag zwar Interessant sein wenn jemand die wirklichen Auswirkungen überprüfen möchte. Aber ein wegfall von Mega Upload ist nichtmal ansatzweise aussagekräftig.

        Man könnte hier auch vergleichsweise prüfen ob der Wegfall einer beliebten Fritten-Bude in Köln auswirkungen auf die Pizza Industrie in Köln hatte. Und weil die Pizza Verkäufe nicht gestiegen wurden schlussfolgern dann anscheint manche das die Fritten-Buden gar keine auswirkungen auf die Pizza Industrie hat.

    2. Nur um kurz deine Erinnerung aufzufrischen:
      Zahlreiche andere One-Click-Hoster haben damals Ihre Angebote massiv zurück gefahren oder ganz eingestellt. Auch viele Kunden waren verunsichert.

      Zu deinem zweiten (Kontrollgrupen)-Argument: Würde das nicht für eine Steigerung der Einnahmen sprechen (bezgl:“Umrüstung auf Digitalprojektion bis hin zu der Verkürzung der Verwertungsketten“)

      1. Max: Einige, nicht zahlreiche. Und andere gingen durch die Decke. Von putlocker.com hatte ich bis dato noch nicht gehört.

        Und nein: Digitalumrüstung ist teuer. Mehrere, kleinere Kinos in Köln und Umgebung haben deshalb schon geschlossen. Und die verbliebenen müssen die Säle auslasten, bringen also mehr Blockbuster. Und das ist konsistent mit den Ergebnissen des Papiers.

  2. Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass sich viele Filesharer einen Kinobesuch nicht wirklich leisten können und sie deswegen diesen Weg nutzen, um am aktuelle Filme zu kommen. Fällt die Möglichkeit weg, haben diese Menschen immer noch nicht mehr Geld und können somit immer noch nicht ins Kino gehen. Der Schaden, den die Verwerter also aufrufen, ist rein fiktiv.

  3. 2 Kritikpunkte:
    1. Beziehen sie sich doch ausschließlich auf das Aus von Megaupload oder? Das würde ja voraussetzen, dass Megaupload der einzige Filehoster wäre, was eindeutig nicht der Fall ist. Es kann genau so gut sein, dass die Megaupload User sind einfach auf andere Hoster verteilt haben.

    2. Steht im Abstract was von „insignificant“. Signifikanz ist in der Statistik eine Aussage darüber ob die Erfahrungen aus einer Stichprobe auf eine Grundgesamtheit übertragen werden können. Nicht-signifikant würde in dem Fall also heißen, dass sie dieses Ergebnis in ihrer Stichprobe haben, es aber durchaus plausibel wäre wenn für die Grundgesamtheit das Gegenteil gelten würde.

    Von daher würde ich diese Studie auch wie viele andere nicht als diskussionswürdig ansehen.

    1. Da muss man genau lesen, worauf sich das „nicht signifikant“ bezieht. Deswegen schreiben wir auch „Kein Schaden durch Filesharing“, und nicht „Megaupload shutdown: Detrimental to box office revenues?“, wie das andere tun. Das Paper sagt, dass sich nach der Schliessung von Megaupload die Erlöse nicht erhöht haben. Das finde ich schon diskussionswürdig.

  4. Die interessante Frage ist doch eher, wie sich Filesharing auf die Nachverwertung durch iTunes und Co. bzw. DVD- und Blueray-Verkäufe auswirkt. In meinem Bekanntenkreis jedenfalls hat das Filesharing zumindest teilweise eine nicht zu übersehende Wirkung entfaltet.

    1. Schön zu sehen wie weit sich netzpolitik.org von der sachlichen Debatte entfernt hat. Danke für diesen Link, der deutlich besser erklärt was dieses Paper sagt als der Artikel hier.

  5. Wenn man sich die FileSharing Situation anguckt und dabei auch über den deutschen Tellerand hinaus guckt, sieht man das es zwar neue Alternativen zu megaupload gibt. Jedoch keiner ein vergleichbares Angebot liefert.
    Zudem sind ehemalige global player wie rapidshare.com wesentlich härter gegen die Szene am agieren und damit ist es insgesamt durchaus unattraktiver geworden.

    Mit megaupload gab es das icefilm plugin für xbmc wo man hd Inhalte als free user bekam. So bequem ist es heute nicht mehr. Ob das jetzt wirklich diese Auswirkungen hat ist halt die Frage.

    Vor langer Zeit gab es mal eine Diskussion mit einem Vertreter der Musikindustrie im Gulli Forum. Wenn man mal größtenteils Ehrlichkeit unterstellt, schien es durchaus einen Zusammenhang zwischen fehlendem „Ausprobieren“ und dem Kaufverhalten zu geben.

  6. Bevor sich weiter jemand auf dem Begriff „Quasi-Experiment“ kapriziert: „Quasi-experiments are commonly used in social sciences […], especially when it is not practical or reasonable to randomize study participants to the treatment condition.“ (Wikipedia)

    Manchmal kann man die Realität nicht experimentell untersuchen, dann muss man sich mit einem Quasi-Experiment begnügen. Alternativ kann man sich eine andere Wirklichkeit aussuchen (das nennt man dann Kunst :-) ).

    1. Wissenschaftliche Experimente schließen äußere Einflüsse möglichst aus. Sozialwissenschaftler können das aber nicht immer. Deshalb müssen sie bei Quasi-Experimenten gegenprüfen, welche Effekte auf das Endergebnis denn die verschiedenen äußeren Einflüsse hatten.

      Dies hat hier nicht stattgefunden. Stattdessen wurden einfach sämtlich Entwicklungen ohne irgendeine Fundierung der Megaupload-Schließung zugeschrieben.

  7. Wer tatsächlich von der Vermutung ausgegangen ist, dass die Schließung von Megaupload die Erlöse von Kinofilmen steigert ist in meinen Augen schon nicht mehr Neutral, sondern von der Verwerterlobby beeinflusst. Dass viele Leute, die sich einen Film, ein Album oder ein Spiel illegal herunterladen diesen/dieses nie kaufen würden ist ja nun wirklich keine Neuigkeit mehr, genauso wie mögliche Werbeeffekte.
    Interessant finde ich eher, wie viele Kommentare hier einfach versuchen, die Studie zu diskreditieren und als falsch darzustellen. Da könnte man den Eindruck bekommen, die Verwerterlobby hat solche Angst vor der Realität, dass ihre Rufmordkampagne gegen Personen, die gegen ihre Interessen stehen schon bis in dieses Blog reicht.

  8. Ich glaube, man muss das Wörtchen „erlösneutral” in einem größeren Rahmen diskutieren: jenem Medienwandel, der dafür sorgt, dass die medial verbrachte Freizeit umverteilt wird. Was das Internet in Konkurrenz u.a. zum Kino so attraktiv macht, hat viel zu tun mit der „Ermächtigung”, potentiell „alles” sehen, hören und lesen zu können, jederzeit – was in der Praxis dann natürlich oft auf blosse Geschmacksproben hinausläuft. Dieses „Allmachtsgefühl” im Netz wäre nicht komplett ohne den Zugang zu Filmen. Der Zuschauer-Rückgang im Kino (und Fernsehen) hat also ganz bestimmt auch mit der bit-torrent-Praxis zu tun, aber eben auf eine ziemlich vermittelte Weise. Ich glaube es geht im Kern um eine Zeit-Ökonomie, und die weist eindeutig in Richtung Netz. Darüber kann man sich aus Richtung der „alten” Medien beklagen, aber das wird nichts helfen. Produktiver ist es aus meiner Sicht, sich über die Verteilung der ja sehr wohl in Richtung Netz fliessenden Gelder zu unterhalten. Und ich meine dabei nicht nur die Werbung (von der heute die Inhalts-Produzenten sehr sehr wenig abbekommen) sondern auch das Geld, das in Hardware, Software und Zugang investiert wird, Investments, die vielfach ohne die – unbezahlten – Inhalte nicht getätigt werden würden.

  9. Der beobachtete Trend hin zu höheren Kinoerlösen von Blockbuster-Filmen wird anhalten, egal ob alle Filehoster plötzlich zumachen oder noch viel mehr und bessere auf den Markt kommen.

    Alle (in erster Näherung) Filme sind spätestens bei Bluray-Veröffentlichung in hervorragender Qualität illegal breit verfügbar. Ins Kino geht man dann, wenn der Film vom „Kinoerlebnis“ (großes Bild, super Ton) profitiert. Und die Filme, die im Kino besser wirken, sind eben Blockbuster mit vielen Effekten und 3D. Einen kleinen Film mit guter Handlung kann ich mir auch als Camrip anschaun und bin immer noch begeistert. Und auch ohne Camrip: Über 10 Euro zahlt kaum jemand für einen „normalen“ Film, der im TV oder auf dem PC genauso gut wirkt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.