Aus dem Inneren eines Überwachungsstaates

Gestern lief beim Deutschlandradio ein Feature zu „Kafka, Kanzler und da knackt nichts – Aus dem Inneren eines Überwachungsstaates“. Davon gibt es jetzt die MP3 online.

Ein junger Mann erfährt durch eine Panne bei seinem Mobilfunkbetreiber, dass er von Verfassungsschutz und BKA abgehört wird. In einer Zeitung, der Polizisten die Abhörprotokolle verkauft haben, liest er ein Gespräch seiner Freundin im Wortlaut. Die Schlagzeile, seine Verhaftung als angeblicher Gründer der terroristischen Vereinigung „Militante Gruppe“ stehe unmittelbar bevor, lässt ihn wochenlang bei jedem Geräusch hochschrecken.

Nach sieben Jahren vergeblicher Bemühung um Aufklärung, nach Hausdurchsuchung und schließlich doch noch erfolgter Verhaftung zieht das Bundesverfassungsgericht eine Grenze. Der „Terrorist“ erhält Akteneinsicht, das Verfahren wird eingestellt. Obwohl die Geheimdienste sich der Aufklärung verweigern, lässt sich die paranoide Geisteshaltung der Ermittler anhand ihrer eigenen Aufzeichnungen nachvollziehen. Ist das ein seltener Glücksfall? Oder ist es ein Unglücksfall – weil alles andere als selten? In Deutschland wird 30-mal mehr abgehört als in den USA.

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25 Ergänzungen

  1. Da wird einem ganz anders. Die linke Hand weiß nicht was die rechte tut. Wenn man sich dann noch überlegt, wie einfach man erst mit Vorratsdatenspeicherung und Konsorten in die Mühlen der sogenannten Verfassungsschützer geraten kann … brrrrrrr.

  2. Unglaublich. Dabei könnte man doch das Geld für diesen jahrelangen Aufwand viel Sinnvoller einsetzen.

    Wenn Richter dem „Ermittlern“ nach der persönlichen Meinung fragt, weil er garnicht in der Lange ist die Datenmenge zu bearbeiten, dann wird mir anders. Kein Wunder das soviel Überwacht wird.

  3. Man kann leicht den Eindruck gewinnen das die Ermittlungsbehörden überfordert sind. Auf jeden Fall kann angenommen werden das weiter gemacht wird auch wenn nichts zu hören oder sehen ist. Es sind ja Geheimdienste beteiligt.
    Man kann verfolgen wie sich die Behörden gegenseitig hoch schaukeln um ja Terroristen zu bekommen. Egal ob Schuldig oder nicht.
    Jedenfalls fängt so der Untergang eines Staates an.

  4. „Haben Sie ein 27B-6?… Es tut mir leid, ich bin da ein bißchen pedantisch, was Formulare angeht…“

    Bei der Sache mit dem Aktenzeichen muß ich irgendwie an Kafka (natürlich), aber auch an Brazil denken.

    Auf jeden Fall sieht man schön, daß wohl die meisten „Terroristen“, die es zu überwachen gilt und „die so gut sind, daß man ihnen nichts nachweisen kann“ eben keine sind und eher die Überwacher mal zum Arzt sollten… psychotisch, zwanghaft.

    Und von diesen Leuten kommen dann via Politik die Forderungen, daß man doch die Sicherheit erhöhen müsse, weil es die Lage erfordert.

  5. diese ganze aktion ist so krass und es wird noch mehr werden da bin ich mir 100% sicher…
    danke aufjedenfall wieder für den potcast. ich liebe es sowas abends anzuhören.

    greez Seraphita

  6. Der Podcast ist von der Machart der Hammer!!!
    Spannender als jeder Krimi, konnte gar nicht aufhöhren zu höhren!

    Die Überwachungsparanoia kommt mir bekannt vor, ist unter Süddeutschen Drogenkonsumenten extrem verbreitet, wohl auch zu recht! Denn der Grund „Drogenhandel“ für Überwachungen wird dort sehr großzügig ausgelegt!
    Überwachung führt definitv zum Panoptischen Effekt, der Vorsorglichen Selbstzensur!
    Gleichzeitig weiß auch jeder, Skype „kann nicht“ abgehöhrt werden.

  7. Deutschland im Jahr 2010, 20 Jahre nach dem Mauerfall, 50 Jahre nach den Prügelpersern, 65 Jahre nach dem Naziregime: Allgegenwärtige wie willkürliche Überwachung, hochgezüchtete Geheimdienst- und Polizeiapparate, unfähige Politik und gleichgeschaltete Mainstream-Medien. Meinen Dank hiermit an unabhängige Journalisten, wie den der die Sendung ermöglicht hat, ebenso wie an netzpolitik.org.

  8. Handelt es sich hier um einen echten, realen Fall oder ist das ein erfundene Geschichte? Ich hoffe ganz stark letzters, sonst fällt mir gerade nichts mehr ein, außer „ich will ganz schnell weg hier“!

    Daniel

  9. @Daniel

    Ich möchte Dir persönlich ja nicht die Illusion rauben, aber dieser Fall ist leider real. Nachzulesen unter Telepolis über die mg-Gruppe, oder blog.odem.org. Genauere Links kann ich dir gerne zusenden.
    Danke für die mp3, mein Freundeskreis wird ihn hören, dafür sorge ich schon. Gute Berichterstattung, entspricht meinen Recherchen in diesem Fall.

    Gruss, CeeDjee

  10. Korrektur:
    nicht blog.odem.org, das hat nur einen Verweis auf den echten fall

    Hier:
    http://annalist.noblogs.org/

    Dazu aus dem Impressum:
    Anne Roth

    Ich lebe in Berlin, bin Medienaktivistin, Journalistin, Übersetzerin, Mutter zweier Kinder und seit Juli ’07 vor allem bekannt als Partnerin von Andrej Holm, der morgens um 7 Uhr in unserer Wohnung als Terrorist festgenommen wurde. Seitdem blogge ich über das Innenleben einer Terrorismus-Ermittlung (vor allem hier nachzulesen, mehr in der Mediathek)

  11. auf die Gefahr hin zu nerven, noch eine Richtigstellung: dieser genannte Blog berichtet über A.Holm. Dieser ist nicht Gegenstand des Berichts. Es wurde 2007 4 Mitglieder der mg verhaftet. Andrej Holm war einer davon. Der Mann der über Frau und Kind berichtet ist ein anderer, nämlich Axel H. Nicht verwechseln.
    So long.

  12. Man kombiniere das in Gedanken spielerisch mal mit konstruierten Aussagen eines vom Verfassungsschutz erfundenen V-Mannes:

    http://de.wordpress.com/tag/v-mann-123/

    W.Wetzel wird informiert, daß er ein halbes Jahr überwacht wurde und berichtet hier über seine gerichtlichen Auseinandersetzungen um nicht überprüfbare Berichte eines V-Mannes, in denen steht, daß er Anschläge plane.

  13. Was ich außerdem interessant fand:
    Hans-Christian Ströbele sagt, das er die Akten im Parlamentarische Kontrollgremium gar nicht alle auswerten kann, weil er in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht alle Akten durchsehen kann, die ihm zur Verfügung gestellt werden.

    Außerdem: Das BKA äußerte mehrfach Zweifel, ob der Beschuldigte tatsächlich schuldig ist, aber das BfV sagte: „doch doch, wir wissen es, dürfen euch die Beweise aber nicht zeigen. Macht mal weiter!“ Das klingt doch so, als ob das BfV die ganze Sache gesteuert hat.

  14. So äußert sich das also, wenn die Politik mehr Freiheit wagen
    will, wie es die Bundeskanzlerin (und auch schon der Medien-Kanzler)
    angekündigt haben. Bei all der Überwachungs- und Kontrollwut
    ist es nur eine Frage der Zeit, bis immer mehr Menschen dem Paranoia
    erlegen sind. Überwachungskammeras, Telefonüberwachung, Bundestrojaner,
    Vorratsdatenspeicherung, E-Mail-Überwachung, Observation, …
    Wo soll das alles bloß hinführen frage ich mich? Wenn das die Lösung sein soll,
    was ist dann das Problem, das all diese Aktionen rechtfertigen soll?

  15. @Anne Roth:

    Danke für den Link, du weisst es besser. Ich habe diese Verfahren nur so gut ich konnte aus der Ferne verfolgt.
    Gruss

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.