Neues vom Internetführerschein: Zeitungsverleger erklären das Internet

Deutscher Jugend Internetpass (Symbolbild)
Deutscher Jugend Internetpass (Symbolbild)*

Erinnert sich noch jemand, wie wir uns letzten Herbst über den abgestuften „Medienkompetenzführerschein“ in Nordrhein-Westfalen lustig gemacht haben? Zugegeben, das war billig. Tatsächlich sind in der Debatte, wie wir den Sprung über den digitalen Graben schaffen, bisher noch viele Fragen unbeanwortet. Und ja, die Zeit drängt durchaus.

Diskussionen zum Internetführerschein oder vergleichbare Qualifikationsnachweise drehen sich in der Regel um zwei scheinbar gegensätzliche Pole: Auf der einen Seite die – nicht nur für die digitale Gesellschaft – essenstielle Fähigkeit zu Abstraktion bei der Problemlösung. Auf der anderen Seite das vgl. stumpfe Abprüfen normierten Faktenwissens zwecks besserer Vergleichbarkeit der Prüflinge.

Nun ist das Abprüfen normierten Faktenwissens nicht pauschal schlecht. Eine gemeinsame Basis bzw. ein Regelwerk, auf das sich alle an einem Prozess Beteiligten einigen können, erleichtert Dinge wie Kommunikation und Zusammenarbeit schließlich ungemein. Spätestens aber, wenn über das normierte Faktenwissen ein ideologischer Wertekanon etabliert oder gefestigt werden soll, stellt sich die Frage der Definitionshoheit.

Genug geschwurbelt. Stefan Niggemeier hat gerade ein schönes Beispiel aus der Praxis. Es geht um eine Unterrichtseinheit zum „Medienführerschein” der Bayerische Staatskanzlei:

Unter dem Vorwand einer guten Sache, nämlich Kinder dafür zu sensibilisieren, dass nicht jeder Information zu trauen ist und dass Quellen unterschiedlich vertrauenswürdig sind, erzählt der bayerische „Medienführerschein” ihnen das Märchen von der Überlegenheit gedruckter Nachricht. Es geht nicht nur um den Kontrast professionell ersteller journalistischer Informationen zu privaten Blogs — eine zumindest theoretisch sinnvolle Gegenüberstellung […] Die Unterrichtsmaterialen mischen das konsequent mit dem behaupteten qualitativen Unterschied zwischen Print und Online.

Herausgeber der Unterrichtseinheit ist der Verband Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV).

*Vielen Dank für die Illustration an Karl Bihlmeier. Karl Bihlmeier? Ja, genau, der Karl Bihlmeier, Vater von Hermann, dem User!

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17 Ergänzungen

  1. Was auf gestorbenen Bäumen steht hat einfach per se mehr Wahrheitsgehalt als das was im Internet steht wo jeder Schmierfink drin rumschreiben kann.

  2. Nun, so wird natürlich aus der geforderten Medienkompetenz im CSU Netzpapier ein Schuh.

    Merke: Man findet immer eine Lücke schändliches hinter einem guten Text zu verstecken :o)

  3. ein artikel in der print ausgabe vom spiegel, taz, faz oder ftd ist seriöser als in der online-version? aha, heute was dazu gelernt.

  4. @6: Sowas dachte ich auch gerade.
    Um den Ball mal mit bayrischer Polemik weiterzuspielen:
    Hab ich gewonnen, wenn ich eine eigene Zeitung herausbringe und diese dann mit der Onlinepräsenz der Zeit, Sueddeutsche oder sonstiger vergleiche?

  5. Medienführerschein? Was soll das sein? Eine mißglückte Satire? Und wann machen so Leute wie Kauder, Bosbach (und wie sie alle heißen) ihren Medienführerschein? Und werden sie alle durchfallen?

  6. @4: oops, das kommt dabei raus, wenn die Artikel nicht zu ende gelesen werden. *g*

    Nach dem Computerführerschein jetzt also ein Medienführerschein. Macht doch Sinn, oder? ;-)

  7. Fazit: Ansatz OK, Umsetzung mangelhaft.

    Ich hoffe, Kinder und Lehrer schauen genau hin, entdecken dessen kleines Logo auf der Titelseite und denken sich ihren Teil, was von dieser Printpropaganda zu halten ist.

    Warum befürchte ich nur, dass sie das mit dem, was sie da beigebracht kriegen, nicht tun werden.

    Das geht besser. Aber ich denke, wir sollten auch selbst etwas tun, statt nur über die Mängel anderer zu lamentieren.

    Beispielsweise könnten wir so etwas tun: Lehrbuch zur Medienkompetenz
    Kommentare sind jederzeit gerne gesehen.

  8. @Anonym: Nein, das ist keine Satire. Die Landesregierungen wollen den Nachwuchs so für das Internet und die neuen Medien qualifizieren (bzw. durchnormen).

    Siehe dazu auch den oben verlinkten Hinweis auf die Pläne hier in NRW.

    Wären solche Qualifizierungsnachweise (z.B. die ECDL, nach eigenen Angaben „hersteller- und produktunabhängig“, in der Realität ein Microsoft-Klickkurs) in manchen Berufen (bzw. für Berufseinsteiger oder Umschüler) inzwischen nicht verpflichtend, könnte man die Sache ja noch locker sehen (Gut, ein oder zwei weitere Generationen als bildungspolitischer Kollateralschaden, aber hee …).

    Meine Sorge (und wohl auch die von Jürgen Ertelt) ist aber eine ganz andere: Es wird – wenn überhaupt – beim Abprüfen des normierten Faktenwissens bleiben (Pflicht erfüllt!).

    Viel wichtiger wäre aber eine Ausbildung, bei der nicht Faktenwissen („Welche Schritte muss ich in welcher Reihenfolge abarbeiten, um in Word 2010 einen Serienbrief zu erstellen“), sondern OS- und Plattform übergreifendes Grundlagenwissen vermittelt wird. Dafür wird es – absehbar – wieder nicht reichen.

    Tja, und spätestens, wenn, wie im vorliegenden Fall, dann noch einzelne Module und Unterrichtseinheiten im Rahmen von „public–private partnerships“ durch Industrie- oder Lobbyverbände bereitsgestellt werden, darf man sich als zwangsbeglückter Jugendlicher fragen, ob man nicht eine bessere Ausbildung verdient hat.

  9. @13 Jörg-Olaf Schäfers:
    Genau deshalb denke ich, dass wir etwas tun müssen. Ansonsten wird es auch weiterhin nur solches Material für die Schulen geben. Und dann feiern unsere Politiker ihr Engagement für die Medienkompetenzförderung, klopfen sich auf die Schulter wie fortschrittlich sie doch sind und die Lobbyverbände freuen sich auch. Ein Gewinn für alle – nur nicht für die Schüler.

  10. cross-commenting / zuvor same bei Niggi
    ———————————

    Ich hatte das Thema bereits im Oktober 2009 gefunden und mal bei den pädagogischen Instituten angerufen, die vier der fünf Teile des Gesamtwerkes für die bayrische schulische Medienbldung entworfen haben.

    Keine der von mir sowohl telefonisch als auch auf den Münchner Medientagen 2009 angesprochen Institutsvertretern äußerte sich positiv über die radikalen Einmischungen seitens des Verbandes Bayrischer Zeitungsverleger. Abwinken war noch die freundlichste Reaktion.

    Dass das Machwerk des VBZV überhaupt in einer Sammlung von Schulungsmaterialen auftaucht, die ansonsten von renommierten Pädagogen entworfen wurde, ist von allen Befragten als klare Lobby-Einmischung in die Bildungspolitik gesehen worden.

    Ich hatte damals aus Zeitgründen (und weil ich nicht blogge, shame on me) die Sache nicht weiterverfolgt bzw. in die crowd gegeben. Nur an eine zufällig anwesende und interessierte FDP-Abgeordnete habe ich die Basisinfo weitergegeben. Tja. Mein Tag hat auch nur 24h, sorry.

    Wer mal ein paar Text-Snippets und Fotos haben will, um zu sehen wie schamlos stolz die Lobbyisten auf ihre Indoktrinationsarbeit sind, scrolle auf http://www.vbzv.de/veranstaltungen/kinderpresse/ mal bis zu der Überschrift „Zur Einführung des „Medienführerschein Presse“ des VBZV hat am 26.10.2009 eine Kinder-Pressekonferenz im Bayerischen Landtag stattgefunden”

    Neben aller Kritik am Inhalt dieses Pamphlets ist die politische Frage, wie es dem VZBV gelingen konnte in die Schulbildung unserer Kinder über offzielle Kanäle einzugreifen.
    Hierzu sollten sich die politisch Verantwortlichen erklären. Ich bin mir sicher, dass es, zumindest inoffiziell, einige detail-informierten Unterstützer geben würde dafür.

  11. Na wenn diese Aktion mal nicht ein Verstoß gegen das Leistungsschutzrecht der Lehrenden ist. Wer Zynismus findet, darf ihn gerne weitergeben.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.