Ägypten: Wie die Infrastruktur, so die Politik

Kritik von 2011 am damaligen Vodafone-Slogan "Du bist nicht auf der Welt, um zu schweigen". Die Firma soll auf Geheiß der Regierung das Netz abgeschaltet haben.
Kritik von 2011 am damaligen Vodafone-Slogan „Du bist nicht auf der Welt, um zu schweigen“. Die Firma soll auf Geheiß der Regierung das Netz abgeschaltet haben.

Wer noch vor ein paar Wochen in netzpolitischen oder Hacker-Gesprächskreisen über die Abschaltung des Internets oder bestimmter Fernsehsender, und über die Notwendigkeit redundanter und dezentraler Strukturen philosophiert hat, lief Gefahr, vielleicht als „ein bisschen zu paranoid“ bezeichnet zu werden. In Zeiten, in denen auch der größere Teil der westlichen Bevölkerung nicht nur „nichts zu verbergen“ hat, sondern sogar das offensive Gegenteil dessen von einer kleinen sich als besonders progressiv empfindenden Minderheit als erstrebenswert propagiert wird, ist das eben so. Aber gerade die Lost-Privacy-Freunde, die keinen besonderen Wert auf redundante oder dezentrale Dienste legen, würde der Ausfall selbiger schwer treffen.

Die Technik mit der der Iran TOR blockieren konnte, stammte von Nokia/Siemens. Die Technik mit der in Ägypten filterte, stammte von Narus, USA. Der ägyptische Mobilfunkprovider, der sich ohne zu Murren „gezwungen sah“ das Netz abschaltete, hieß Vodafone. Da Mag Amnesty noch so sehr rügen, Vodafone noch so sehr seine Hände in Unschuld waschen.


via metronaut


Möchte irgendjemand ernsthaft behaupten, diese Unternehmen hätten die Technologien nur für diese Länder entwickelt, und würden sie „bei uns“ nicht anwenden? Wir erinnern uns: Der letzte Bekannte Brief des FBI mit der Bitte um alle Daten auserkorener „Staatsfeinde“ und ihrer Follower ging an Twitter. Wenn Twitter heute bekanntgibt „The Tweets musst flow“ ist das natürlich ein schönes Bekenntnis, aber auch nicht mehr.

Und diese Idee vom Internet-Abschalten? Die kennen die Herren vom Bund der Kriminalbeamten doch, oder?


via metronaut

Im Lichte dieser Entwicklungen erhalten nun längst vergessene Technologien (wie BulletinBoards und das Fidonet) und lange Zeit stiefmütterlich behandelte Projekte Auftrieb – denn von den anfangs noch ausreichend scheinenden 20 Möglichkeiten der Umgehung funktionieren ohne Internet und Mobilfunk nur noch 6, nämliche jene, die auf alte Telefonmodems, oder CB- bzw. Amateur-Funk (Packet Radio) setzen – die übrigens große Gefahren hinsichtlich des Abhörens und der Ortung mit sich führen – und einen eklatanten Mangel an Kommunikationspartnern. Dabei wäre das nicht notwendig gewesen, wenn man sich zu Zeiten um ausfallsicherere, dezentralere Strukturen gekümmert hätte, als man sie noch nicht  so dringend benötigte.

OpenNet / Digitata ist ein Projekt für Mesh-Networks sowohl mit CB-, als auch mit WiFi-Hardware. Leider sind die Projektseiten momentan in einem Zustand, der keine ausreichenden Informationen bietet, um mal schnell auf eine Revolution zu reagieren. Ehrlich gesagt ist der Website nicht zu entnehmen, ob überhaupt eine funktionsfähige Installation möglich ist. Netsukuku (letztes Update: 2009) soll ein anonymes Mesh-Netzwerk auf WiFi-Frequenzen schaffen, ähnlich der Standard-Funktion in OLPCs – aber seit 2009 nicht mehr weiterentwickelten Code gilt nicht mein Vertrauen. Das OpenMESH-Projekt, das als Reaktion auf die Entwicklungen des letzten Jahres im Iran ins Leben gerufen wurde, schien zwar in letzter Zeit auch ein bisschen eingeschlafen zu sein, ist aber immerhin in den letzten Tagen erwacht, und macht mit einigen Blogposts und Tweets auf sich aufmerksam. Die Entwickler genießen sicherlich diesen Moment, da sie jetzt nicht mehr „ein bisschen zu paranoid“ bezeichnet werden.

Natürlich wird eine Revolution nicht daran scheitern, dass nicht mehr getwittert werden kann. Vielmehr ist die Behinderung der Kommunikationsmöglichkeiten des Gegners seit jeher ein wichtiger Bestandteil jeder militärischen Strategie. Um sich durch Dezentralität des militärischen Kommunikationsnetzwerkes genau dagegen zu schützen, wurde übrigens das Internet erfunden.

Man sollte sich auf diese Tugenden wieder mehr besinnen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

25 Ergänzungen

    1. Zu gutjahr: „Der Beamte würdigt meinen Pass kaum eines Blickes, und das obwohl dieser von der ersten bis zur letzten Seite zugepflastert ist mit Stempeln der beiden Länder, auf die Ägypten gar nicht gut zu sprechen ist: Israel und USA.“

      Meint der das gleiche Aegypten wie die anderen oder hab ich da bisher was falsch verstanden?

  1. Schöner Artikel.

    „… die Lost-Privacy-Freunde, die keinen besonderen Wert auf redundante oder dezentrale Dienste legen, ….“

    Aber wo hast du denn das her?

  2. hat evtl irgendwer von den geneigten lesern ein wenig erfahrung mit grassroots wifi-mesh geschichten (also sowas wie OpenMESH et al) und kann ein paar interessante links beisteuern?
    much apprechiated :)

  3. Ich betreibe ein WLAN für die versorgung eines Stadtteils mit wenig bis kein DSL. Es ist unglaublich schwer, auch nur für technische Zwecke ein gleichwertiges Backup zu organisieren.
    (1) WLAN zu einem Ort mit Fernsehkabel: Unity Media -> Technisch OK aber Kein Geschäftsmodell das Wiederverkauf möglich macht.
    (2) Eutelsat tooway Sat – nur Schmalspur A-DSL mit 384kbit Up an – ich weiß das mein Netz damit kollabiert.
    (3) WLAN zu Ort mit DSL: 384kBit – zu wenig oder aber zu weit
    (4) Mobilfunk G3,5 Router mit 7MBit down und 4MBit up – würde reichen, wenn die Leistung auch aus der Leitung käme. Ärgerlich, wo der Funkmast meines Providers nur 300m weit weg ist!

    Das einzige was wirklich Funktioniert, sind möglichst direkte Verbindungen zu Glasfaser basierten Providern. Zum Glück gibt es Zwei Optionen im vernünftigen Umkreis. Aber da lässt sich trefflich an zentraler Stelle der Stecker raus ziehen. Was die angesprochene „Festigkeit gegen kriminelle Regierungen“ angeht würde wohl nur die Satellitenlösung überhaupt was bringen.

  4. Wo ihr gerade von „Behinderung der Kommunikationsmöglichkeiten“ redet – Euer Captcha wird auch immer abenteuerlicher. Zeit über Alternativen nachzudenken!

      1. Wo hier schon Off-Topic ist: Koennt ihr eure Videos zukuenftig ohne JS-Flash-Ueberpruefung einbinden? Vielen Dank

  5. Jaja, ich hab’s gestern schon getwittert, aber man kann’s ja nicht oft genug sagen. Vodafail z.B., klingelt’s? Aber keine Sorge, spätestens beim nächsten iPhone-Tarif-Blogger-Social-Media-Werbedingens dieser Firma sind wieder alle hellauf begeistert *seufz*

  6. Was die Bandbreite angeht: Internet/Usenet ging auch mit alten Modems. Um eine Kommunikations-Struktur zu erhalten, reicht das im Prinzip aus. Dass man damit nicht so gut auf Seiten voller Videos surfen kann, ist halt lästig aber in der Lage das kleinere Übel.

    @Dominik: Wenn es flächendeckend gewesen wäre, hätte Freifunk zumindest in den Großstädten ein Backup sein können denke ich.

    Letzlich kann man aber nur sagen: Je mehr (und vor allem dezentrale) Alternativen , umso schwerer ist das abschalten (ok, letztlich kann man auch komplett den Strom abstellen und damit alles lahm legen).

    Ich werde mein altes 33k-Modem auf alle Fälle behalten. Man weiss ja nie….

  7. Wir erinnern uns:

    Vodafone war der erste und Internetprovider, der ohne zu murren das Zugangserschwernisgesetz unterschrieben hat.

    Das ist nicht nur ein ägyptisches Phenomen.

  8. Vodafone? Das sind doch die, die mit Pauken und Trompeten für Internetsperren Lobby machen und an die sich Sascha Lobo, Internet-Spezialexperte, verkaufte, oder?

  9. Letztenendes ist alles was auf Elektronik setzt gegen Stromabschaltung anfällig. Also sollte man immer ein paar Brieftauben parat haben^^
    Will meinen es gibt keine absolute Sicherheit und der Aufwand mehrere Backupsysteme zu betreiben kann eben schon schlicht zu hoch sein. Allerdings sollten sich doch mit der zunehmenden Verbreitung von WLAN Routern und Smartphones mit WLAN Zugang in der Tat halbwegs einfach lokale Ad-Hoc Netzwerke bilden lassen.
    Freifunk ist da nur ein erster Baustein, denn da geht es – wenn ich das richtig in Erinnerung habe – ja nur darum den lokalen Internetzugang über’s eigene WLAN zu erlauben. Wichtig hier wäre ein Zusammenschluss aller Funkrouter zu einem lokalen Netzwerk, über das einerseits lokale Kommunikation möglich ist und andererseits Pakete dann bis zum nächsten Uplink transportiert werden können. Quasi ein Hardware-Peer-to-Peer Netzwerk.
    @Hans Carlos: Ein gleichwertiger wirtschaftlich sinnvoller Ersatz ist für derartige Notfälle ja auch nicht notwendig, aber ich sehe natürlich ein, dass es vorteilhaft ist, wenn das Backup auch im Normalbetrieb eine sinnvolle Alternative ist…

    Im übrigen finde ich es gerade ultra-peinlich dass noch nicht ein europäischer Politiker (soweit ich es mitbekommen habe) Arsch in der Hose hatte sich von Mubarak loszusagen und einer nächsten Regierung – sofern demokratisch legitimiert – Unterstützung zuzusagen. Zum Bleistift in Form von neutralen Wahlbeobachtern etc.
    Aber nein, alle warten lieber ab, um es sich ja nicht möglicherweise mit dem netten Präsidenten zu verscherzen.

  10. Nun, zu Freifunk gab es Ende Oktober eine Sendung vom Chaosradio zu (CR162 wenn ich mich recht entsinne). Der Internet-Zugang war eine Motivation, aber mit Freifunk kannst du noch einiges mehr machen (z.B. Streams in FF-Netz stellen, etc.)

  11. Zitat: „Dabei wäre das nicht notwendig gewesen, wenn man sich zu Zeiten um ausfallsicherere, dezentralere Strukturen gekümmert hätte, als man sie noch nicht so dringend benötigte.“

    Sowas lässt sich leicht sagen, ist aber etwas realitätsfern.
    An irgendeinem Punkt wirst du ans Internet müssen, also entweder in einem anderen Land, das wird wenn man sich Ägyptens Nachbarn mal anschaut auch eher schwer oder über eine Einwählverbindung, die wenn sie ins Ausland geht auch kräftig teuer sein wird.

    Zumal die Ägypter ja vor 2 Wochen auch noch nicht wussten, dass sie Teil einer Revolution werden.

    Etwas off Topic, ich kann aber Menschen nicht verstehen, die am Flughafen der Kamera sagen, dass sie sich ihre Kegeltour von sowas ja nicht vermiesen lassen wollen. Da kann man mal sehen, wie realitätsfern einen ein sicheres Umfeld manchmal werden lassen kann.
    Später werden sie sich dann beschweren, dass sie nicht auf Staatskosten ausgeflogen wurden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.