BGH-Beschluss ein ‚Affront gegen die demokratischen Grundlagen des Grundgesetzes‘

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) per Beschluss den urheberrechtlichen Auskunftsanspruch auch bei nicht-gewerbsmäßigen Rechtsverletzungen zuzuerkennen (vgl. Auskunftsanspruch auch bei nicht-gewerblicher Urheberrechtsverletzung) sorgt immer noch für heftige Diskussionen, vor allem unter Juristen.

In einem längeren Blogeintrag setzt sich nun Oliver Garcia vom juristischen Informationsdienst dejure.org noch einmal eingehend mit der BGH-Entscheidung auseinander. Garcia spricht von „richterlicher Eigenmacht“ des BGH, weil dieser sich mit seiner Auslegung des §101 UrhG eindeutig gegensätzlich zur Intention des Gesetzgebers verhalten habe und schließt sich damit der Kritik von Udo Vetter und Thomas Stadler an der Entscheidung an. Als Beleg führt er Auszüge aus der Debatte des Gesetzesentwurfs an. So hieß es von Seiten der Bundesregierung (BT-Drs. 16/5048, Seite 49) u.a.:

Auch der in Absatz 2 geregelte Auskunftsanspruch gegenüber Dritten setzt voraus, dass die Rechtsverletzung im geschäftlichen Verkehr erfolgt ist.

Der Bundesrat (BT-Drs. 16/5048, Seite 53) vertrat allerdings die gegenteilige Auffassung, im Einklang mit der Interpretation des BGH:

Diese Voraussetzung, die dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen ist, würde dazu führen, dass der Hauptanwendungsfall des Auskunftsanspruchs gegenüber Dritten, die Verletzung des Urheberrechts im Internet, leerlaufen würde und die Rechtsinhaber schutzlos gestellt würden.

In einem zähen Aushandlungsprozess im zuständigen Rechtsausschuss einigte man sich in der Ausschußbegründung schließlich darauf, den Begriff des „gewerblichen Ausmaßes“ durch einen zweiten Satz in Absatz 1 des §101 UrhG genau zu definieren:

Satz 2 stellt klar, dass das einschränkende Merkmal „gewerbliches Ausmaß“ nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte aufweist. Für den Fall der Rechtsverletzung im Internet bedeutet dies, dass eine Rechtsverletzung nicht nur im Hinblick auf die Anzahl der Rechtsverletzungen, also etwa die Anzahl der öffentlich zugänglich gemachten Dateien, ein „gewerbliches Ausmaß“ erreichen kann, sondern auch im Hinblick auf die Schwere der beim Rechtsinhaber eingetretenen einzelnen Rechtsverletzung. Letzteres kann etwa dann zu bejahen sein, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird.

In der Bundestagsdebatte resümierte der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach schließlich in Vertretung für die Justizministerin (Wortprotokoll, Seite 2):

Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt. Bei bloßen Bagatellverstößen besteht dieser Anspruch also nicht.

Dass der beschlossene Gesetzestext die Voraussetzung einer „doppelten Gewerbsmäßigkeit“ – also der Rechtsverletzung wie der Dienstleistung des Internet-Providers – intendierte, wird letztlich auch an der Reaktion der Opposition von CDU/CSU deutlich, die ein erfolgloses Protestieren Argumentieren gegen diese Voraussetzung beklagte (Wortprotokoll, Seite 4):

Deshalb haben wir in den Beratungen dafür plädiert – denn das ist nicht zwingend durch die Richtlinie vorgegeben -, diese Anforderung zugunsten einer Stärkung des Auskunftsanspruches wegzulassen.

Auch in der Stellungnahme des Bundesrats wird ausdrücklich Bedauern geäußert, dass Gewerbsmäßigkeit ein Erfordernis für den Auskunftsanspruch darstellt und in einer abschließenden Sachverständigen-Anhörung wurde ebenfalls diese Interpretation des Gesetzes referiert.

Garcia kritisiert nun nach dieser Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens, dass der BGH sich mit seiner wortgetreuen Interpretation bewusst über die Intention des Gesetzgebers hinweggesetzt hat:

Er [der BGH, Anm.] kommt dabei zu einem durchaus schlüssigen, sachgerechten Auslegungsergebnis. Ein Auslegungsergebnis, das überzeugend sein würde, hätte man keine Kenntnis vom Gesetzgebungsverfahren.

Deutlich wird Oliver Garcia schließlich in seiner verfassungrechtlichen Einordnung der Entscheidung:

Die Entscheidung ist eine Grenzüberschreitung, ein Affront gegen die demokratischen Grundlagen des Grundgesetzes selbst. Es bedarf keiner großen Fantasie, um vorherzusagen, daß diese Entscheidung oder eine Entscheidung in ihrer Nachfolge auf eine Verfassungsbeschwerde hin vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird.

Er weist auch noch einmal daraufhin, dass es sich mit der Konkretisierung, was unter Gewerbsmäßigkeit in diesem Kontext zu verstehen ist, um einen Kompromiss gehandelt hat, weshalb das Ringen der am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten im Wortlaut eben durchaus – und anders als vom BGH behauptet – Niederschlag im Gesetzestext gefunden hatte. Alles in allem habe „der BGH damit die Bandbreite vertretbarer Meinungen“ verlassen und „einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ begangen.

Für Details und eine Reihe weiterer Argumente empfehle ich unbedingt den gesamten Beitrag von Oliver Garcia zu lesen.

Anmerkung: Danke an Oliver Garcia für Hinweise auf Unschärfen in meiner Zusammenfassung seines Beitrags. 

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2 Ergänzungen

  1. Zunächst war ich recht überrascht über das Urteil. Nachdem ich dann aber über den Wortlaut ausgelegt habe, kam ich zu dem selben Ergebnis. Die oben angeführten Gesetzgebungsmaterialen sind für mich nicht eindeutig. Entweder wurden gegensätzliche Positionen vertreten oder man kann sehr gut vermuten, dass nur über Abs. 1 gesprochen wurde, so etwa bei Herrn Hartenbach.
    Leider konnte ich mich bisher nicht intensiver mit dem Urteil auseinandersetzen. Mit der Bezeichnung eines völlig falschen Urteils bin ich aber zurückhaltend.

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