Müssen Politiker in Sachen Netz nachsitzen oder braucht gute Netzpolitik Zeit?

Vor zwei Wochen haben die beiden grünen-Politiker Konstantin von Notz und Malte Spitz in einem Gastbeitrag bei Zeit-Online der Regierung vorgeworfen, sie müsste die Möglichkeiten des Internets endlich erkennen und neue Beteiligungsmöglichkeiten schaffen: Politiker müssen in Sachen Netz nachsitzen.

Netzpolitik muss als Multi-Stakeholder-Ansatz verstanden werden, das heißt: Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft müssen von Anfang an gleichberechtigt beteiligt sein. Diesen Weg gehen die Vereinten Nationen seit Jahren. Der Blick ins Ausland lohnt: In Brasilien hat sich ein Lenkungskreis gebildet, um netzpolitische Fragen mit allen Beteiligten zu diskutieren. Solch ein netzpolitischer Neuanfang ist wichtiger denn je, nicht nur für eine zukunftsfähige Netzpolitik, sondern für die demokratische Auseinandersetzung insgesamt.

Gestern haben die beiden FDP-Politiker Manuel Höferlin und Jimmy Schulz darauf geantwortet und erklärt, die beiden Grünen würden sich irren: Gute Netzpolitik braucht Zeit.

Wenn die Grünen außerdem monieren, Netzpolitik werde in Deutschland nicht als Multi-Stakeholder-Aufgabe verstanden, so irren sie erneut: Ein Blick auf die IKT-Strategie der Bundesregierung zeigt das starke Engagement der Bundesregierung für wissenschaftliche Forschung im IT-Bereich und die Zusammenarbeit mit forschenden Unternehmen. Und über eine starke Medienlandschaft sowie parlamentarische Gremien wie zum Beispiel die Enquete-Kommission oder den Unterausschuss Neue Medien ist auch die Zivilgesellschaft hervorragend in die deutsche Netzpolitik eingebunden. Den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sei deshalb empfohlen, die Arbeit einer Regierung am Ende einer Wahlperiode zu bewerten.

*Wobei ich ja das Beispiel mit der IKT-Strategie etwas unglücklich finde, weil dort nicht wirklich ein Multi-Stakeholder-Ansatz praktiziert wird. Das sieht man beispielsweise am Thema Netzneutralität. Die Arbeitsgruppe „Digitale Infrastrukturen als Enabler für innovative Anwendungen“ berät das Wirtschaftsministerium bei der IKT-Strategie und dort ist die Netzneutralität auch angesiedelt. Man kann sich das Ergebnis schon bildhaft vorstellen, wenn man die Beteiligten sieht:

Co-Vorsitzende:
René Obermann, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG
Dr. Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

Mitglieder:
Thorsten Dirks, E-Plus Mobilfunk
Gerd Eickers, VATM
Dr. Adrian v. Hammerstein, Kabel Deutschland
Prof. Dr. Hermann Eul, Infineon Technologies
Stefan Koetz, Ericsson
Jürgen Kunz, Oracle Deutschland
Matthias Kurth, Bundesnetzagentur
Prof. Dr. Christoph Meinel, Hasso Plattner Institut
Herbert Merz, Nokia Siemens Networks
Dr. Bernhard Rohleder, BITKOM
René Schuster, Telefónica O2 Germany
Carlo Wolf, Cisco Deutschland
Christian Wolff, Lantiq Deutschland
Alf Henryk Wulf, Alcatel-Lucent Deutschland

Sieht so ein wünschenswerter Multi-Stakeholder-Dialog in der Netzpolitik aus?

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14 Ergänzungen

  1. Das wichtigste ist wieder Transparenz. Es nutzt ja nichts, wenn irgendwelche Gremien hinter verschlossenen Türen irgendwas diskutieren. IGF zeigt, dass es auch öffentlich geht. IMHO muss auch erstmal nichts dabei rauskommen, da ein gemeinsames Verständnis zunächst wichtig ist.

    Insofern braucht es wohl schon Zeit, nämlich bis genügend Leute das Internet besser verstehen, bevor sie es regulieren wollen und können.

  2. Das wichtigste ist wieder Transparenz. Es nutzt ja nichts, wenn irgendwelche Gremien hinter verschlossenen Türen irgendwas diskutieren.

    Das stimmt. Netzpolitik, zumindest so wie sie an den Schaltstellen der Politik gemacht wird, ist doch im Moment vor allem eines: Hinterzimmer-Politik mit schon im voraus feststehenden Ergebnissen, bei der sich die Fakten so hingebogen werden daß man die eigene Agenda durchbringen kann. Beispiel: Die CDU will die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Darauf hat sie sich versteift. Und nun wird jedesmal wenn irgendein Thema durch die Medien geht wieder eine Verbindung konstruiert zu einer „Notwendigkeit“ der Wiedereinführung. Terror-Panik, der Doppelmord von Bodenfelde, „Tatort Internet“…

    Demgegenüber sind Gesprächsrunden wie die Enquete-Kommission, die Offenheit und Transparenz vorspiegeln sollen, nur ein Feigenblatt, ein Alibi um darauf verweisen zu können, daß man ja den Bürger und „Experten“ miteinbezieht. Und am Ende kommt doch wieder nur völliger Murks raus, der nur die Wünsche von Law and Order-Politikern und den mit ihnen anbandelnden Lobbies berücksichtigt. Was ein Schlag ins Gesicht nicht nur der Bürger ist, sondern auch derer, die sich mit viel Idealismus an solchen Gesprächsrunden und Institutionen beteiligen um die Fahne der Netz-Freiheit hochzuhalten.

  3. Ssind doch alles lupenreine Zivilpersonen, die gaaanz zufällig auch ein minikleinbisschen mit Wirtschaft zu tun haben.

    Vielleicht dämmert Einigen demnächst ja auch mal, das es sich bei dem gesamten „Dialog“ und „Enquete-Kommissionen“ und dergleichen Budenzauber um rein potemkinsche Alibiveranstaltungen handelt, um hinterher „aber es durften doch auch…“ zu faseln, wenn Tante T und Onkel Kabel ihren – sicher opulent ausfallenden- schwarz-gelben Geburttagskuchen anschneiden.

  4. Die Entwicklung hin zu guter und transparenter Netzpolitik braucht auf jeden Fall ihre Zeit. Sie braucht so viel Zeit wie die Menschen seit jeher benötigen, um neue technische Möglichkeiten ins allgemeine Kulturgut zu integrieren. Im [url=“http://chaosradio.ccc.de/cr163.html“]Chaosradio (163)[/url] wurde dazu viel schlaues gesagt. Letztlich bleiben solche Integrationsprozesse, bei aller Beschleunigung, eine Sache von Generationen.

  5. /ironic on
    Natürlich können über Netzneutralität nur solche Leute diskutieren, die auch Netze haben. Alle anderen haben ja keine Ahnung davon. Ist wie bei der Atompolitik. Nur wer Atomkraftwerke betreibt kennt sich damit aus.
    Also gilt:
    Wenn man wissen will ob es Sinn macht Atommeiler zu betreiben lädt man Leute ein die sowas haben.
    Wenn man wissen will ob Netze neutral sein sollen, lädt man solche Leute ein die Netze haben.
    Wenn man wissen will ob Krieg sinnvoll ist, lädt man Leute ein die Krieg machen.

    Das nennt man Spezialistentreffen.
    /ironic off

    Grüße aus der Tonne
    Lukas

  6. „Gute Netzpolitik braucht Zeit“ klingt für mich nach „Wild West: Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, bis die Legislative sich eingehender damit beschäftigt hat“. Und genau das ist wohl auch Intention der einschlägig bekannten Beteiligten.

  7. Minderheiten-Voten sind erstmal egal. Hauptproblem bei der Enquete ist auch wieder, dass man nicht weiss, was genau wie diskutiert wird. Werden erstmal Studien angeschaut? Was für Argumente werden verwertet, welche verworfen, was sind die Gegenargumente? Es bringt mir nichts, wenn nachher auch noch ein paar Alternativen rauskommen, wenn ich den Weg nicht kenne. So kann ich mir auch selbst keine Meinung bilden und das ist eben das Hauptproblem. Und ich bin zudem ja im Thema drin, nicht jeder ist es aber.

    Und wie man bei S21 sieht, klappt das eben auch öffentlich. So wie ich jetzt viel über die Bahn lerne, wäre es schön wenn Bürger, die nicht im Thema Internet drin sind, da reinkommen. Und dazu braucht es eben öffentliche Events, sei es in der Enquete, in den Parteistiftungen oder wo auch immer. Dass nur eine Elite informiert wird, ist ein No Go.

  8. „Gutes Radio braucht Zeit“ mögen sich manche Hörer vor ungefähr 70 Jahren gedacht haben. Für eine „gute Netzpolitik“ ist es doch nie zu spät, oder?

  9. Solange Lobbyisten das sagen haben und die Politik lediglich gründe für weitere Überwachungen und Einschränlkungen der Bürgerrechte sucht, nützen weder zeit noch Nachsitzen: Tauscht die Politiker aus!!
    Das Dumme ist, uns fehlen die Alternativen.

  10. Blah, blah und Worthülsen von beiden Parteien – warum druckt die Zeit diese Texte, wenn es inhaltlich nicht mehr als inhaltsloses Schönreden ist? Hat man dort keine Journalisten die sich mit dem Thema auskennen?

    Wenn Politker die Chance habe etwas zu sagen, aber statt einer Diskussion gezielt aneinander gezielt vorbei reden, dann braucht man die L E I T P L A N K E N eine Interviews.

    Jawohl, Leitplanken für Politiker. Und Shareholder Interessen-Journalisten. Und mehr Multi-Stakeholder-Aufgaben für Adlige.

  11. Und mehr Multi-Stakeholder-Aufgaben für Adlige.

    Nur eben sind es bei Licht betrachtet keine Multi-Stakeholder-Aufgaben die „Adlige“ bei uns gegenwärtig wahrnehmen, sondern Single-Interest oder Self-Interest-Gesichtspunkte die solche Leute antreiben. Wir wollen ja an dieser Stelle Frau Guttenbergs Namen nicht nennen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.