So ein Ziercke-Vortrag, wie geht der eigentlich?

Am vergangenen Mittwoch (16.11.2011) war der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke zum Thema „Internet- und Wirtschaftskriminalität“ zu Besuch bei der Konrad Adenauer-Stiftung in Bremen.

Seriös und konservativ

So ein Vortrag von Jörg Ziercke, wie geht der eigentlich?

Zuerst muss ihn mal einer einladen. Das macht am besten eine seriöse Institution. Und im Fall der Konrad Adenauer-Stiftung heißt seriös auch noch konservativ. Das Publikum ist dann auch seriös und konservativ. Und konservativ heißt in dem Fall: Etwa sechzig. Und da sind die Junge Union und die Jungen Liberalen schon eingerechnet.

Belastbare Zahlen

Jörg Ziercke sagt dann, ganz offen, er sei ja ein Freund des Internets. Ohne das Internet könnten wir nicht leben. Aber natürlich braucht es ein Gefahrenbewußtsein und Vorsichtsmaßnahmen gegen die modernen Gefahren des Internets.

Was dann folgt, sind harte, belastbare, verlässliche Zahlen. Auch Zahlen aus der PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik).

Die Wirtschaftskriminalität (WK) macht etwa 1-2% der Gesamtkriminalität aus. Sie verursacht aber über 50% der Schäden.

Trotz einer über das Internet immer globaler werdenden Wirtschaftskriminalität ist doch die internationale Rechtshilfe alles andere als einfach. Neun Monate dauere es, bis die internationale Rechtshilfe nach Südkorea zu den Verdächtigen kommt. Bei Steuer- und Finanzdelikten stellten die Kollegen im Ausland gar oft überhaupt keine Ermittlungen an.

Ein Drittel der WK wird mittlerweile mit dem „Tatmittel” Internet begangen, dabei verzeichnet man in den vergangenen fünf Jahren in etwa eine Verfünffachung der Fälle.

Und der Schaden der rund 5000 Fälle von Phishing im vergangenen Jahr belief sich auf rund 21 Millionen Euro.

Dass die PKS nur eine Anzeigenstatistik ist, also nichts darüber aussagt, welche der Anzeigen auch zu rechtskräftigen Verurteilungen geführt haben, und dass sie natürlich auch nur das Hellfeld abdecken können, verschweigt er gar nicht. Was er nicht sagt, ist, dass die PKS auch zur Argumentation für ausgeweitete Befugnisse des BKA herangezogen wird, obwohl sie in vielen Fällen gar keine Aussage zulässt1).

Der Kriminal-Tunnelblick

Er berichtet dann aus dem Blick des langjährigen Kriminalisten. 1968 begann der 1947 in Lübeck geborene Jörg Ziercke die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Kriminalpolizei, leitete unter anderem die Kripo Neumünster, wechselte ins Innenministerium nach Kiel und leitete später die Landespolizeischule in Schleswig-Holstein.

So will man ihm, der eloquent, sympathisch und kompetent erzählt, gar nicht verübeln, dass seine Perspektive von so viele Bösem geprägt ist.

Drei große Trojaner-Familien teilen sich, zugeschnitten auf unterschiedliche Banken, die Opfer untereinander auf. Er erläutert die Schritte, wie Menschen mittels Phishing und Schadsoftware dazu gebracht werden, Geld an Kriminelle zu überweisen. Das Symbolbild des Bank-Servers trägt die deutsche Flagge, das des Kriminellen die russische.

Mit Scareware und Ransomware werden Private wie Firmen erpresst, über gestohlene Super User Passwörter distributed Denial of Service-Attacken gestartet und Peer-to-Peer-Botnetze betrieben, Hydren gleich. In einer Underground Economy wird Software zur Smartphone-Infection verkauft.

Man erinnere sich, das Publikum ist im Schnitt 60 Jahre alt.

Vorratsdatenspeicherung

Wenig überrascht dann, dass auch die Vorratsdatenspeicherung (VDS) schließlich wieder auf den Tisch kommt. Man müsse doch herausfinden, wer zum Kreis der Schwerstkriminellen gehöre.

Die VDS sei ähnlich wie das Kraftfahrtbundesamt. Wenn man geblitzt wurde, stellt die Polizei die Anfrage nach Flensburg, erst dann wird Auskunft erteilt. Bei der VDS lägen die Daten außerdem nicht in der Hand des Staates.

„Eine Gesellschaft nur unter dem Sicherheitsaspekt zu sehen, widerstrebt auch mir.“

Aber ein Überwachungsstaat seien wir nicht. „Die Nazis“, denen man ja erst nach deren Ableben auf die Spur kam, seien da vielleicht ein Hinweis.

Überhaupt könne man bei toten Tätern ja nur rückwirkend aufklären – ein „Quick Freeze“ bringe da nichts.

Als er sich an einer Stelle kurz verspricht und Bundes- statt Staatstrojaner sagt, korrigiert er sich: „Der Bundestrojaner ist ja gar nicht erkannt worden.“

 

1) So wird zum Beispiel die Operation Himmel zur Argumentation herangezogen, bei der 2007 12.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, von denen der weitaus größte Teil dann wieder eingestellt wurde.

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22 Ergänzungen

  1. Schmissige Überschrift, geht schonmal gut los. Weiter gehts mit dem Feindbild: Polizeicheff, konservative, (neo)liberale und natürlich alte. Letzteres muss auch zweimal genannt werden, Studenten (Zielgruppe!) wissen warum. Dann zum Text, natürlich ein Freund des Internets, kein Überwachungsstaat (hihihi), der Leser weiß was er davon zu halten hat. Dazwischen andere Ausschnitte, unkommentiert. Der Text wirkt nur beim Leser.

    Besser als Springer ist man hier auch nicht.

    1. „Besser als Springer ist man hier auch nicht.“ … die Springer Presse schreibt zumindestens zusammenhängende Texte ;)

      1. Die Springerpresse und ihre zuammenhängenden Texte: …aber jedenfalls zu kurz und jedenfalls sehr, sehr oberflächlich recherchiert und durchaus nicht immer wahrheitskonform… aber schreierisch!!!

    2. Der Artikel von Herrn Raible ist ausgezeichnet. Es geht ihm nämlich primär um die Offenlegung der Methodik und Argumentationsweise Zierckes. Auswahl des Publikums, Schwerpunkte bei den angesprochenen Themen richten sich in Zierckes Fall eben nicht an ein kritisch hinterfragendes Publikum, sondern an ein tendenziell Obrigkeitsgläubiges und eher uninformiertes Klientel. Demokratie will aber gar kein blindes Vertrauen in staatliche Bedienstete und deren Handeln, sie erfordert kritikfähige Mitbürger. Demokratie funktioniert nicht, wenn sich die Verantwortlichen durch bequemes Abnicken und Mitlaufen, ihrer Verantwortung entziehen.

  2. Das Feindbild Polizeichef scheinst du zu projizieren, von neo/liberalen steht da nix und die alten sind zwei Mal erwähnt, weil Ziercke da mit Buzzwords um sich wirft, um das Internet noch viel mysteriöser und gefährlicher scheinen zu lassen.

    Den „kein Überwachungsstaat“-Witz erkläre ich dir nicht.

    Ich fand ihn insgesamt sehr sympathisch, lange keinen so guten Vortrag gehört. Das Bild, das ich bisher von ihm vermittelt bekommen habe, ist genau das, was du mir unterstellst, von ihm zu haben und gegen das ich angeschrieben habe.

    1. Kleine Anmerkungen: Herr Ziercke ist ebenfalls über 60.
      Welche altersspezifische Darstellungsweise dieser Materie würdest du denn vorschlagen? Gespannt wäre ich auch auf deine seniorengerechten Übersetzungen der besagten Buzzwords – immerhin bin ich auch schon fast 50.
      Unterstellst du dem Publikum, ohne jeden Sachverstand zu sein, weil sie eine bestimmte Altersgrenze überschritten oder ein bestimmtes Parteibuch haben?
      Schön, wenn Diskussionen weltoffen und fernab jeglicher Klischees geführt werden…..

      1. Wieso kriege ich jedes Mal, wenn ich was über Altersgruppen sage, ein (beinah-) Gegenbeispiel genannt? Klischees in Zahlen

        Es braucht keine seniorengerechten Übersetzungen von Buzzwords, wenn man sie nicht aufgereiht benutzt, ohne entsprechenden Kontext zu liefern, um sie einordnen zu können.

        PS: Du bist 75,8%!

      2. Und wir werden zahlreicher – spätestens, wenn du in das Alter kommst ;o)

        Meinem Eindruck nach hat Ziercke aber versucht, mit Falbeispielen u.ä. die besagten Begriffe zu veranschaulichen und sie auch den „Alten“ zu erläutern. Insofern finde ich deinen Vorwurf immer noch unsachlich. Wie anders soll er denn seine Einstellung – ob man sie nun teilt oder nicht – begründen?

      3. Okay, es ist provokativ verkürzt. Er hat zwei anschauliche Beispiele gemacht. Dann irgendwann brachte er diese Aneinanderreihung von Buzzwords ohne sie in Kontext zu setzen, jedoch war dieser Teil nicht repräsentativ für seinen restlichen Vortrag.

      4. @Schlehmihl Top-Meinung, die Du da hast über die sogenannt „Alten“!!! Trifft absolut zu!!! Die ersten IBM-Leute und Siemens-Leute, die computergesteuerte Steuerungsysteme für AKW entwickelten, sind heute zwischen 70 und 90 Jahre alt und sind heute noch à jour in diesem Thema, sofern sie nicht krank sind, wenngleich pensioniert!!! Heutige IT-Studenten sind demnach die 3. Generation nach diesen…

    2. Das du mir unterstellst den Witz nicht verstanden zu haben ist in anbetracht deiner Antwort schon irgendwie komisch. Typisches smartest-guy-in-the-room gehabe, „steht doch garnicht da, du bist blöd111“, entweder lügst du gerade oder dein suggestives schreiben hat öfter mal Aussetzer.

      Damit du nicht schon wieder rumraten musst:
      Ein paar Reizworte für die Kernleserschaft (Alte etc.), ein paar zusammenhangslose Zitate und darauf folgend, viel sagendes Schweigen. Das ist dein Artikel und das hab ich kritisiert. Aber Substanz is eher sone Rentnersache, oder?

  3. Ich will nicht mal auf dem Text herum hacken, aber der Titel hatte in mir dann doch Erwartungen auf eine tiefere Analyse geweckt.
    Dass zum Beispiel in der Zeit, in der wir die VDS hatten, die Aufklärungsquote nur marginal gestiegen ist (und das war auch nicht bei den „schwersten“ Verbrechen, mit denen die Einführung der VDS mal gerechtfertigt wurde) halte ich angesichts der immer wieder erhobenen Forderung, die VDS doch wieder einzuführen, für erwähnenswert.
    Ich bin bereit zu glauben, dass Herr Ziercke und andere VDS-Befürworter wirklich keinen Überwachungsstaat wollen, aber das wäre nicht der erste Fall von, äh, optimistischer Technikfolgenabschätzung.
    Meine Mutter, selbst Kriminalbeamtin, hat mal in einer Mordkommission mit ermittelt und irgendwann danach beim Abendessen gemeint, wie viel einfacher die Arbeit in solchen Fällen wäre, wenn man eine DNS-Datenbank von allen Menschen im Lande hätte, am besten von Geburt an. Meine Mutter ist auch keine Überwachungsfanatikerin, und als ich ihr dann erklärt habe, was man mit so einer Datenbank noch alles anstellen könnte, hat sie mir auch sofort zugestimmt.
    Und dass vorhandene Datenbestände Begehrlichkeiten wecken, konnte man ja bei den Mautdaten schon beobachten.

    Ich finde allerdings bemerkenswert, dass Herr Ziercke da anfängt mit Buzzwords um sich zu schmeißen und nicht einer mal aufsteht und nachfragt, was denn z.B. eine DDOS-Attacke ist (und ich halte für eher unwahrscheinlich, dass das gesamte Publikum das wusste).

    1. Es geht international dennoch nicht ohne Datenpeicherung in der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung!!! Man holt sich halt die Daten, die man seitens Polizeien benötigt, ganz einfach im Ausland, wo Gesetze dies zulassen und wird seitens Polizeien, Geheimpolizei und Sicherheitsbehörden immer mehr international zuammengehen, um länderübergreifend Ermittlungresultate auszutauschen. So einfach ist das! Seid Ihr denn eigentlich blöd, Ihr Gegner der Datenspeicherung, gar kein Geetz zu entwickeln, aus Sturheit, anstatt das allerbeste Gesetz zugunsten der Menschheit?!? Wollen wir wirklich allesamt US-gesteuert bleiben, anstatt selber zu denken?!?

  4. Guter Artikel, alles Wichtige kommt gut rüber.

    Der sympathische Demagoge von nebenan. Erinnert auch an den Spruch vom Hammer und den Nägeln. Jedenfalls kann einem ganz schön mulmig werden, wenn Leuten wie Ziercke oder Friedrich die Macht überlassen wird und dem Stimmvieh in den Parlamenten. Und dazu muß man eben kein Krimineller sein. Es ist letzten Endes immer nur das Niveau von Eduard Zimmermann, auf dem diese Leute operieren, Fernsehen für Rentnerin Erna.

  5. Jörg Ziercke sagt dann, ganz offen, er sei ja ein Freund des Internets.

    Streiche „Jörg Ziercke“, ersetze „Erich Mielke“.

    Streiche „Freud des Internets“, ersetze „Ich liebe doch alle Menschen“.

    Solange das BKA und die konservative Politik ihre bekannte und trotz aller Beteuerungen internetfeindliche Haltung nicht aufgeben, ist jegliche Debatte mit denen um Netzpolitik und Bürgerrechte in etwa so als würden drei Füchse und eine Gans darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt.

  6. Ich habe den Ziercke schon während der Zensursula-Debatte in Mainz bei einer Podiumsdiskussion gehört (okay, nachträglich auf Podcast, also nicht live, aber im Großen und Ganzen dasselbe).

    Mit dem Mann geht es mir wie mit vielen Anderen, die für die VDS und mehr Regeln im Internet argumentieren. Unterm Strich ist ja klar worum es geht. Die VDS brauchen wir, damit die Medienindustrie auch Rückwirkend wirklich jeden Raubkopierer vor Gericht zerren kann und da nicht zurück stecken muss, weil überlastete Richter und unterbesetzte Polizeidienststellen die Ermittlungen und den eigentlichen Prozess in die Länge ziehen. Aber weil man dem Bürger das so direkt nicht sagen kann, wird uns das als Mittel zur Terrorabwehr oder Waffe gegen Kinderpornographie verkauft. Soweit zur Medienlobby.

    Bei Leuten wie dem Ziercke bin ich mir nie sicher, ob der wirklich so plump argumentiert und gute Argumente ignoriert, die sachlich richtig und technisch sogar für Laien verständlich sind, weil er dafür nicht die nötige Intelligenz aufbringt und sich auf sein Ziel versteift („Wir müssen VDS machen WEIL ICH DAS WILL! ARRGH!“). Oder ob der tief in seinem Inneren weiss was Sache ist und sich windet, weil er ganz genau weiss, was für einen Mist er stellenweise erzählt, aber es tun muss, weil er dieses Ziel „Einführung VDS“ erreichen muss, um jeden Preis.

    Bei Ersterem stellt sich mir die Frage: Wie konnte dann ein solch unintelligenter Mensch auf diese Position kommen? Ich halte das für unwahrscheinlich, dass der Ziercke dumm ist und sich deshalb besseren Wissens und Expertenrat so versperrt.

    Bleibt also nur noch der zweite Punkt: Egal wie sinnlos eine VDS ist, der Ziercke MUSS sie einführen. Selbst wenn er sich dabei zum Deppen der Nation macht, weil er in Vorträgen und bei Argumentationen nur wirren Mist redet (den er auch selbst als solchen erkennt).

    Insofern: Was zwingt Ziercke dazu das zu tun. Wurde er gekauft? Und was ist mit den anderen Funktionären? Dem Bosbach, der ständig von der VDS faselt? Sind die dumm? Sind die gekauft? Was treibt diese Menschen dazu wider besseren Wissens so etwas zu tun?

    Diese Menschen regieren uns. Diese Menschen lenken unsere Exekutive. Leute, DAS ist es was mir so fürchterlich Angst einjagt! Weil ich nicht verstehe, was diese Menschen zu ihrem Tun drängt oder motiviert und ich das Schlimmste befürchte. Nämlich, dass wir nur noch von Lobbyisten gelenkt und regiert werden, die im Hintergrund die Fäden ziehen…

  7. Die Aufarbeitung der 10jährigen Mordserie einer faschistischen Terrorzelle zeigt glasklar das Totalversagen von BKA, Bundes- und Landesverfassungsschützern sowie des Bundesinnenministerium. Ziercke und Friedrichs wollen mit ihrem verfassungswidrigen Überwachungsmethoden nur von dem eigenen Versagen und der eigenen Unfähigkeit ablenken. Sie gehören schon aus Gründen politischer Hygiene als Verfassungsfeinde aus ihren Ämtern entfernt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.