Wahlkampf im Netz

Auf der Domain pulse 2009 in Dresden halte ich heute einen Vortrag über „Wahlkampf und Web 2.0“. Dazu hab ich ein paar Thesen und eine Präsentation gebaut. Die Präsentation macht aufgrund der vielen Screenshots wahrscheinlich mehr Sinn, wenn ich zu den Folien rede. Die Thesen sind aber hier:

These 1: Dabei sein ist alles!

Jeder halbwegs motivierte Kandidat wird in einem der kommenden Wahlkämpfe einen Account bei Facebook und Twitter haben, dazu ab und an bei Youtube ins Internet sprechen und vielleicht bloggen. Manche werden das auch selbst machen.

These 2: Politik 2.0 auch leben?

Einige Politiker werden sich von der Masse absetzen, indem sie nach den Wahlkämpfen immer noch diese Werkzeuge nutzen und sie in ihren Alltag integrieren.

These 3: Remix Politics.

Willkommen im Kontrollverlust: Die spannenden und unerwarteten Entwicklungen werden aus der Zivilgesellschaft kommen.

These 4: Internet wird nicht dominieren.

Auch wenn jetzt alle zu den USA blicken und von Obama’s Internetkampagne träumen: Fernsehen bleibt 2009 das Leitmedium. Den ersten richtigen Internet-Wahlkampf werden wir 2013 erleben.

These 5: Es wird dominierende Plattformen geben.

Facebook wird zentrale Social-Network Plattform für den Onlinewahlkampf (trotz nach wie vor überschaubarer deutscher Nutzerzahlen). Der Wille der Parteien zur Nutzung von Youtube ist unübersehbar. Twitter wird den Wahlkampf massiv beschleunigen, bleibt aber vor allem Medienhype.

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20 Ergänzungen

  1. These 1 beißt sich in den Schwanz. „Jeder halbwegs motivierte Kandidat“ – das sind dann die Twitter-YouTube-Facebook-Nutzer, der Rest ist rückwärtsgewandt und verbohrt.

    Wie steht es um These 6: Was bringt’s, wenn man Web 2.0 lebt. Die Sankt-Oberholtz-Stammgäste applaudieren und dem RTL-Zuschauer ist es egal?

  2. „Dabei sein ist alles!“ das werden die PR-Abteilungen wohl allen KandidatInnen auf die Nase binden, und wir werden es mit Freude erleben, das angeblich „authentische“ Twittern und die abgelesenen PR-Statements auf YouTube. Letztlich werden eine handvoll lesenswerte/sehenswerte Accounts übrig bleiben, was aber letztlich vielleicht gar nicht so schlimm ist, wer schon Zeit und Lust alle Abgeordneten beim Twittern, Bloggen Podcasten usw. zu folgen… ;-)
    Eine wichtigere Funktion werden die Accounts in meinen Augen für das Fußvolk vor Ort haben, die den Wahlkampf für ihre „Spitzenköpfe“ in den Gassen machen müssen

  3. Ergänzung zu These 1:

    Die meisten werden dabei scheitern, da sie es als Selbstzweck ansehen ohne zu wissen wie man einen Nutzen daraus erreicht.

    Parteien bei YouTube stellen ihre Reden und Interviews ein… Wen wundert es da, dass diese kaum Views bekommen.

  4. Als Fernsehmacher freut mich die These, dass wir Leitmedium bleiben. Aber Gedanken mache ich mir um die von Torsten vorgeschlagene These 6: Ich nehm‘ jetzt mal den Terminus „RTL-Zuschauer“ als Symbol für die, die nicht zur webaffinen Infoelite gehören, auch nicht das Engagement aufbringen, sich vor einer Wahlentscheidung jede nur mögliche Information über die zu Wählenden zu besorgen – dann ist mit These sechs ja der Anspruch formuliert, den Internetwahlkampf erreichen muss. Die, die auch viel RTL schauen zu erreichen. Ansosten wärs ja Demokratie für n paar wenige. Und das wär ja doof. Irgendwie.

  5. Tim Kickbusch: Streiche die „Infoelite“. Frag mal im St. Oberholz herum wie viele davon ihren nicht-twitternden Europa-Abgeordneten kennen. Ich glaube, das sieht nicht besser aus als beim klischeehaften RTL-Zuschauer.

    Mein Punkt ist: Wirken die Web 2.0-Mechanismen nur in bestimmten begrenzten Millieus, dann kann man sie vergessen – dann ist Twitter nicht besser und nicht schlechter als ein Bierzelt. Wenn man hingegen Web 2.0 gebrauchen kann, um Informationen medienübergreifend zu kanalisieren und echten Dialog zu etablieren, dann wird es interessant.

  6. Ich denke, die Möglichkeiten des Internetwahlkampfs sind auch von den Ebenen, auf denen gewählt wird, abhängig. Wenn bei der Bundestagswahl alle mit glattgebügelten Tweets irgendwelcher PR-Agenturen bespamt werden, ist das vermutlich eher web 2.0 zum abgewöhnen, selbst für die internetaffinen Leute. Andererseits ist es z.B. auf der kommunalen Ebene eine sehr spannende Geschichte, weil dort eben viel do-it-yourself-wahlkampf gemacht wird und die KandidatInnen auch selber twittern, bloggen usw. dürfen.

  7. Ich finds jetzt auch gar nicht schlimm, dass die deutschen Parteien nicht so stark im Netz wahlkämpfen. Mich nervt ein wenig die Halbherzigkeit, mit der sie ins Netz gehen. Obama hat schon viele Monate vor seiner Kandidatenwahl im netz Präsenz gezeigt.
    Zudem hat er ja das netz auch dazu verwendet, um Kleinstspenden in großer Menge einzusammeln. Das braucht man in dieser Form in Deutschland nicht, falls das hier überhaupt legal ist. Hier gibt es ja die Parteienfinanzierung durch den Staat.

  8. Es ist inzwischen bereits zu spät für den Europawahlkampf. Und bis zur Bundestagswahl im September kann eine professionelle Kampagne auch nich mehr hochgezogen werden. Allerdings glaube ich, das die Parteien dies nicht einfach verschlafen haben, sondern ihnen bewusst ist, dass der Internetnutzer in Deutschland kritischer, gebildeter und nicht so leicht zu beeinflussen ist, wie die Mehrheit der Nutzer in den USA. Internetkampagnen in Deutschland erreichen nicht das Klientel, das es zu gewinnen gilt. Hier ist die Präsenz im Fernsehen, auf Talk-Shows oder Interviews wichtiger weil effektiver. Und – im Gegensatz zum Auftritt im Internet – leichter zu lancieren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.