Zensursula-Debatte: Wie man eine Generation verliert

Der aktuelle Stand der ePetition gegen die Netzzensur-Pläne der Bundesregierung ist die Zahl 71702. Soviele Mitzeichner haben sich in der vergangenen Woche der ePetition angeschlossen. Bis zum 16. Juni kann weiter unterzeichnet werden. Und auch die Kommentare von Papier- und Online-Medien häufen sich. Hier ist eine kleine Übersicht an Artikeln von gestern und heute. Weitere Medienberichte vom Freitag finden sich hier.

Der beste Kommentar kommt von Zeit.de: Wie man eine Generation verliert.

Politische Verdrossenheit sieht anders aus, könnte man bei solch hoher Beteiligung meinen. Dabei ist es wohl genau diese Frustration, die den Rekord erzeugt: Verdrossenheit von der aktuellen Politik. Denn es werden all jene verunglimpft, die Kritik an dem Gesetz äußern.[…] Tatsächlich geht es um Zensur, da die Inhalte erreichbar bleiben, obwohl sie kriminell und damit löschbar sind. Doch gelöscht wird nichts. Lediglich ein nach unklaren und bewusst nicht transparenten Regeln erstellter Filter soll sie blockieren, obwohl selbst das Gesetz zugibt, dass die Blockade nicht wirklich funktioniert. Ist es ein Wunder, dass viele Menschen, die sich täglich im Internet bewegen und zumindest eine Ahnung von dessen technischen Zusammenhängen haben, sich abgelehnt und kriminalisiert sehen? Dass sie sich von der Parlamentspolitik abwenden?

Auch noch zeit.de: Digitaler Generationenkonflikt.

Die Politik schließt uns aus und vertritt unsere Interessen nicht, kommentieren Leser von ZEIT ONLINE. Ein Stimmungsbild zur Debatte um Internetsperren

Taz: Blogosphäre gegen „Guttenzwerg“.

Die Äußerung zu Guttenbergs zeigt, dass die Regierung kein offenes Ohr für ihre Argumente hat. Und stärkt das Klischee vom „Internetausdrucker“ – Politiker, die über Netzpolitik entscheiden, aber kaum Ahnung davon haben. Gerade im Wahlkampfjahr kein gutes Signal. Denn hier frustriert die Koalition gerade die Leute, die man derzeit über einen Web 2.0-affinen Wahlkampf verzweifelt zu begeistern versucht. Ohne auch nur annähernd dessen Glaubwürdigkeit zu erreichen.

FTD: In vier Tagen in den Bundestag.

50.000 Unterschriften gegen Internetsperren – wofür Bürgerinitativen früher Monate brauchten, das hat eine Online-Petition an den Bundestag jetzt in gerade einmal vier Tagen geschafft. Der Durchbruch der „E-Demokratie“ ist trotzdem nicht zu erwarten.

Tagesspiegel: Peng, du bist tot!

Schnell und entschlossen, behauptet die Bundesregierung, reagiere sie auf gesellschaftliche Probleme. Doch das, was sie tut, ist gefährliche Gaukelei. Mit großer Geste verkündet die Politik staatliche Eingriffe zur Verhinderung von Kinderpornografie und Amokläufen. Tatsächlich aber suggeriert sie die Sicherheit nur. Es ist bemerkenswert, dass auch die Opfer von Pädophilie und Schützenwahn gegen die Politik protestieren. Internetsperren und Verbote von Ballerspielen sind nutzlos in ihrem behaupteten Sinn. Aber sie können einen Schaden anrichten, der kaum zu reparieren ist: Die große Koalition ebnet heimlicher Zensur und staatlicher Bevormundung des Privatlebens den Weg, und sie missbraucht dazu die Abscheu gegenüber schockierenden Verbrechen.

Frankfurter Rundschau: Zensur hilft keinem Kind.

Zigtausende paranoide Bürger listet der Bundestag derzeit im Internet auf, und stündlich werden es mehr. So jedenfalls muss man die Union verstehen, wenn sie behauptet, nur Verschwörungstheoretiker würden in dem geplanten Gesetz zur Sperrung von Kinderporno-Seiten den Einstieg in die Zensur des Internets sehen. Doch genau der droht. Denn der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass das Bundeskriminalamt täglich eine streng vertrauliche Liste von Webadressen erstellt, die umgehend von den Providern gesperrt werden müssen – ohne dass irgendjemand kontrollieren kann, was warum und wie lange auf dieser Liste steht. Dagegen protestieren die mittlerweile weit mehr als 65 000 Mitzeichner einer Online-Petition auf der Webseite des Bundestags.

Süddeutsche Zeitung: „Obskure Kriterien“.

Gegen Schnellschüsse von Technik-Laien: Die Web-Gemeinde hat gezeigt, wie schnell sie Widerstand gegen heuchlerische Netzsperren organisieren kann.[…] Alles wohlfeil! Ernsthafte Ächtung sieht anders aus als jene Schnellmaßnahmen, die von Technik-Laien beschlossen wurden. Niemand will Kinderpornographie dulden. Doch heiligt auch ein von allen befürworteter Zweck nicht jedes Mittel; unzureichende schon gar nicht.

Schöne Visualisierung: Rivva.de findet mittlerweile mehr als 2.000 Tweets und 300 Blogbeiträge zur ePetition.

Hanno Zulla hat eine Pressemitteilung von Eltern in IT-Berufen gegen Internetsperren geschrieben und sucht Unterzeichner.

Im Wiki des AK-Zensur gibt es mittlerweile recht ausführliche Argumentationshilfen für Interviews rund um die Petition und den Netzzensur-Plänen der Bundesregierung.
http://www.thomasmoehle.de/zensur/index.php/Interview_Argumentationshilfe

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37 Ergänzungen

  1. Gelungene Zusammenfassung.

    Dazu ein sehr interessanter Eintrag auf klopfers-web.de, der sich mit der sooft erwähnten Poltikverdrossenheit der Jugendlichen, mit Killerspielen und auch mit Internetsperren beschäftigt: http://tinyurl.com/qk9cbz .

    Ich finde der trifft das momentane Problem ziemlich gut!

  2. Zur „Ursula von der Leyen (CDU)-Zensur/Zensursula-Debatte: Wie man eine Generation verliert“

    Das ist wirklich keine Generationen-Frage (wenngleich von der CDU vielleicht so angenommen).

    Eltern möchten keine Hausdurchsuchung, weil ihre Kinder versehentlich eine (aus welchen Gründen auch immer) gesperrte Seite aufrufen.

    Senioren sind auch im Web.

    Zensur betrifft uns alle.

    Und ältere Menschen durften schon als Kind keine „Feind“-Sender anhören – diese wurden aber weder geblockt noch wurde das Mithören protokolliert (natürlich auch aus technischen Gründen).

  3. Wobei man sicher auch berücksichtigen muss: Die Politiker die sich jetzt abfällig über die Zeichner der Petition äußern (also Politiker von der Union und der SPD) haben dadurch sowieso keinen großen Wählerverlust zu verzeichnen. Ich würde annehmen, dass nur ein Bruchteil der Unterzeichner zu den Wählern dieser beiden „Volksparteien“ gehören.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.