Mehr Zensur durch Ausweitung der Internetsperren in Frankreich

In Frankreich kam Ende letzter Woche ein Vorschlag zutage, der es einer Reihe französischer Behörden ermöglichen soll, Internetsperren und -filter ohne Richterbeschluss anzuordnen.

Es handelt sich hierbei um einen Verordnungsvorschlag der Regierung, der die Umsetzung von Artikel 18 des „Gesetzes für die digitale Wirtschaft“ (LCEN) definiert. Nach Artikel 18 LCEN kann jegliche Art von Aktivität im Netz „eingeschränkt“ werden, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuhalten oder die innere Sicherheit, Minderjährige, das Gesundheitswesen, die Verbraucher etc. zu schützen. Diese Einschränkung kann auf alle Personen, Dienste oder Unternehmen angewendet werden, die „E-Commerce“ betreiben – wobei der Begriff „E-Commerce“ im Text so definiert ist, dass er alle Personen meint, die Dienste oder Inhalte im Internet anbieten – das heißt also das komplette Internet.

Der Verordnungsvorschlag erklärt nun genau, wie gesperrt werden soll und wer sperren darf. Laut Artikel 1 des Vorschlags sollen sich künftig auch Ministerien des Art. 18 bedienen dürfen, die sich eigentlich gar nicht mit Fragen der Internet-Regulierung befassen, und zwar: Das Verteidigungs-, das Justiz-, das Innen-, das Wirtschafts-, das Kommunikations- und das Gesundheitsministerium, das Ministerium für digitale Wirtschaft sowie das französische Amt für Sicherheit in der Informationstechnik (ANSSI). Laut Artikel 2 des Vorschlags gibt es drei Etappen:

Zuerst wird der Betreiber einer Seite ermahnt, die Veröffentlichung einzustellen, den Zugang zum Inhalt zu sperren oder ganz vom Netz zu nehmen,
Passiert dies nicht innerhalb von 72 Stunden, wird der Hosting-Provider von der Behörde benachrichtigt, den Inhalt zu löschen oder die Veröffentlichung zu verhindern.
Reagiert der Hosting-Provider auch nicht, wird direkt der Internetdienstanbieter kontaktiert, damit die Seite gesperrt wird.

Der Verordnungsvorschlag wird jetzt durch den französischen Staatsrat gehen, der die Frage beantworten muss, ob Internetsperren durch eine Verordnung derart ausgeweitet werden können.

Allerdings gibt es genügend Unsinn in dem Vorschlag und der noch recht junge französische Internet-Rat (Conseil National du Numérique) scheint dies auch so zu sehen. Er hat heute in einer Stellungnahme seine Hauptkritikpunkte veröffentlicht, von denen ich einige hier kurz aufliste:

Eigentlich hätte man mit dem Vorschlag zunächst nach Brüssel gehen müssen, da das Gesetz die Informationsgesellschaft betrifft.
Der Begriff „Betreiber einer Internetseite“ ist zu vage und wird nirgends definiert.
Der franz. Verfassungsrat hatte bereits 2004 entschieden, dass technische Vermittler, also Internet-Provider, nur Verantwortlichkeit tragen, wenn es sich ganz klar um einen illegalen Inhalt („manifestement illicite“) handelt.
Die Verordnung würde ein präventives Filtersystem erschaffen, da Hosting-Provider durch Androhung von Sanktionen zur allgemeinen Überwachung der Inhalte angeregt werden.
Der Vorschlag sieht vor, dass Internet-Provider direkt gebeten werden können, Seiten zu sperren, wenn es sich um einen „Notfall“ handelt. Das Argument des „Notfalls“ kann aber leicht missbraucht werden.

Auch die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net verurteilt den Vorschlag und kritisiert, dass hierdurch die „Regierung unverhältnismäßig große Macht erhalten würde, um Webseiten oder Inhalte im Internet zu zensieren“.

(Crossposting von vasistas?)

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9 Ergänzungen

  1. „Reagiert der Hosting-Provider auch nicht, wird direkt der Internetdienstanbieter kontaktiert, damit die Seite gesperrt wird.“

    Wissen wir wie das technisch laufen soll? Es ist ja nicht ganz trivial einzelne Inhalte oder eben „Seiten“ zu blockieren, also reden wir hier vom Abklemmen ganzer IPs bzw Domains?

  2. Einfach unfassbar.
    Ich kann nicht glauben, dass sowas noch demokratisch ist.

    Was hier stattfindet ist ein Affront gegen die Gewaltenteilung. Über die Legislative wird hier die Exekutive – und ich benutze dieses Wort bewusst – ermächtigt nach belieben mit einem Machtinstrument zu hantieren, dass praktisch die Zensur von Netzinhalten ermöglicht.

    Allein der Versuch gegen die Grundrechte zu wirken muss einfach als Straftat gelten.

  3. Tja, schleichend bricht ein neues dunkles Kapitel über die Welt herein. Aber was tun? Selbst mit TOR-Knotenpunkten wird man schnell in die kriminelle Schublade gesteckt. Vielleicht Botnetze die ein Anonymisierungsnetzwerk bilden? „Zombies for freedom“ ? :)

    1. Du weißt doch das du direkt ein Kinderpornographie konsumierender Raubmörder bist wenn du Tor-Nodes benutzt :-/
      So ist halt die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland. Und wenn wir auf die Straße gehen gegen so einen Wahnsinn sind wir Wutbürger oder linksliberale Fundamentalisten.

      Artikel 20 GG, Abs 4
      http://dejure.org/gesetze/GG/20.html

      Ob man sich wirklich irgendwann darauf berufen muss? :(

      1. Der Artikel fällt mir dann auch manchmal wieder ein. Aber Absatz 4 klingt so nach dem Schicksal eines Märtyrers, weniger nach „friedliche Proteste mit Happy-End“. :(

  4. deswegen europäische, weil er ja die verfassungsschutzorgane, so weit es sie überhaupt gibt, in fronkraisch ja offenbar in seinem sinne im sack hat. wie man als gerichtsbarkeit ein gesetz wie HADOPI als rechtskonform beurteilen kann, entzieht sich meiner bescheidenen auffassung von bürger- und grundrechten.

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