Revolutionen auf der re:publica: Country + Internet = Awesome?

Welches Thema könnte im Jahr der erfolgreichen Revolutionen von Ägypten und Tunesien stärker auf der re:publica vertreten sein als die Diskussion über Facebook-Revolutionen und Clicktivism? Aber der Ton scheint sich gewandelt zu haben: An Stelle des Aufeinandertreffens von Cyberpessimisten (Evgeny Morozov) und Internet-Utopen (Jeff Jarvis) im letzten Jahr scheint die Erkenntnis getreten zu sein, dass gesellschaftliche Hintergründe wichtig sind.

Wie Cyrus Farivar, Autor des bald erscheinenden Buches „The Internet of Elsewhere“, in der Einleitung zu seinem gleichnamigen Vortrag sagte: „wenn das Internet an einem Ort ankommt, trifft es auf das, was schon da ist“. Und in unterschiedlichen Kontexten produziert es unterschiedliche Folgen. Die simple Gleichung „Country + Internet = Awesome“ sei so nicht zu halten.

Farivar beleuchtet in seinem Buch vier Länder mit ganz unterschiedlichen „Internet-Geschichten“: Von Südkorea, dem Land mit dem schnellsten Internet, der höchsten Breitband-Abdeckung und der größten eSport-Liga der Welt, bis zum Senegal, in dem das Internet trotz wirtschaftlicher und politischer Stabilität Schwierigkeiten hat, Fuß zu fassen.

Aber was macht die Unterschiede aus, die den Einfluss des Internets formen? „Moderne Revolutionen sind zivilgesellschaftliche Revolutionen“, formulierte Ludger Schadomsky den Originaltitel einer von Geraldine de Bastion moderierten Runde („Modern Revolutions are Digital Revolutions“) um: ohne funktionierende Zivilgesellschaft würden sich die Revolutionen in Nordafrika nicht auf den Rest des Kontinents ausbreiten.

Widerspruch kam von berufener Stelle aus dem Publikum: Noha Atef, die später selbst „ägyptische Social Media-Geschichten“ erzählen wird, glaubt nicht, das NGOs wichtig sind, um Straßenproteste anzustoßen. Erst jetzt, nach der Revolution, müssten zivilgesellschaftliche Institutionen aufgebaut werden, um die alten, vom diktatorischen Regime korrumpierten Instanzen zu ersetzen.

Vielleicht können soziale Medien aber auch ohne Revolution helfen, die Zivilgesellschaft zu stärken. Aus Südamerika berichteten Rosana Hermann und Vanina Berghella von brasilianischen Bloggern, die eine Konferenz organisierten, um soziale Medien in den benachteiligten Teil Brasiliens zu tragen – und dort wichtige Themen wie den noch immer existierenden Rassismus in der brasilianischen Gesellschaft ansprachen.

Solidarität überschreitet – getragen von Twitter und Facebook, aber auch Satelliten-TV wie Al Jazeera – nationale Grenzen. „Was man immer wieder hören konnte war: ‚wir sind alle Tunesier'“, berichtete Amira Al Husseini. „Und dann: ‚wir sind alle Ägypter'“. Und das nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit: Durch den direkten Kontakt über Twitter hätten sich Brasilianer während der „Grünen Revolution“ mit den Iranern verbunden gefühlt – und sich zum ersten Mal für das weit entfernte Land interessiert.

Vielleicht ist die tatsächliche Social Media Revolution, dass sich Menschen über frühere Grenzen hinweg zusammenfinden. In Kenia, Tanzania und Uganda, berichtete Ludger Schadomsky, habe der in allen drei Ländern operierende Mobilfunkanbieter Safaricom dazu beigetragen, dass sich eine gemeinsame ostafrikanische Identität entwickelt.

Wenn auf der re:publica über Revolutionen geredet wird, dann ist also viel von Menschen die Rede. Und wenn man Cyrus Farivar folgt, dann sind es auch einzelne Akteure, die technologischen Fortschritt vorantreiben – wie etwa der südkoreanischen Informatik-Professor, der seine Studenten dazu anhielt, als Entrepreneure ihr Land voranzubringen.

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17 Ergänzungen

  1. Facebook-Revolution? Eher wie Facepalm-Revolution, binichrichtig? Die Sache mit Facebook als Freiheitsbringer ist eine äußerst gefährliche Aussage. Ich halte es gut möglich, dass es eine bewusst gelenkte PR- und Imagekampagne von Facebook gibt um genau dieses Image zu erzeugen und von Facebooks „exzellenten“ Datenschutz abzulenken.

    Letztendlich sind Zuckerberg und seine Riege auch nur durchgeknallte Berber, welche der Macht und Gewinnmaximierung Sklaven sind.

  2. Ein Wort: Hipster.

    Die jetzt ein auf groß machen haben nicht mal ansatzweise bei der „Revolution“(die noch nicht mal beendet ist!) geholfen. Die wirklichen Hacktivisten prahlen wenigstens nicht so großmaulig mit rum. Klar ist Facebook ein Weg gewesen, aber eben auch nur ein weg. Ach egal. Die Alphablogger wissen ja eh wieder mehr, genau wie diese komische „Zeitung“ mit den vier Buchstaben. hurr

  3. Diejenigen, die von Facebook-Revolutionen sprechen übertreiben. Diejenigen, die abwinken unterschätzen den Einfluss sozialer Netzwerke. Selten lag die Wahrheit mit größerer Selbstverständlichkeit in der Mitte. In repressiven Staaten leistet das Internet unschätzbare Dienste sich Informationen zu beschaffen, soziale Netzwerke ermöglichen – oder erleichtern es zumindest – sich zu organisieren (wie übrigens auch Handys. Warum eigentlich nicht: Die SMS-Revolutionen?).
    Auf der anderen Seite müssen überhaupt erst einmal die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür da sein, dass man ein Interesse daran hat sich zu informieren oder zu organisieren.
    Und wenn die Diktatoren fallen, dann sind die Bilder fast identisch: Iran 1979 und Ägypten 2011, da hat sich nur die Mode geändert.

  4. Haben die Bullen in den s.g. befreiten Ländern nicht gerade wieder Demonstranten abgeknallt? In Ägypen.

    Die werden in zwanzig Jahren keine Demokratie herstellen und einen Rechtsstaat schon gar nicht. Ich will jetzt nicht zynisch werden, wie ich es gerne bin, daher schreibe ich nicht, was ich denke.

    Dauergast

  5. E. Morozov wäre wohl der erste, der zugäbe „dass gesellschaftliche Hintergründe wichtig sind“… und dann noch darauf hinweisen, dass das Internet in repressiven Staaten unschätzbare Dienste auch für die Seite der Repression leistet.

  6. @anonym („Übrigens: Gegen “Internet-Utopen” hilft nur Aufklärung durch Werke wie The Net Delusion.“)

    … oder auf Social Media in der BRD bezogen: „Neue Demokratie im Netz. Eine Kritik an den Visionen der Informationsgesellschaft“ (http://tinyurl.com/3jdxu3e) >> Cooles Buch, vor allem mit vielen „harten“ statistischen Daten, kann ich nur weiterempfehlen…

  7. Re:publica Video-Mitschnitte. Hallo zusammen. Ist ja toll, wie viele Sponsoren die Re-Publika hatte, aber ich kann leider auf der Homepage keine Informationen zu Video-Mitschnitten finden. Wäre doch schade, wenn diese interessanten Vorträge und Diskussionen nicht der Netzgemeinde zur Verfügung stünden.

    Ist da was geplant?

  8. Facebook und Twitter sind ja eigentlich auch Instrumente ganz nach Merkels Auffassung von Demokratie der Wenigen. Es wird die Herrschaft einer Minderheit mit Geld oder Macht durch die Herrschaft einer Minderheit mit (Internet-)Zugang ersetzt.

    Was wollen denn die Ägypter auf dem Land ohne Internetzugang? Man weiss es nicht. Demokratie ist das jedenfalls auch nicht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.