Gelassenes Bangen vorm nächsten Wikileak

Wie vom offiziellen Wikileaks-Twitter-Account gewohnt, wurde der nächste Leak mit viel Pathos angekündigt. Dieses Mal werde nicht weniger als die Weltgeschichte umgeschrieben.

Sieben mal umfangreicher als die Iraq War logs werde das Material sein. Hinsichtlich des Umfangs scheint Wikileaks also nicht aufgefallen zu sein, dass die Iraq War Logs so gut wie keine inhaltliche Wirkung hatten. Tagelang war die Bedrohung der Regierung, die Angst vor, und die Macht von Wikileaks das Thema in den Medien. Sicherlich, die schönen Statistiken und Visualisierungen erregten ein paar Tage lang Interesse, aber hat es je einer der hundertfach in den War Logs dokumentierten Skandale auf Seite 1 geschafft? Und Hand auf’s Herz: Wie viele der War Logs hast du gelesen?

Als nächstes, so die Gerüchte, wird man uns diplomatische Gesprächsprotokolle der USA servieren. Natürlich werden darin ohne Ende Dinge stehen, die andere Regierungen sehr verstimmen. Es ist Aufgabe von Diplomaten, ihr Fähnchen einerseits nach dem Wind zu richten, andererseits so gut wie möglich darauf Einfluss zu nehmen, dass dieser aus der gewünschten Richtung kommt. Man könnte sagen: Überall wo ein kleines Windchen zu wehen scheint, baut der Diplomat eine Windmühle hin – natürlich im Hinterzimmer. Man stelle sich Gespräche einerseits mit Israel, andererseits mit Palästina, Gespräche mit Rebellengruppen, oder einfach nur Gespräche mit SPD- oder CDU-Vertretern vor – und das auf dem internationalen Parkett mit 193 (oder 205) Staaten, die alle ihre eigenen Interessen haben.

Anders als bei den War logs, werden die Regierungen dieser Welt durchaus Interesse diesem Leak haben, sei es, um mal zu prüfen, wie aufrichtig die USA sich ihnen gegenüber verhalten, sei es, um das eigene Geheimdienstwissen zu verifizieren oder aufzufrischen.

Und so kontaktiert die US-Regierung nun ihre Botschafter, bereitet sie darauf vor, was ans Licht kommen könnte – denn dass Wikileaks das Material besitzt, war der Regierung angeblich seit einiger Zeit bekannt. Außerdem werden wohl auch für einige Botschafter schon (symbolisch gesprochen!) die Rückflugtickets gebucht, weil man damit rechnet, dass sie des Landes verwiesen werden. Die Situation ist für die USA natürlich ein bisschen blöd: Viel diplomatischer Schaden ließe sich vielleicht schon vorher mit Hilfe eines vorbereitenden, erklärenden, entschuldigenden Besuchs vermeiden. Andererseits möchte man einen solchen Besuch ja auch nicht umsonst machen, und schlimmstenfalls selbst etwas zugeben, was am Ende gar nicht geleakt wird. Der Twitter-Account von Wikileaks berichtet momentan genüsslich darüber, welche Botschaften und Regierungen kontaktiert werden.

Auch dieses Mal wird mit den Medien zusammengearbeitet. Alan Rusbridger, Herausgeber des Guardian äußerte sich schon zum Inhalt der Protokolle: „Nur ein kleiner Teil davon ist […] [für das vereinigte Königreich] relevant.“ In Großbritannien wurde bereits eine DA-notice, die Bitte an Medien, Materialien zu bestimmten Themen zum Schutz der Nationalen Sicherheit nicht zu veröffentlichen, herausgegeben. Diese bezieht sich auf Verteidigungspläne, militärische Möglichkeiten, Bereitschaft und Trainigs, sowie Verschlüsselung und Kommunikation.

Wie immer dürfen wir gespannt sein. Der Leak wird in kurzer Zeit erwartet. Bis dahin sollten wir im Hinterkopf behalten, dass bei Wikileaks der von Daniel Domscheid-Berg kritisierte Größenwahn zu Lasten der „Leaks des kleinen Mannes“ noch nicht abgeklungen ist.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

17 Ergänzungen

  1. Ich wundere mich die ganze Zeit: vermisst denn niemand die Leaks 2007 bis 2009? Seit „Collateral Murder“ sind die alten geleakten Dokumente komplett offline.

  2. Nichts Inhaltliches zu dem Eintrag, aber zumindest bei mir ist es so, dass ich von http://netzpolitik.org über den „1 Kommentar“-Link zu https:// geleitet werde, wo mich dann Firefox‘ Terrorwarnung erwartet. Ist das erwünscht?

  3. @Rainer: Nein, das ist nicht erwünscht – aber auch nicht schlimm: Unser Zertifikat ist einfach nur abgelaufen, und seit vielen Wochen scheint es bei den Verantwortlichen Probleme zu geben, uns einfach mal ein vernünftiges neues zu beschaffen.

  4. Die Richtung in die Wikileaks geht gefällt mir nicht wirklich. Inzwischen sieht das ganze aus wie ein Privatkrieg von Wikileaks/Assange gegen die USA.
    Möchte nicht wissen welche wirklich interessante Enthüllung bei denen im Postfach vor sich hin schimmeln weil für nichts anderes mehr Zeit ist.

  5. @5. Cashbt: Ja, hoffentlich kommen Alternativprojekte bald in Gang :-)

    Ich könnte mir vorstellen, dass diesmal nicht einfach die ganze Datenbank veröffentlich wird, sondern eine Staffelung erfolgt. Wie bei den 911-Pager-Nachrichten. In dem Tweet oben ist von „coming months“ die Rede und inzwischen sollte WikiLeaks klar geworden sein, dass ein paar stürmische Tage im Blätterwald keinen nachhaltigen Effekt erzielen.

  6. Auch wenn ich natürlich die Demaskierung der amerikanischen Politik begrüße, finde ich die Konzentration auf die USA nicht richtig. Jedes Land hat so seine Schattenseiten in Politik und Wirtschaft, die es wert sind, offengelegt zu werden. Ich denke da bei uns zum Beispiel an den Atomdeal oder Stuttgart 21.

    Klaus

  7. Ich empfehle mal im Hinterkopf zu halten, dass das was die Welt wirklich braucht eine tranparente Politik ist.
    Eine weitere Empfehlung wäre es nicht so zu tun als ob Wikileaks die Enschätzung der Brisanz der Dokumente an der Quantität mißt.
    Ich empfehle auch einfach mal abzuwarten.

  8. Letztendlich zeigt wikileaks, dass künftig die Politik nicht mehr ungehört und ungelesen im stillen Kämmerlein ihrer „Schmutz“-Arbeit nachgehen kann. Es ~kann~ aufgedeckt und Kosten/“Zensusfrei“ in der ~Welt~ gelesen werden.
    Das war für mich immer das faszinierende an Plattformen wie wikileaks. Insofern tut es mir nicht sehr weh, wenn drumherum etwas „über das Ziel“ hinausgeballert wird. Diese Plattform braucht auch seine ~Werbung~ um weiter zu leben. Oder gibt es jemanden der finanziell und menschlich unabhängig ist und solch eine Plattform betreiben kann? Dann sollte er/sie es tun und schon geht es auch ohne solchen Hype.

  9. Spiegel Online schreibt: „Aus redaktionellen Gründen ist die E-Paper-Ausgabe des neuen SPIEGEL 48/2010 erst ab Sonntag, 22.30 Uhr, verfügbar.“ Das könnte insofern wieder auf eine gemeinsame Veröffentlichung in Spiegel, Guardian und New York Times hindeuten.

  10. Ich empfinde den Fokus auf die USA als völlig angemessen, im alten Rom hätte man auch über das Imperium geleaks und nicht über ein kleines, gällisches Dorf, das liegt ein Stück weit in der Natur der Sache.

    „Und Hand auf’s Herz: Wie viele der War Logs hast du gelesen?“

    Natürlich kann das kein Mensch alles lesen aber einen halben Tag von meinem Wochenende habe ich da bei beiden Leaks mindestens geopfert um zu stöbern. Weltbewegend waren die Infos nicht aber sehr spannen.

  11. Ich stimme Shai Segal da völlig zu, dieser sogenannte Größenwahn ist nicht anderes als ein logischer Schluß. Wikileaks braucht Aufmerksamkeit, Spenden und die Möglichkeit sich irgendwo niederzulassen ohne massiv verfolgt zu werden. Dies kann nur erreicht werden indem hohe Medienaufmerksamkeit erreicht wird. Außerdem ist das ganz einfach eine Frage der Prioritäten; wenn ich 400.000 Dokumente zu einem Thema habe, dass einen großen Einschlag in der Polit- und Medienlandschaft hat, oder mehrere kleine, wo ich dies noch nicht genau weiß, würde ich mich ebenfalls auf den großen Leak konzentrieren.

  12. Es kann nicht schaden, wenn auch solche brisanten Informationen ans Tageslicht kommen die moeglicherweise wirklich einmal (in diesem großen Umfang) die Souveraenitaet von Staaten gefaehrden.

    Die Regierungen, auch in den europaeischen Laendern haben scheinbar alle Dreck am stecken. Das sehe ich immer wieder, wenn Leute versuchen Zugriff auf alte Dokumente zu erhalten und dies aus Sicherheitsgruenden (auch Jahre danach) verweigert wird (Faelle in Deutschland).

    Die Verantwortung wird versucht auf andere zu schieben. Das Gefuehl habe ich auch in dem Fall wieder. Mal schauen was der naechste Leak nun so bringt. „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befuerchten!“.

  13. Ich finde ganze Medienaufmerksamkeit die sich Wikileaks erkaufen will auch nicht gerade begrüßenswert. Das kann ich mir auch nicht mit „Tja, für den GUTEN Zweck muss das halt sein“ rechtfertigen. Sowas ist zwangsläufig voreingenommen und schadet der Glaubwürdigkeit von Wikileaks als unabhängig und ganz toll objektiv. Wenn ich eine Nachrichtenagentur mit politischem Auftrag will, dann brauche ich kein Wikileaks. Zur Zeit sind sie nicht besser als Reuters oder Xinhua. Assange will Politik machen, nicht transparent und unvoreingenommen veröffentlichen.

    Dass hier was Gutes bei rauskommt kann ich mir auch nicht vorstellen. Jemand der naiv der ganzen „Hauptsache Transparenz“-Ideologie folgt wird mir da nicht zustimmen, aber solche Leaks schaden eigentlich nur der westlichen Welt während die positiven Effekte sich in Grenzen halten werden. Noch korruptere Länder werden sich überhaupt nicht um solche Transparenz kümmern und solche Veröffentlichungen freudig für ihren Vorteil ausnutzen. Wenn Wikileaks so weiter macht, dann haben sie die westlichen Regierungen erfolgreich ausgeschaltet und die korruptesten überleben lassen. (Extrem unrealisches Szenario, ich weiß, aber eine theoretische Konsequenz.)

    Ein bisschen bin ich Anwalt des Teufels, schon klar, aber Assange scheint mir entweder politisch zu handeln oder in seinem Denken zu naiv zu sein, wenn er meint, dass damit alles besser wird. Ich will hier nicht unsere korrupten Regierungen verteidigen, aber viel bleibt da nicht übrig.

  14. Naja, ich sehe das durchaus kritisch. Ich denke auch, es hilft Wikileaks vor allem langfristig eher wenig, wenn sich die ganze Berichterstattung auf die Organisation Wikileaks konzentriert und der Inhalt dazwischen ziemlich sang- und klanglos untergeht.
    Sicherlich wollen sie auch die Aufmerksamkeit, aber es ist ja niemandem geholfen, wenn dann jeder weiß, wer/was Wikileaks ist, aber die Organisation Wikileaks die komplette Aufmerksamkeit von den Inhalten abzieht. Es wäre viel zielführender, wenn Wikileaks nur in einem Nebensatz erwähnt würde und sich die Berichterstattung auf die Leaks konzentrieren würde.
    Das ist nämlich wahrscheinlich auch das, was zb die amerikanische Regierung erhofft. Jeder redet über Wikileaks und dass, was da veröffentlicht wurde, fällt mal eben unter den Tisch, zumindest für die Allgemeinheit. Und das ist auch das, was ich in diesem Fall befürchte, Geheimdienste und die Botschaften gucken sich das sicher genauer an, aber die Öffentlichkeit wird so nicht richtig erreicht.

    Ich finds aber relativ schwer, nachzuvollziehen ob dieses Problem nun direkt bei Wikileaks liegt oder an den Medien, für die die Wikileaks-Story einfach sexier ist. Daher ist schon die Frage, ob das mit einer anderen Organisation wirklich anders/besser laufen würde.

  15. Es geht nicht darum, dass jeder die Wikileaks-Dokumente alle liest, sondern dass jeder sie lesen _kann_, denn dann wird es wahrscheinlich Einzelne geben, die sie wirklich lesen und die wichtigsten Inhalte zusammenfassen oder einzelne Inhalte öffentlich thematisieren.

    Auch ich war bzgl. der aktuellen Stossrichtung von wikileaks sehr kritisch, aber mit diesem speziellen Leak besteht tatsächlich die Chance, dass globale Geschichte geschrieben wird. Es ist eine Gelegenheit zukünftig ehrlicher miteinander umzugehen, auf mehr Sache und weniger Strategie. Es kann natürlich auch sein, dass der eine oder andere die beleidigte Leberwurst spielt, anstatt die Kritik konstruktiv zu verwerten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.