Europäischer Gerichtshof kippt Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzungen

In einer Entscheidung über ein belgisches Gesetz zum Urheberschutz hat der Europäische Gerichtshof, der über EU-Recht am Ende entscheidet, der Phantasie der Musik-, Film- und Verlagsindustrie ein Ende gemacht. Netzsperren und überhaupt das organisierte großflächige Schnüffeln im Datenverkehr sind demnach nicht in Europa mit seiner derzeitigen Grundrechtecharta (erst seit Vertrag von Lissabon in Kraft, daher wirds da noch einige Urteile zu geben) machbar.

Die Kernsätze der Entscheidung sind die Zeilen 47 und 50-52:

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf den betroffenen Provider beschränken, weil das Filtersystem auch Grundrechte der Kunden dieses Providers beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Art. 8 und 11 der Charta geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen.

Zum einen steht nämlich fest, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt, da sie die genaue Identifizierung der Nutzer ermöglichen.

Datenschutzdiskutanten aufgepasst: Der EuGH, das höchste Gericht der EU, hat da gerade IP-Adressen als personenbezogenes Datum klassifiziert. Einfach so, ohne Erläuterung. Bumms. (Update: Oder vielleicht auch nicht? Danke für den Hinweis an Numbercruncher)

Angesichts dieses Urteils scheint eine Prüfung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie durch die Luxemburger Richter noch etwas spannender geworden zu sein. Doch Irland, das diese Richtlinie eigentlich vorlegen wollte, hat es offenbar bei der Ankündigung belassen.

Wie dem auch sei: die Sperrfreunde der Rechtewirtschaft können nun erst einmal nach Hause gehen. Stellvertretend für sie hat sich die belgische Rechtewirtschaft und mit ihr die belgische Regierung eine Abfuhr eingehandelt, die aus Nutzersicht einfach mal super ist.

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12 Ergänzungen

  1. Nach meiner Leseart doch auch Deep-Packet-Inspection da sie eine „systematische Prüfung aller Inhalte“ wäre.

    Ick freu mir.

  2. So ein Urteil hat hoffentlich Signalwirkung. Erst Urheberrechtssperren – in UK vllt. auch bald Sperren von Pornographie (mit Opt-Out-Verfahren, aber trotzdem ein schlechtes Zeichen). Das Internet ist ein Menschenrecht und die Infos, die auf den PCs der Bürger lagern, sind meist deutlich sensibler als die, die sich im Briefkasten befinden. Der Postweg ist gesondert geschützt, die E-Mails nicht? Private Dinge werden heute nicht mehr über Briefe erzählt, sondern per E-Mail, Skype, IM etc.
    Das sollte mehr Beachtung finden. Heutzutage kann man ja nicht mal mehr in der Schule bestehen, wenn man keinen Internetzugang hat. Genau deshalb darf es solche Sperren auch nicht geben.

  3. Was ist dann jetzt mit ACTA und den Sperren? Gilt das dann auch und ist ACTA (zumindest bzgl der Online-Themen) ein zahnloser Tiger?

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