Die informationelle Selbstbestimmung des Penis‘ von Jeff Jarvis

Mit der Soirée Freiheit und Überwachung in der digitalen Welt wollten die Grünen heute den Auftakt zur morgigen Demonstration Freiheit statt Angst begehen.

Thilo Weichert, Renate Künast und Jeff Jarvis diskutierten über informationelle Selbstbestimmung, eine MenschenDatenschutzrechts-Carta für das Internet, Jeff Jarvis‘ öffentlichkeitswirksamen Umgang mit seiner Prostata-Erkrankung und – na klar! – Streetview.

So füllte ein allenfalls in seiner Oberflächlichkeit das Gemüt erhitzender Dualismus von Privatsphäre und Öffentlichkeit den Abend. Die Themen wegen derer wir morgen auf die Straße gehen blieben unberührt.

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16 Ergänzungen

  1. Mal ehrlich: Überrascht das irgendwen?

    Die „grüne“ Partei ist ja als Ganzes schon ein ziemlicher Pharisäerhaufen, wenn es um belastbares Abstimmungsverhalten zu relevanten netzpolitischen Themen geht, aber Frau K. (die mit Dr. Frau M. gerne mal gemeinsam speisen geht) ist doch nun wirklich die letzte, von der man ernsthaft erwarten würde, daß Sie mal abseits von Quotenbringerthemen wie Google (evil!) handfeste Positionen bezieht ohne dabei primär machtstrategisch zu denken.

  2. Hatte mir den Livestream angeschaut und tatsächlich: Die Diskussion habe ich als sehr oberflächlich wahrgenommen. Jarvis – obwohl ich bei einigen Punkten nicht mit ihm übereinstimme – liegt mit seiner Argumentation weit vorn. Weichert – ein Mann, den ich eigentlich sehr schätze – hat neben wenigen Lichtblicken auch einigen Unsinn geredet. Und Künast? Hat die irgendwas gesagt? Geredet hat sie viel, ja. Aber etwas Konkretes ist nicht hängen geblieben.

    @Jo (#3) Es ist aber auch nicht einfach, Jarvis ohne seinen Penis anzusprechen. Immerhin ist er eines seiner schlagkräftigsten Argumente in der Diskussion um Privatsphäre.

  3. @Tharben: Sehe ich anders. Ohne jetzt schon wieder über seinen Penis reden zu wollen, kam da kaum mehr als heiße Luft.

    Typisches Beispiel: Jarvis argumentiert, eine Regulierung von Street View würde auch die Pressefreiheit einschränken. Das ist – insbesondere in der Pauschaltät, wie Jarvis es als Hebel ansetzt – Blödsinn, was ihm auch schon mehrfach erklärt wurden. Und nein, „Zeche Zollverein“ ist nochmal eine andere Geschichte, die – imo leider – vom DJV hochgejazzt wird.

    (Um den ganzen Wahnsinn in seiner ganzen Schönheit zu verstehen, muss man wissen, dass die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ 2007 in ihrem Abschlussbericht eine „Vergütungspflicht für die Abbildung von Werken – ausgenommen Bauwerken – im öffentlichen Raum einzuführen, die dann eintritt, wenn die Abbildung gewerblich verwertet wird und die Darstellungsabsicht sich auf das jeweilige Werk richtet.“ – Also das, was auch Renate Künast kurz in den Raum gestellt hat und seit 2007 fröhlich als Mem vor sich hin eskaliert …)

    Gestern hat er die Nummer wieder gebracht und 5 Minuten (bei normaler Redegeschwindigkeit also eine gute halbe Stunde …) im luftleeren Raum argumentiert.

    Wie auch immer: Da ist mir Weicherts „privacy by default“ deutlich näher. Und bitte, _wenn_ gerade ich plötzlich auf Seiten der eher konservativen Datenschützer erscheine, sollte das nicht nur mir zu denken geben ,)

  4. Ich fände es immer noch gut, wenn mal jemand die konkreten Probleme nennen würde, die auf Facebook und Co. drohen. Herr Weichert hatte auf die Frage nur abstrakte Ängste a la „Google manipuliert mich“ zu bieten. Das ist mir aber zu wenig.

  5. @7: Zumal Herr Weichert ja noch gesagt hat, dass er Google gar nicht nutzt, was natürlich die Frage von Jeff provoziert, wass ihm Google denn dann getan hätte.

    @rest: Bezüglich der P-Geschichte. Nunja, es ging in Jeffs Fall wohl eher um seine Krebserkrankung und das Thema ist auch in DE nicht gerade eines, über dass groß gesprochen wird.
    Er hat als Beispiel für den Wert von Öffentlichkeit auch die Schwulen-Bewegung genannt, welche die Öffentlichkeit als Instrument gegen die Vorurteile ihnen gegenüber genutzt haben (in DE denke man nur an die Geschichte um den §218).

    Ich denke, ihm geht es primär um die persönliche Verantwortung und Entscheidung des einzelnen, Privates in die Öffentlichkeit zu tragen. (Die Hausfassade ist für ihn öffentlich, das Leben im Haus aber ist privat).

    In diesem Zusammenhang hätte er wohl gar nichts gegen „privacy by default“, solange der einzelne sich dann bewusst entscheiden kann, diese für sich selbst in einem bestimmten Umfang zu brechen.

    P.S.: Wenn man Street-View verbietet/einschränkt, dürfte auch niemand sonst mehr Bilder von Gebäuden machen. Und wie Jeff auch sagte: http://www.telefonbuch.de -> Telefonnummer + Name das Anschluss-Inhabers + Addresse + Luftbild des Gebäudes… Was ist verglichen damit Street-View? (ok, telefonbuch.de ist Telekom ;) )
    P.P.S.: http://de.wikisource.org/wiki/Bundesgerichtshof_-_Friesenhaus

    Leitsatz: Das ungenehmigte Fotografieren eines fremden Hauses und die gewerbliche Verwertung einer solchen Fotografie stellen dann keine Abwehr- und Zahlungsansprüche auslösende Einwirkung auf fremdes Eigentum dar, wenn die Fotografie – ohne daß das Hausgrundstück betreten wird – von einer allgemein zugänglichen Stelle aus angefertigt wird.

  6. Auf Street View lasse ich mich nicht ein. Google darf das, andere Unternehmen dürfen das, und wenn wir uns zusammenschließen und eine Open Street View-Site gründen und mit unseren Kameras ausschwären, dürfen wir das auch. So einfach ist das, und so einfach sollte es bleiben. (Das Widerspruchsrecht gegen die Veröffentlichung der eigenen Hausfassade, das Google einräumt, finde ich dennoch gut und richtig. Wenn es das nur bei anderen Unternehmen gäbe …)

    @Jo (#6) Jarvis hat ein paar gute Punkte gemacht. Er hat beispielsweise erwähnt, dass viele Mittelsmänner, Verlage und andere Distributoren, mit dem Netz praktisch wegfallen. Ich predige seit Jahren, dass genau deswegen die Rechte-Industrie in Panik um sich schlägt (3-, 2-strikes, Presse-LSR, Zensurinfrastruktur, you name it). Und Jarvis sagt immer wieder, dass die Entscheidungsgewalt darüber, wer welche Daten vom Nutzer erhält, beim Nutzer liegen sollte. Gute Einstellung, aber ohne Open Source-Verschlüsselung und den Schlüsseln in der Hand der Nutzer ist sein Plädoyer für informationelle Selbstbestimmung – hier liegt Jarvis auf Weicherts Linie – nicht zu realisieren. Darüber hinaus wären kommerzielle Soziale Netzwerke, ohne dass die Unternehmen die Hoheit über die Daten der Nutzer haben, kaum kommerziell attraktiv. Die Nutzer bezahlen kommerzielle Soziale Netzwerke wie bspw. Facebook schließlich mit ihren Daten.

    Jarvis‘ Forderung ist richtig, über die Umsetzung spricht er aber nicht. Dafür darf man ihn kritisieren.

    @Christian Scholz (#7): Folgendes würdest du nicht tun: deine Passwörter, PINs, TANs, Kopien deiner Wohnungs- und Autoschlüssel und eine minutiöse Aufzählung deiner sexuellen Vorlieben zusammen mit Urkunden, die die Echtheit deiner Identität und der Unterlagen zweifelsfrei belegen, veröffentlichen. Richtig?

    Okay, es bedarf also zwingend Geheimnisse und Anonymität, um die Privatheit und damit die Freiheit des Einzelnen zu wahren. Jetzt kannst du argumentieren, dass du sehr sorgfältig auswählst, was du veröffentlichst. Ich sehe die Gefahr eher in der Zusammenführung der Daten.

    Aus Facebook (die übrigens staatlichen Behörenden vollen Zugriff auf die Daten ihrer Nutzer gewähren – wie jedes andere Unternehmen auch) und diversen anderen Datenbanken, in denen du stehst, lässt sich u.U. ein digitaler Klon von dir zusammensetzen. Wenn man deinen digitalen Klon datamined, also Algorithmen die Daten auswerten lässt, dann kommt evtl. dabei raus, dass Männer Ende 30, die gern Erdbeereis essen und am liebsten zitronengelbe Jeans tragen, zu 95% in Berlin Autos anstecken. Zufällig hast du genau diese Vorlieben. Womöglich wird deswegen gegen dich – wie bei Andrej Holm geschehen – ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gestartet. Okay, der Vergleich mag hinken, aber er verdeutlicht, wo die Gefahren lauern.

    Lesenswerter Artikel in diesem Zusammenhang: Constanze Kurz über Datensparsamkeit und den Gewinn daraus, den selbst diejenigen davontragen, die sich um dieses Thema nicht kümmern: http://www.freitag.de/politik/1036-das-internet-ist-gar-nicht-so-global

  7. Ich habe ja nicht gesagt, dass es keine Geheimnisse geben sollte, aber PINs, TANs usw. trägt man ja auch nicht bei Facebook ein. Ich sage auch nicht, dass einem nicht bewusst sein sollte, wer was sieht und man im Zweifel von einer kompletten Öffentlichkeit ausgehen sollte.

    Aber ich sage auch, dass Otto Normalbürger sich überhaupt kein Bild mehr davon machen kann, was eigentlich mit Daten passieren kann oder nicht. Aber das konnte er eigentlich noch nie und so schlimm ist das IMHO auch gar nicht.

    Aber da dies ja trotzdem zu Problemen führen kann, sollte man eher bei der Datenverwendung ansetzen. Wer also darf was und wie transparent ist die Nutzung. Muss mir die Bank also genau auseinandersetzen, warum ich keinen Kredit bekomme?

    Von daher würde ich mich eben gerne auf solche Probleme konzentieren, denn Datenvermeidung ist nicht mehr möglich.

    1. @ Christian Scholz: „PINs, TANs usw. trägt man ja auch nicht bei Facebook ein“

      Sag das mal Jeff Jarvis, der die ganze Zeit „Öffentlichkeit“ gepredigt und „Privacy“ niedergemacht hat, ohne dass er überhaupt einen Begriff von Öffentlichkeit hat. Und ohne dass er verstanden hat, dass „privat“ der Gegenbegriff zu „überwacht“ ist. „Öffentlichkeit“ ist dagegen nicht ein Thema für Fotografen, SEOs und Penisträger (sorry, Jörg-Olaf), sonder für Habermas und den verständigungsorientierten Austausch von Argumenten. Street View, Google Search, Vorratsdatenspeicherung etc. sind aber nicht öffentlich, sonder informationsmäßig asymmetrisch. Und damit anti-egalitär.

  8. @tharben

    Wenn du sagst, dass man sich zusammen tun könnte und das Recht hat, Häuserfassaden zu fotografieren, wieso findest du es dann gut, dass es eine Gesetzesänderung geben soll (BDSG §28 Abs 4a), die es jedem Hausbesitzer und Mieter erlauben würde jederzeit genau dieses Recht auf Fotografie im öffentlichen Raum einzuschränken?

    PS: Ich finde den Artikel über „digitale Veganer“ von Constanze nicht sehr erhellend für die aktuelle Debatte

    @Ralf Bendrath

    Der Öffentliche Raum entsteht nicht nur durch das Handeln, der öffentliche Raum ist, nach aktueller gesellschaftlicher Übereinkunft auch der Raum, in dem optional(!) die Entfaltung der Persönlichkeit (GG §2) unter Beachtung der Rechte anderer möglich ist.

    Wenn die (berechtigte) informationelle Selbstbestimmung eines Menschen auf die öffentlich einsehbaren Bestandteile eines Hauses erweitert werden soll, hat das BGH imho mehrfach entschieden, dass dies ein übermässiger Eingriff in die öffentliche Sphäre der Gesellschaft wäre.

    Im öffentlichen Raum besteht nicht die Pflicht eine Informations-Symmetrie zwischen allen Teilnehmenden des Öffentlichen Raumes herzustellen. Ginge auch schwer, da ansonsten das gemeinsame Handeln nur mit einer Zustimmung aller möglich wäre. Ein gesellschaftlicher Körper, der immer die Zustimmung aller bräuchte, um im Detail zu handeln, ist aber nicht möglich.
    Somit ist dein „anti-egalitär“ an dieser Stelle nicht anwendbar.

  9. @Jens Best (#12) Ich habe nicht von einer Gesetzesänderung gesprochen; ich habe Google gemeint. Google räumt den Eigentümern einer Hausfassade ein, das Bild ihres Hauses zu verpixeln. Jeder Hauseigentümer hat also die Wahl. Das finde ich gut. Dass einige Leute tatsächlich Widerspruch einlegen werden, steht auf einem anderen Blatt. Das finde ich weniger gut, aber das muss jeder Hausbesitzer für sich entscheiden. Google ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das Werbung schaltet und mit den Bildern der Fassade Geld verdient. Ich kann nachvollziehen, dass man das doof findet – ungeachtet irgendwelcher datenschutztechnischen Probleme (Weichert ~ „die spielenden Kinder und der Benz vor dem Haus …“).

    Wenn ich deine Aktivitäten richtig in Erinnerung habe, dürftest du das allerdings anders sehen … :)

    @Christian Scholz (#10)

    sollte man eher bei der Datenverwendung ansetzen. Wer also darf was und wie transparent ist die Nutzung

    (Ich trage mal etwas dick auf:) Einmal in die Welt gesetzte Nullen und Einsen, die deine Person detailliert abbilden, kannst du nie wieder einfangen. Es ergibt keinen Sinn, die Verwendung regulieren zu wollen. Niemand wird sich daran halten.

    Versuche mal Folgendes: Stelle eine digitalisierte Aufnahme eines Popsternchens online und schreibe dran: Aber ich erlaube nicht, dass sich den Song jemand anhört oder weiterkopiert. Nach einer Woche hat das Ding jeder Schüler (und einige Eltern) auf dem Handy / MP3-Player.

    @Ralf Bendrath (#11) „Street View, Google Search, Vorratsdatenspeicherung etc. sind aber nicht öffentlich“ Hui! VDS und Street View in einem Atemzug – Respekt! ;)

    Du kannst versuchen, die Leute aufzuklären. Du kannst für Gesetze Lobbying betreiben, die Google zu mehr Transparenz zwingen. Aber die Verantwortung dafür, ob man Googles Dienste nutzt und dafür mit der Herausgabe seiner teils privatesten Geheimnisse bezahlt, liegt beim Einzelnen.

    Ja, man sollte die Leute aufklären. Die Menschen müssen wissen, welche Risiken sie eingehen. Aber dann müssen die Menschen selbst entscheiden, ob sie Google ihre Daten in den Rachen werfen.

    Ich glaube übrigens nicht, dass das noch ein großer Teil der Menschen machen würde, sobald sie wüssten, welches Gefahrenpotential in ihrem Handel liegt.

  10. @Tharben

    Dir ist aber schon klar, dass mit dem durch den Bundesrat gewinkten Änderungsantrag (BDSG §28 Abs. 4a) jedem Hausbesitzer und Mieter das Recht eingeräumt wird in den öffentlichen Raum einzugreifen, indem er vom (openstreetview/openstreetmap) Fotografen verlangen kann, dass das Haus entfernt wird?

    Hiermit würde ein Gesetz entstehen, dass das Fotografieren von Häuserfassaden unter Strafe stellt. Denn wenn du dich weigerst, können dir bis zu 50.000 Euro Strafe in Rechnung gestellt werden.

    Was Google irgendjemandem gestattet oder nicht, ist für die Anwendung von Geo-Daten im Web irrelevant. Analog-vorgestrige Gesetzgebung ist allerdings eine Gefahr.

  11. @Jens Best Na, wenn ich die Infos auf http://www.telemedicus.info/article/1731-Der-Hamburger-Entwurf-zum-Street-View-Gesetz-im-Detail.html richtig interpretiere, dann wird in BDSG §28 Abs. 4a reingeschrieben, was ich ohnehin für richtig halte, nämlich dass Hauseigentümer / Mieter die Wahl haben, was solcherlei Services angeht. Ich bin mir nicht sicher, ob dadurch wirklich Veröffentlichungen von Fotos unterbunden wird, die im öffentlichen Raum angefertigt wurden. Solche Begleitschäden dürfen natürlich nicht in Gesetzesform gegossen werden.

    Mir stellen sich folgende Fragen:

    # Wenn in einem Mehrparteienhaus ein Mieter dagegen, aber alle anderen dafür sind, wer entscheidet?

    # Welche Rolle spielt dabei der Vermieter?

    # Betrifft das auch andere Dienste, insbesondere die, die nicht öffentlich sind? Angeblich soll es Unternehmen geben, die ganze Ortschaften abfotografieren, um daraus Infos beispielsweise über die Kreditwürdigkeit der Anwohner herzuleiten und diese Infos zu verkaufen.

    Wenn, dann natürlich gleiches Recht für alle. Und zugegeben: das zum BDSG Hinzugefügte scheint mir viel zu eng formuliert zu sein. Das hat schon einen seltsamen Beigeschmack.

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