Frankreich: Schon das erste HADOPI-Opfer ist unschuldig

Korrektur: Wie ich soeben von Jérémie (La quadrature du net) erfahren habe, wurde der Anschluss (doch/noch) nicht getrennt – entgegen der inkorrekten Darstellungen bei zeropaid und Techdirt, auf die ich mich berufen hatte. Hier geht es zur korrekten Originalquelle. Der betroffene Lehrer wurde zu einer Anhörung vorgeladen. Er hat das Recht, sich zu weigern, diese zu besuchen.

In Frankreich wurden vor ein paar Tagen die ersten Internetanschlüsse wegen Urheberrechtsverstößen getrennt. Die legale Basis für dieses Vorgehen, das sowohl von der OSZE als auch vom UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit als Menschenrechtsverletzung angesehen wird, bietet das HADOPI-Gesetz, das von Nicolaz Sarkozy maßgeblich vorangetrieben wurde, und um dessen Export er sich bemüht – unter anderem natürlich auch nach Deutschland.

Das Gesetz ist seit Oktober 2010 in Kraft – vor etwas mehr als einem Monat wurde die 400.000er-Marke bei den Warnhinweisen überschritten. Nach 3 Warnhinweisen erfolgt dann die Trennung des Anschlusses ohne weiteren richterlichen Beschluss. In der letzten Woche hat es die ersten 10 Personen ‚erwischt‘. Darunter befindet sich ein 54-jähriger Lehrer, der von sich behauptet, von Filesharing und illegalen Downloads keine Ahnung zu haben.

Wohl aber von Meinungsfreiheit und Demokratie: Er kündigte rechtliche Schritte gegen das Vorgehen an und äußerte seine Bereitschaft, die Sache notfalls vor den EU-Gerichtshof zu bringen. [gemeint ist wohl der europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der, wie mir freundlicherweise mehrfach mitgeteilt wurde, nichts mit der EU zu tun hat]
Genau dort gehört sie auch hin. Dass Entscheidungen dieser Tragweite überhaupt – und wenn schon, dann auch noch ohne richterliche Beteiligung gefällt werden, ist absolut inakzeptabel. Nicht ohne Grund hat sich hierfür der Begriff der „digitalen Todesstrafe“ etabliert.

Allem Anschein nach war der Beschuldigte nicht in der Lage, sein Heimnetzwerk ausreichend gegen den Zugriff Unberechtigter zu schützen, die dann seinen Anschluss zu Download nutzten, um ihm die Strafe in die Schuhe zu schieben. Genau zur Verhinderung derartiger Fehlentscheidungen hatte sich glaube ich mal jemand den Richtervorbehalt ausgedacht.

Für diesen zu kämpfen darf aber nicht das Ziel des Vorgehens gegen HADOPI sein: Es muss ein für allemal klar sein, dass das vollständige Trennen des Internetanschlusses nicht nur absolut unangemessen und in diesem Fall sogar die Berufsausübung des Lehrers behindernd, sondern auch menschenrechtswidrig ist.

Das anachronistische und reformbedürftige Urheberrecht wird sich auch nicht dadurch retten lassen, dass man es über die Meinungsfreiheit erhebt.

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22 Ergänzungen

    1. Nun, zeropaid spricht vom „European Justice court“, numerama vom „Cour européenne de justice“ – das sind die (verkürzten) englischen und französischen Bezeichnungen für den Europäischen Gerichtshof (alias EuGH). Von daher hat Linus schon Recht.
      Wobei es durchaus auch interessant sein dürfte, die Angelegenheit vor den EGMR zu bringen.

    2. nur weil der egmr kein eu-gericht ist, heißt das ja nicht, dass es kein eu-gericht gibt.
      vor welches der o.g. herr ziehen will, wird aus dem text jedoch nicht deutlich.

      1. da der eugh normalerweise einen (zumindest hypothetischen) grenzüberschreitenden tatbestand braucht, wirds wohl der egmr.

    3. Das Bildblog in allen Ehren. Aber dass die ihren Hang zur Akribie ausgerechnet an SOLCHEN Details ausleben, statt sich mit dem wirklichen gesellschaftlichen Schaden, den Publikationen wie Bild täglich zu verantworten haben, auseinander zu setzen, ist ein herber Verlust. Es entsteht der Eindruck, dass solche Detailfragen die gröbsten Schnitzer wären, die die Medienlandschaft zu bieten hat. Das lässt die Medienlandschaft als überhaupt nicht so schlimm und die Bildblogget als analfixierte Pedanten erscheinen.

      1. nunja diese „Details“ sind nunmal leider essentiell um zu verstehen wie die eu funktioniert, also in welchen bereichen sie etwas zu sagen hat – und in welchen nicht. und wenn grosse „zeitungen“ das falsch machen, dann hilft das nicht gerade das die allgemeinheit die eu als institution versteht. insofern ist das in meinen augen kein „detail“ sondern essentielle basic die richtig gemacht werden müssen, um ein korrektes bild zu vermitteln.

    1. In dubio pro reo. Der Mann ist nicht verurteilt, also unschuldig. Im Gegenteil: Eine Behörde behauptet, das erste Opfer sei schuldig.

      1. Ändert aber nichts daran dass man die Überschrift neutraler formulieren könnte. Man muss ja nicht aufs allgemeine Presseniveau runter, „gute Sache“ hin oder her.

  1. Z.15 „EU-Gerichtshof“ … ich nehme mal an hier ist der europäische Gerichtshof für Menschenrechte gemeint? (der hat nichts mit der EU an sich zu tun!)

  2. Er kann durchaus den EuGH meinen. Das Hadopi-Gesetz basiert auf dem Telekom-Paket der Eu, von daher wäre auch dieser zuständig. Seit dem Lissabon-Vertrag ist nämlich die Eu-Grundrechtecharta bindend für Eu-Gesetzgebung incl. deren nationaler Umsetzung. (Um es noch komplizierter zu machen: Die Eu tritt auch gerade als Ganzes der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates bei, dann wird dessen EGMR wohl immer das letzte Wort haben.

  3. Mich interessiert, abseits der korintenka… ääh (tschuldigung) Richtigstellung der Gerichtsnamen die über dem höchsten nationalen franz. Gericht stehen, eher folgendes: „…nicht in der Lage, sein Heimnetzwerk ausreichend gegen den Zugriff Unberechtigter zu schützen…“

    In wie weit ist das in unseren Gefilden relevant?

    Was heist hier gesichertes W-Lan?

    Kann dem armen Kerl jmd. nachweisen ob sein W-Lan zum gegebenen Zeitpunkt fremdgeleeched wurde, trotz Sicherung oder hatte er doch nen Hotspot für sein Haus bereit gestellt und erst später den „WPA-Ein-Knopf“ gedrückt … ect. ect.?

    Da ich ja auch überhaupt keine Ahnung hab‘ vom Internet , Technik und so weiter.

    So viel unwissenheit …

  4. Sagt mal, werden hier Kommentare wieder gelöscht?
    In welchen zB Kritik am Autor gemacht wird?

    Gestern stand irgendwas mit Linus und Hysterie drin, das finde ich heute nicht mehr…

    1. Kritik am Autor gemacht

      ist das der neue Euphemismus für Beleidigung?
      Ich würde mich auch nicht persönlich angreifen lassen.

      1. Die Kritik war gerechtfertigt, über die Worte kann man sich streiten. Es besteht ganz offensichtlich kein Interesse daran, sich mit abweichenden Meinungen auch nur auseinanderzusetzen, ausgerechnet von jemanden der anderen Starrsinn, verblendung und das ignorieren von Argumenten vorwirft.

        Aber gut, ab jetzt jubelei hier, will ja den Blogfrieden nicht gefährden.

      2. Na ja, zum beleidigt sein, gehören ja zwei: Einer der’s tut, und einer der’s ist.

        Mit dieser modernen, teilweise unhandlich gethreadeten Abbildung von Kommentaren hab‘ ich noch meine Probleme. Oft lese ich einfach nur drüber, merke mir ungefähr die Struktur und lese es beizeiten dann im Ganzen.

        Und mir war so, als ob ein Kommentar verschwunden war.

        Und von vielen anderen Foren kenne ich, das dann da steht:
        Kommentar/Name: gelöscht von Person X. Da weiss man dann, da ist was verschwunden (warum auch immer). Hier mangelt es an Transparenz.

        1. @blub: Transparenz gibt es hier, sofern Zeit da ist. Bei allen Spamversuchen und beleidigenden Kommentaren (Die wir in der Regel erstmal automatisch freischalten) ist das auf die Dauer ziemlich viel Zeitverschwendung, die wir gerne für andere Dinge nutzen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.