Interessenkonflikt? Europaabgeordneter ist gleichzeitig Anwalt für Patente und Urheberrecht

Klaus-Heiner Lehne ist CDU-Abgeordneter im Europaparlament, Mitglied im Fraktionsvorstand sowie Vorsitzender im Rechtsausschuss. Quasi nebenbei arbeitet er auch für die internationale Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing, wo er mehr als 120.000 Euro im Jahr verdient. Abgeordnetenwatch.de hat nun recherchiert, wie problematisch das sein kann.

Mit einer Zusammenfassung wäre es gar nicht getan, also einmal rüber zum Original-Artikel klicken, bitte. Nur ein paar Zitate:

Derzeit soll Lehne zum Beispiel maßgeblich an der Ausgestaltung eines Gesetzespaketes zum EU-Patentrecht beteiligt sein, laut Europäischem Parlament eines der “wichtigsten Themen” in diesem Jahr. Das Patentrecht gehört zu den Spezialgebieten von TaylorWessing.

Die Kanzlei sagt selbst:

Wir bieten Rundumberatung, sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich, für renommierte Buch-, Zeitungs- und Musikverlage, Verbände, Verwertungsgesellschaften, Sender, Film- und TV-Produzenten, Werbeagenturen, Sportvermarkter, Technologieunternehmen und Anbieter von Games und New Media, ebenso wie für Autoren, Künstler und Musiker.

Weiter Abgeordnetenwatch:

2010 fädelte TaylorWessing beispielsweise für die Sony-Tochter Sony Music Entertainment, einem der weltweit größten Plattenlabel, die Gründung eines JointVentures mit einem Konzertveranstalter ein. Kurz nach der Vollzugsmeldung per Pressemitteilung vom 23. August 2010 wurde vom Europäischen Parlament der umstrittene Gallo-Bericht über die bessere “Durchsetzung von Urheberrechten” gebilligt – mit der Stimme von Klaus-Heiner Lehne.

Auch uns ist er wiederholt aufgefallen. Wie jeder gute Urheberrechtsexperte hat auch er im Jahr 2007 auf seiner eigenen Homepage Urheberrechte verletzt. 2008 wurde er für den Negativpreis „Worst EU Lobbying Awards“ in der Kategorie Worst Conflict of Interest Award nominiert. Ebenfalls 2008 war er an vorderster Front gegen ein verpflichtendes europäisches Transparenzregister für Lobbyisten.

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22 Ergänzungen

  1. Was genau wird hier eigentlich kritisiert? Dass ein Experte in seinem Fachgebiet agiert, also eben ein Rechtsanwalt im Rechtsausschuss? Wäre nicht eher das Gegenteil fragwürdig, wenn also bspw. Mediziner oder Journalisten Wirtschaftsministerien leiten?

    Auch die leitenden Figuren beim AK Vorrat (Patrick Breyer) oder IGEL (Till Kreutzer) sind doch Rechtsanwälte. Besteht da etwa auch ein Interessenkonflikt?

    1. Von einem Abgeordneten, egal ob Landtag, Bundestag oder Europaparlament erwarte ich als Wähler aber, dass er nicht gleichzeitig noch Interessen vertritt, die den meinen komplett entgegen stehen.

      Und 120.000€/Jahr Nebenverdienst in seiner Anwaltstätigkeit sind in meinen Augen schon ein massiver Interessenkonflikt. Angesichts der Arbeitszeit, die dafür draufgehen muss, darf man auch die Frage stellen, ob dann überhaupt noch genug Zeit für Parlamentsarbeit bleibt.

      1. Deine Erwartung wird von der Realität anscheinend also – sagen wir mal – „enttäuscht“. Ist das das richtige Wort?

        OK. Als Vernunftwesen würde man es nicht bei der Enttäuschung belassen, man würde sich doch statt dessen auf die Suche machen, zu ergründen, wie es zu dieser Enttäuschung kommen konnte. Hier sind ja m.E. zwei Extreme möglich:

        1. Der Abgeordnete ist tatsächlich verpflichtet sich so zu verhalten, wie du es dir vorstellst. An diese Pflicht hält er sich nicht.

        2. Der Abgeordnete ist gar nicht verpflichtet, sich so zu verhalten, wie du es dir vorstellst. Das Problem liegt ausschließlich an deiner falschen Vorstellung.

        Jetzt kommst Du!

      2. Wie kommst du darauf, ich hätte das Wort „Interessenkonflikt“ nicht verstanden? Ich weise nur bescheiden darauf hin, dass NineOfThirteen sich den Interessenkonflikt gar nicht erklärt, also gar nicht ergründet, wie es zu ihm kommt.

    1. Amen!

      Ich gehe noch einen Schritt weiter und möchte gerne, dass sie ihren Arbeitsplatz während der Arbeitszeit nicht verlassen (ja, auch wenn jemand eine Rede hält, die man nicht hören möchte).

      1. Wenn die Abgeordneten nur noch „für das Parlament“ „arbeiten“, dann werden keine Richtlinien, Gesetze und Verordnungen mehr erlassen, die gegen die Mehrheit des Volkes gerichtet sind???

      2. Vermutlich schon, aber zumindest ist die Chance größer, dass solche Gesetze und Verordnungen dann zumindest weitaus seltener aus Eigeninteresse erlassen werden.
        Also wäre das zumindest schonmal ein erster Schritt in die richtige Richtung, zumindest solang, bis man einen praktikablen Weg findet, der das Volk und damit auch die Mehrheitsmeinung mit einbindet, also was das durchführbarer ist als Basisdemokratie und fairer als palamentarische Demokratie wie wir sie aktuell haben.

      3. aber zumindest ist die Chance größer, dass solche Gesetze und Verordnungen dann zumindest weitaus seltener aus Eigeninteresse erlassen werden.

        1. Gibt es denn überhaupt einen solchen Erfahrungssatz, der besagt, dass – wenn man die Parlamentarier quasi ins Parlament einsperrt – diese „Chance“ größer wird? Ich denke nicht, dass das so ist.

        2. Wenn die „angemessene Beteiligung aller gesellschaftlich relevanter Gruppen“ offizielle Staatsmaxime ist (das ist sie!), bist du dir wirklich sicher, dass das im Artikel beanstandete Eigeninteressen nicht ein solches ist, das gerade wegen der o.g. Staatsmaxime berücksichtigt wird? Ich denke, dass das der Fall ist, jedenfalls wenn ich mir durchlese, was dieser unser Staat hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung von Patenten und Urheberrecht offiziell verlautbart.

  2. Eine Information über Nebentätigkeiten und mögliche Interessenkonflikte kann nie schaden.
    Häme und Unterstellungen sind unnötig.

  3. Man sollte es wie bei Hartz IV machen. Nebeneinkünfte werden auf die Diäten angerechnet.

    1. Dann dürften sie ja sogar 100 Euro im Monat anrechnungsfrei hinzuverdienen. :)

      MfG Andy

  4. Kommt! Das war ca. 2005 die Titelseite vom Wallstreet Journal Europe. Lehne und sein Assistent im Parlament waren für „regulatory affairs“ im Brüsselbüro von Taylor-Wessig zuständig, mit der gleichen Adresse wie ein bekannter Software-Konzern übrigens.

    Ebenfalls hat Lehne beim Bericht zum Lobbyregister einen Änderungsantrag im Ausschuss eingebracht, der „anwaltliche Tätigkeiten“ ausnahm.

    Die ganze Sache ist also seit Jahren den Kollegen bekannt und wird von den Kollegen der CDU gedeckt, trotz der „zerotolerance“ von Jerzy Buzek. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Abgeordnete eben ein besonderer Fachmann ist, der von seinen Kollegen fraktionsübergreifend geschätzt wird, und deshalb auch Vorsitzender des Rechtsausschusses wurde. Es gibt schlimmere Leute im Parlament. Lehne ist für Düsseldorf im Parlament, einem der wichtigsten Orte für die Rechtsdurchsetzung von Patenten in Europa. Da ist es ganz klar, dass er die Interessen seiner Region vertritt. Häme ist ganz unnötig. Eher sollte man die Frage an die CDU stellen, warum sie diese Praktiken des Kollegen nach dem WSJE Artikel nicht unterbinden wollten.

    http://online.wsj.com/article/SB112051964696476902.html

  5. Aber den hier kommentierenden ist offenbar nicht bzw. hoffenttlich schon klar, dass einer der größten Mandanten von Taylor Wessing „Google“ heißt und sich gerade massiv mit offenem und verdecktem Lobbying GEGEN das Urheberrecht aufstellt….? Aber solange es gegen die Christdemokraten geht soll’s mir recht sein ,-)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.